Seit dem Tod von Mahsa Amini bekunden Menschen weltweit ihre Solidarität indem sie demonstrieren und auf die Situation von Frauen im Iran aufmerksam machen. Im IRan selbst herrscht seit dem Tod Aminis ein Ausnahmezustand. Menschen aller Sozialschichten, Alters- und Berufsgruppen sind auf den Straßen und stellen sich gegen das iranische Regime.
Auf Social-Media sieht man Städte in Ausnahmezuständen, Gewalt gegen Zivilisten, Chaos. Nima studiert Wirtschaft und lebt zusammen mit seinen Eltern in Deutschland. Seine übrige Familie lebt im Iran und ist den Gefahren in einem täglichen Kampf um Freiheit ausgesetzt.
Ein Interview von Carolina Graef Alarcón
Kannst du kurz zusammenfassen, wofür demonstrieren die Menschen im Iran gerade?
Im Iran spricht man von einer iranischen Renaissance. Man möchte nicht nur bestimmte Rechte ergreifen und eine bestimmte Partei oder politische Richtung an die Macht führen, sondern man strebt ein System an, in dem jeder Platz hat.
Warum akzeptiert das Regime nicht die Veränderungen, die die Menschen fordern?
Wegen deren Ideologie. Ihre Ideologie ist so gestrickt, dass sie keine Reform zulässt, weil sie halt streng nach den Regeln der Scharia aufgebaut ist.
Wie war die Situation im Iran vor den aktuellen Protesten?
2019 fand der sogenannte blutige November statt. Hier gab es auch revolutionsartige Proteste. Genau so, war es drei Jahre zuvor, also 2016. Und 2009 gab es die grüne Revolution. Das sind ganz verschiedene Proteste, die sich zu dieser aktuellen Revolution zusammengestrickt haben. Das eine hat zum anderen geführt und hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Im Iran war es vor den aktuellen Protesten so, als ob man über das ganze Land Schwarzpulver geschüttet hätte und ein Funke, egal wo, hat ausgereicht um ein Feuer zu entzünden.
Warum hat der arabische Frühling, der bereits 2010 viel bewegte, beispielsweise in Ägypten, den Iran so wenig verändert?
Ich kenne kein Regime in unserer heutigen Zeit, dass so totalitär und mit einer so strengen Diktatur und Mord gegen sein Volk vorgeht, wie das im Iran. Mit diesem Regime ist nicht zu spaßen. Iran ist ein sehr starkes, ressourcenreiches Land und außerdem hat das Regime die Hisbollah Miliz erschaffen und die Sicherheitsgarde, die alle bewaffnet sind und damit ist nicht zu spaßen.
Glaubst du daran, dass die Revolution diesmal anders ist?
Da kann ich dir gern ein Wort zu sagen und zwar Zusammenhalt. Um genauer zu sein, spürt man einen derartigen Zusammenhalt, wie es den zuvor noch nie gegeben hat. Zusammenhalt zwischen Iranern, die im Iran protestieren und Exil Iranern, Zusammenhalt zwischen den Geschlechtern. Im Iran rufen die Männer „Frau, Leben, Freiheit“ und die Frauen antworten mit „Mann, Mutterland, Fortschritt“. Es ist so ein gegenseitiger Push, aber auch der Zusammenhalt zwischen den Ethnien ist besonders wichtig zu unterstreichen. Wenn beispielsweise Leute in Kurdistan ermordet worden sind, dann sagen Leute in Teheran „Von Teheran bis Kurdistan, ich opfere mein Leben Iran“
Was wünschst du dir jetzt für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass die Revolution mit so wenigen Opfern wie möglich beendet wird.
Und meinst du, es ist möglich, dass die Revolution Früchte trägt. Dass es jetzt wirklich einen Sturz der Regierung gibt?
Also, ich kann sagen, dass die Leute im Iran noch nie so nah dran waren, wie jetzt. Bisher war vor allem die größte Waffe der Revolution, die von allen Iranern eingesetzt worden ist, die Stimme. Und das ganz bewusst.
Hast du Angst um deine Verwandte und Freunde im Iran?
Natürlich, ein gewisses Risiko besteht immer. Ich habe beispielsweise mitbekommen, dass sehr nahe Freunde von meinen Cousins und Cousinen schon ermordet worden sind.
Viele Staaten haben Sanktionen gegen den Iran verhängt, auch Deutschland. Reicht das deiner Meinung nach?
Ich bin erst mal dankbar und froh, dass Deutschland sich überhaupt positioniert hat, da dies in der Vergangenheit nicht zu sehen war. Ich habe damals mitbekommen, wie Bundespräsident Steinmeier an dem Jahrestag der islamischen Revolution dem Regime gratuliert hat oder dass irgendein Ayatollah aus dem Iran in Deutschland operiert worden ist und das auf Kosten von deutschen Steuern. Aber ich bin optimistisch, aktuell geht es schon in die richtige Richtung. Mich würde es freuen, wenn die iranische Botschaft in Deutschland ganz geschlossen werden würde, bis die Revolution vollendet ist.
Was kann man als Gesellschaft hier in Deutschland machen?
Ich würde mich freuen, wenn jeder Bürger in Deutschland sich mit der Situation im Iran befassen würde und sich ein eigenes Bild macht. Ich bin mir sicher, dass diese Person dann auch automatisch mitgehen bzw. mitdemonstrieren würde. Besonders über Social-Media-Hashtags kann man viel bewegen. Zusammengefasst, die Stimme der Iraner hören und dann selbst eine Stimme werden.
Hat es Auswirkungen, dass die UN den Iran aus der Frauenrechtskommission geworfen hat?
Ich bin überrascht, dass ein Land, das die Frauenrechte so verachtet überhaupt in so einen Rat reingekommen ist. Das hätte viel früher stattfinden müssen, vor den ganzen Menschen die erhängt und ermordet worden sind.
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