- Ein Experiment – ich wage mich zum ersten Mal in eine Oper
- Das Live-Orchester und der außergewöhnliche Gesang schaffen ein atemberaubendes Gefühl
- Sogar im Musiktheater darf der Ruhrpott-Kult Currywurst nicht fehlen
Lange Abendkleider, elegante Smokings und mittendrin ich in meinen weißen Turnschuhen. Zwar habe ich eine etwas schickere Bluse aus meinem Kleiderschrank gekramt. Trotzdem fall ich inmitten der Menge auf. Das Durchschnittsalter ist rapide gesunken als ich das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen betreten habe.
Lauter weiße Haare und ich
„Das ist aber verwirrend hier.“ Neben mir läuft eine ältere Frau vorbei, gestützt an einem Gehstock. Ihr Gesicht ist unter der weißen Dauerwelle kaum zu erkennen, zu sehr lehnt sie sich nach vorne auf ihre Gehhilfe. Treppen hoch, Treppen herunter. Ich weiß selbst nicht so recht, wo ich eigentlich hinmuss. Dann sehe ich zufällig eine schwarze „1“ auf einer kleinen Leuchttafel über einer der vielen Türen. Genau da muss ich hinein. Ein dunkler Gang führt zum Theatersaal, die Wände und Türen schwarz gestrichen. Lediglich die weißen Haare der anderen Besucher sind eindeutig in dem nur leicht beleuchteten Zwischenraum zu erkennen. Es riecht muffig wie in einem alten Keller. Den Flur hinter mir gelassen, gelang ich in den Theatersaal. Ein Sternenhimmel erstreckt sich die Decke entlang, darunter die dreistöckige Tribüne.
Überall wuseln Menschen durch den Saal und suchen nach ihren Plätzen. Schnell lasse ich mich nieder. Wenige Sekunden später setzt sich eine knapp 50-jährige Frau neben mich. Ein süßlicher Geruch zieht zu mir rüber. Unverkennbar hat sie in einer Wolke aus Parfum gebadet. Nicht die einzige um mich herum. Überall riecht es nach den verschiedensten Düften und parfümiertem Haarspray. Auch die Männer haben sich richtig in Schale geschmissen. Die ordentlich gekämmten Haare des circa 70-jährigen Mannes vor mir sind gestylter als meine Frisur.
Bass bis unter die Haut
Leise erklingen Töne einzelner Instrumente. Man spürt eine gewisse Nervosität, die letzten Gäste nehmen schnell ihren Platz ein. Dann fährt der schwarze Vorhang hoch. Ein kühler Luftstoß weht mir ins Gesicht. Die Instrumente des Orchesters unter der Tribüne ertönen. Am ganzen Körper spüre ich die dumpfen Töne der Trommeln und Posaunen, als würde die ganze Sitzbank vibrieren. Der Mann vor mir mit dem perfekt gekämmten Seitenscheitel nickt schwungvoll im Takt der Musik mit. Auch die Frau neben mir klopft mit den Händen taktvoll auf ihre Beine. Die Bühne erscheint in einem warmen, aber nur sehr schwachem Licht. Ein kleines Mädchen trägt einen Teddybären fest in ihrem Arm und wandert langsam von der einen zur anderen Seite der Bühne.
Italienischer Gesang
Erstmalig ertönt der Gesang eines Mannes. Er singt auf Italienisch. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob ich Operngesang verstehen würde, wenn er auf Deutsch wäre. Zum Glück erscheint die deutsche Übersetzung auf einem Bildschirm oberhalb der Bühne. Die orangefarbene Schrift ist gut lesbar. Immer mehr Darsteller strömen ins Rampenlicht. Wenige Sekunden später steht ein ganzer Chor vor mir. Ich bekomme Gänsehaut. Ein Blick über meine Schulter und sehe in die überwiegend lächelnden Gesichter hinter mir.
Ein Schauspieler schlägt energisch einen Umhang auf den Boden. Im grellen Scheinwerferlicht fliegt der Staub des Bühnenbodens in die Luft. „Die könnten hier auch mal Staub wischen“, höre ich eine zarte Frauenstimme hinter mir sagen. Und das in einer Oper? Ich bin verblüfft von der Gelassenheit des Publikums.
Im Abendkleid mit Currywurst
Es ist Punkt 18.15 Uhr. Pause. Langsam erheben sich alle von ihren Plätzen. Im Foyer angekommen, sehe ich gedeckte Tische. Der Geruch warmer Tomatensuppe zieht mir in die Nase. Eine Frau mittleren Alters setzt sich an einen der fein gedeckten Tische. Eine weiße Tischdecke, ein kleiner Strauß Blumen und ein Glas Rotwein schmücken den kleinen Tisch vor ihr. Ihr langes dunkelrotes Abendkleid fällt locker an ihr herunter. Die hochgesteckten Haare lassen ihren großen silbernen Ohrschmuck hervorblitzen. Passend zum Kleid lackierte Fingernägel zieren das Besteck in ihren Händen. Ich kann gar nicht wegsehen. Mit einer silbernen Gabel piekst sie die Currywurst auf und kaut genussvoll vor sich hin.
„Das ist halt Gelsenkirchen.“
Genau eine halbe Stunde später geht es weiter. Langsam trudeln alle wieder in den Theatersaal ein. Die Frau neben mir dreht sich und flüstert mir grinsend zu: „Das dauert bei dem älteren Publikum bis alle wieder sitzen.“ Zwischendurch fängt das Publikum immer wieder an zu klatschen. „Das ist halt Gelsenkirchen. Da wird nach jeder Szene geklatscht und nicht wie gewöhnlich nach jedem Akt. Die sind so euphorisch!“
Tosender Applaus. Meine Hände kribbeln schon vom vielen Klatschen. Immer wieder höre ich jemanden pfeifen und „Bravo!“ rufen. Nach knapp zehn Minuten Beifall verschwinden die Schauspieler hinter der Bühne. Völlig hingerissen und wild diskutierend verlassen die Zuschauer den Theatersaal.
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