Zwei Uhr nachts. Fünf Menschen sitzen auf einer dunklen Terrasse Sie sind einheitlich schwarz gekleidet. Es ist still. Zwischendurch mal ein Seufzen, ein Ächzen Niemand spricht. Der Qualm ihrer Zigaretten wabert gespenstisch im schwachen Licht der gedimmten Lampen. Auf dem Tisch liegen ein paar tausend Euro und warten darauf gezählt zu werden.
Zehn Uhr. Es ist laut. Die Menschen schreien fast, um die dröhnende Musik zu übertönen. Ein Betrunkener pöbelt eine kleine, blonde Kellnerin an. Sein Kumpel entschuldigt sich für ihn. Aber er lacht dabei so laut über die Späße des Betrunkenen, dass es kaum ernstgemeint klingt. Dennoch lächelt sie zurück und fragt, ob sie denn noch etwas trinken möchten. Eine Antwort bekommt sie nicht. Seufzend beginnt sie die freigewordenen Tische abzuräumen. Gleich daneben will ein Pärchen die Rechnung. Noch während sie sich verabschieden, beschwert sich der Mann vom Nachbartisch darüber, dass das Essen so lange bräuchte.
Endlich Feierabend
Das Licht geht an. Die Musik geht aus. „Endlich!“, sagt die blonde Kellnerin zu ihrer Kollegin. „Ich dachte es endet heute nie.“, antwortet diese. Es ist zwei Uhr nachts. Die Bar schließt. Die Gespräche der letzten Gäste klingen dumpf und weit entfernt, jetzt wo die dröhnende Musik die Leute nicht mehr zwingt zu schreien. Allmählich verlassen sie die Bar. Das Personal hat sich nach draußen gesetzt. Schnell mal durchschnaufen, bevor es wieder ans arbeiten geht. Der Feierabend ist für sie noch gute zwei Stunden entfernt. Diese paar Minuten sind so wertvoll für die fünf. Ein paar Minuten Stille nach der Hektik. Ein paar Minuten frische Luft, bevor es zurück in die stickige Bar geht. Bezahlt wird diese Zeit nicht.
Zwölf Minuten lang bleibt es still. Dann nimmt der erste seinen Block aus der Tasche und beginnt auf seinem Handy zu tippen. Die anderen ziehen nach. Er muss zusammenzählen, wie viel Trinkgeld er bekommen hat und es aus seiner Kellnerbörse nehmen, bevor er sie seinem Chef zurück gibt. „Das kann doch nicht sein!“, ungläubig sieht er zu seiner Kollegin rüber. „Warum hast du immer so krass viel Trinkgeld und ich so ein paar Cent!?“ „Guck sie dir mal an.“, sagt der Mann ihm gegenüber, mit einem starken amerikanischen Akzent. Er ist deutlich älter und deutet auf die blonde Kellnerin. Sie ist schlank, hat lange blonde Haare. Die Augen sind stark geschminkt. Als sie den Jungen anlächelt, strahlen ihre weißen Zähne im Dämmerlicht. „Ihr Mädels habt’s einfach besser.“, murmelt dieser in seine Börse. „Immerhin bekommst du Trinkgeld!“, ermahnt ihn die Küchenhilfe. „Den Anteil, den wir für den ganzen Monat bekommen, machst selbst du in einem Abend.“ Zwei Prozent vom Umsatz muss jeder Kellner nach seiner Schicht abgeben. Als Trinkgeld für das Küchenpersonal, das sonst gar keins bekommen würde.
10 Prozent Trinkgeld für guten Service
„Hier in Deutschland ist es doch eh ein Witz mit dem Trinkgeld. Die runden alle nur auf, egal was man macht und egal wie hoch die Rechnung war. Ich hatte heute einen, der hat bei seiner Rechnung von 149,70 Euro auf 150 aufgerundet und gleichzeitig gesagt, der Service wäre außergewöhnlich gewesen. Da kann ich mir auch nix von kaufen.“, redet sich der Ex-Ami in Rage. Er ist gerade Vater geworden, musste umziehen. Jetzt ist das Geld knapp. In den USA sind 15 bis 20 Prozent Trinkgeld Standard. In Deutschland sollten es bei gutem Service zwischen fünf und zehn Prozent sein. Heute hat er rund 3, 7 Prozent. „Ich hatte heute einen, der meinte zu mir: Machen wir glatt zehn. Dabei musste der 10,40 Euro bezahlen. Der dachte ernsthaft, dass er das abrunden kann“, der Junge erzählt es wie einen Witz. Seine Kollegen schmunzeln. Aber wirklich lustig findet es niemand. Viel zu oft ist ihnen sowas schon passiert. „Habt ihr diesen Tisch mit dem nervigen Besoffenen gesehen? Die haben noch während ich daneben stand, diskutiert, ob sie Trinkgeld geben müssen. Sind dann aber zu dem Schluss gekommen, sie würden ja auch nicht bezahlt, wenn sie gut studieren, außerdem hätten sie ja selber kein Geld. Konnten sich aber alle leisten für 30 Euro Cocktails zu schlürfen. Nicht einen Cent haben die gegeben und es hat Stunden gedauert, denen das Scheiß-Kleingeld zurückzugeben.“
Lieber Kellner,
was würdest du dir wünschen?
„Ich würde mir wünschen, dass das Trinkgeld wirklich eine Anerkennung für meine gute Leistung ist und nicht ein Almosen, dass man mir gibt, weil man halt muss.“, erklärt der Amerikaner. „Und, dass Leute endlich verstehen, dass ein Cocktail nunmal länger dauert als ne Cola vor allem wenn der Laden voll ist. Und, dass eine nette Erinnerung oder Nachfrage genauso viel bringt, wie loszumeckern. Wir machen ja nicht extra langsam.“, ergänzt der Junge. Die Küchenhilfe ergänzt: „Das gleiche gilt für die Küche. Wir haben nunmal nur vier Fritteusen Wenn dann alle Pommes bestellen, dauerts halt mal zehn Minuten und nicht fünf. Schließlich sollen die ja auch frisch sein.“ „Ich wünsche mir, dass Leute die Regeln akzeptieren: Sich nicht an reservierte Tische setzen. Nicht im Nichtraucherbereich rauchen. Nicht irgendwelche Getränke von meinem Tablett nehmen. Und Jugendliche sich nicht weigern, mir ihren Ausweis zu zeigen. Oh, und was ich auch wirklich nicht brauche, sind die Anmachversuche und Handynummern von irgendwelchen Typen.“ Listet die Blonde auf. „Da stehste doch drauf!“, ärgert sie der Junge. Sie streckt ihm die Zunge raus und lacht. Plötzlich geht das Licht wieder an. Nach dem Dämmerlicht, ist es blendend hell. Der Chef kommt auf die Terrasse, nimmt das Geld an sich und schickt die fünf wieder an die Arbeit. Schließlich muss noch alles geputzt und aufgeräumt werden.
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