- Sonderausstellung „Schichtwechsel – FußballLebenRuhrgebiet“ im Fußballmuseum verursacht Gänsehaut und feuchte Augen.
- Fußballvereine des Ruhrgebiets sind immer so erfolgreich wie die wirtschaftliche Lage des Kohlenpotts.
- Fußball ist nicht nur ein Integrationsmotor. Fußball hat einen direkten Bezug zur Politik, Kultur und Wirtschaft.
Dieser Ort scheint magisch zu sein. 82 Menschen erstarren. Zücken ehrfürchtig, aber irgendwie auch stolz ihre Handys, um diesen Moment festzuhalten. Es ist still. Dunkel. Einzig vier Vitrinen werden mit rotem Scheinwerferlicht angestrahlt. Darin der FIFA-WM-Pokal. Jeweils das Original. Unmissverständlich erscheinen Bilder vor dem geistigen Auge: Helmut Rahn. Andreas Brehme. Mario Götze. Bilder mit Gänsehaut. Bei dem einen oder anderen mit Freudentränen.
BVB sogar in Südafrika ein Begriff
„Fußball ist im Ruhrgebiet überall präsent. Ich war in Südafrika im Urlaub und da wurde ich von einem Taxifahrer gefragt, woher ich komme. Als ich aus Dortmund sagte, wusste er sofort: ‚Ahh, BVB‘.“ Dr. Martin Wörner schüttelt ungläubig den Kopf. Eigentlich kommt der Kurator aus Stuttgart. Hat aber im Ruhrgebiet seine Heimat gefunden. Seit 2009 feilt der Kulturwissenschaftler am Deutschen Fußballmuseum. „Es ist verrückt, was Fußball bewirken kann.“
Der Schwabe steht vor einem besonderen Tag. Es ist der letzte Samstag im Juni. Das bedeutet, es ist Extraschicht – die Nacht der Industriekultur. Das Deutsche Fußballmuseum in der Dortmunder Innenstadt verwandelt sich für einen Abend in eine Zeche. Eine Sonderausstellung: Schichtwechsel – FußballLebenRuhrgebiet. Eng verwurzelt mit Dr. Wörnerns neuer Heimat. Er sagt: „Ruhrgebiet ist Fußball. Fußball ist Ruhrgebiet.“
Das Steigerlied erklingt im Eingangsschacht
Es geht eine Rolltreppe hoch. Je höher es geht, desto dunkler wird es. Töne des Steigerlieds erklingen in dem schacht-ähnlichen Eingangstunnel. Nur eine Taschenlampe leuchtet den Weg. Die Taschenlampe von Dr. Thomas Wörner. Das Museum wirkt auf den ersten Blick modern. Irgendwie aber mystisch. „Der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet endet in diesem Jahr. Als Museum will und muss man sich mit dem Geschehen drumherum auseinandersetzen“, sagt Jens Krömer, Leiter Digitale Inhalte des Fußballmuseums. Denn damit fing alles an.
„Schalke war bis in die 1950er Jahren sechs Mal Deutscher Meister. Das ist kein Zufall“, erklärt Dr. Wörner. Die Zechen wollten ihre Bergleute binden. Sie stellten einen Fußballplatz zur Verfügung, auf dem sich Teams gründeten. „Die Migranten haben den Fußball mitgebracht. Fußball ist ein Integrationsmotor“, sagt der Kurator. „Viele große Vereine von damals sind in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Zum Beispiel Schwarz-Weiß Katernberg. Da stand die Zeche Zollverein hinter.“ Die Wurzeln aber bleiben.
Helmut Rahn ist der Prototyp des Pottfußballers
„Helmut Rahn war der Prototyp eines Ruhrgebietsfußballers. Ehrlich, direkt, geradeaus“, beschreibt der Mann aus dem Ländle die Fußball-Legende. Die Gruppe steht vor dem Finalball von 1954. Der Ball, mit dem Rahn das 3:2 gegen Ungarn erzielte. Dahinter eine Kreuzkette. Die soll auf seinem Nachttisch gelegen haben. Er war ein gläubiger Mensch. Wie schafft es das Museum, an solche persönlichen Gegenstände zu gelangen? Dr. Wörner: „Am Ende gehört viel Recherche, Überzeugungsarbeit bei den Angehörigen, aber auch Glück dazu.“
Schweinsteiger: „2014 war unser Sommer.“
1200 Exponate zählt das Museum. Alleine 25 Stunden Bewegtbild sind zu entdecken. Und ein Video sticht heraus. ‚Die Mannschaft‘ schaut zurück auf die vier WM-Titel. In einem Kinosaal. Die Besucher sehen zuerst nur eine Deutschland-Fahne. WM-Held Bastian Schweinsteiger hängt sich diese um. In neuartiger 3D-Animation. „Das war unser Sommer“, sagt er. „Mit der Fahne umgebunden habe ich die Bilder wieder im Kopf.“ Campo Bahia. Manu der Libero. Klose der Rekordtorschütze.
„Gänsehaut. Ich muss zugeben, ich hatte feuchte Augen“, meint Thorsten Hohl und strahlt. Ohne Zweifel. Die Bilder aus Brasilien sind Gänsepelle. Die Nationalspieler verraten dazu ein Geheimnis. Halbfinale. Halbzeitpause. Deutschland – Brasilien. Spielstand 5:0. „Das war ein ganz großer Moment von Jogi Löw“, sagt Schweinsteiger. „Normalerweise ist dann Taktik dran. Aber Jogi meinte nur: ‚Spielt mit Respekt. Und führt die Brasilianer nicht vor.‘“
1997 war das Jahr des Potts
Zurück in den Pott: Waren die Ruhrgebietsvereine bis in die 50er Jahre noch Vorreiter, ist im weiteren Verlauf der Geschichte lange Schicht im Schacht. Das Zechensterben macht sich bemerkbar. Damit einhergehend die wirtschaftliche Situation. Bis 1997. Ein großes Jahr für den Fußball im Ruhrgebiet. Borussia Dortmund gewann die Champions League. Schalke den UEFA Cup. Und Bochum spielte international. „Außerdem taten sich die Klubs zusammen. Gegen den Beschluss der Bundesregierung zur Kürzung der Subvention der Zechen“, sagt Dr. Wörner. Ein Aufstand gegen die Heimat des Fußballs. Das Pöhlen im Schatten der Fördertürme.
Die Führung endet in einem runden Raum. In Großbuchstaben steht ZUKUNFT geschrieben. „Der Zukunftsraum ist der größte Berührungspunkt zwischen der Sonderausstellung Schichtwechsel und den Besuchern. Viele Leute sind erstaunt, dass sie selbst den Fußball der Zukunft aufs Papier bringen können“, erklärt Jens Krömer. „Immer mal wieder ist das Logo von Schalke mit einem Fernglas in Richtung Meisterschale gezeichnet. Das ist typisch Ruhrgebiet. Rivalität. Mit einem Augenzwinkern.“ Ruhrgebiet ist eben Fußball. Und Fußball ist eben Ruhrgebiet.
Link: https://www.fussballmuseum.de/schichtwechsel.htm
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