- „HEIMATSUCHER e. V.“ kämpft gegen das Verstummen von Holocaust-Überlebenden
- Dafür werden Gespräche mit Shoa-Überlebenden geführt, wodurch die Vereinsmitglieder zu Zweitzeugen werden und die Geschichten weitertragen
- Für eine Holocaust-Ausstellung in Haltern am See wurden bewegende Geschichten zusammengetragen
Vor über 80 Jahren fand mit dem Holocaust eines der dunkelsten Kapitel, der deutschen Geschichte statt. Zeitzeugen von damals gibt es zwar noch, aber es werden immer weniger. Damit jene Personen und ihre Geschichten nicht in Vergessenheit geraten, tritt der Verein „HEIMATSUCHER e. V.“ in Erscheinung – etwa mit Ausstellungen.
Ein scheinbar schlichter Aufmacher
Einzig zwei mittelgroße Staffeleien zieren den Eingang zur Ausstellung. Beide sind mit Fotorahmen bestückt. Auf den Fotos ist je einen Mann zu sehen, der lächelt. Angelehnt an den Bilderrahmen steht jeweils ein Buch. Eines ist gelb, das andere weiß. Beide sind mit einem Minifoto ihres Fotorahmens bedruckt. Auf den ersten Blick erscheint dies als Aufmacher der Holocaust-Ausstellung, die der „HEIMATSUCHER e. V.“ im Paul-Gerhardt-Haus in Haltern am See vom 9. bis 24. November zeigt, überraschend nüchtern. Etwas zu nüchtern, für so ein brisantes Thema wie den Holocaust.
Beim genaueren Betrachten ist dann doch Brisanz erkennbar. Sie steckt allerdings ganz tief in den Biografien der abgebildeten Personen. „Das sind Carlo Lietz, ein ehemaliger NS- Soldat, der nach einigen Jahren desertierte und Sigmund Pluznik, ein Shoa-Überlebender“, erzählt Marina Kauffeldt, die mit der Führung durch die Ausstellung beginnt. Gemeinsam mit Xsenia Eroshina, die sie begleitet, ist sie Mitglied beim „HEIMATSUCHER e. V.“ – und auch Zweitzeuge des Holocausts. Denn durch den „HEIMATSUCHER“, der die Geschichten von Shoa-Überlebenden sammelt und weiterzählt, haben beide bereits mehrere Holocaust- Überlebende kennengelernt. In Interviews ließen sie sich deren persönliche Erlebnisse schildern und wundern damit zu Zeitzeugen.
Aus Feinden werden gute Freunde
So auch im Fall von Carlo Lietz und Sigmund Pluznik, welche die „HEIMATSUCHER e. V.“ bemerkenswerterweise gemeinsam interviewten. Während Zweitzeugin Marina Kauffeldt dies erzählt, bemerkt sie treffend: „Eigentlich hätten sich Beide aufgrund ihrer Biografien ihre Köpfe einschlagen müssen. Doch sie saßen friedlich nebeneinander.“ Im Laufe der Jahre sei zwischen Beiden sogar eine tiefe Freundschaft entstanden. Es klingt wie aus einem Märchenbuch – Feinde werden zu Freunden. Entspricht aber der Wirklichkeit, wie sie beteuern.
Elizier Ayalon: Im Zwiespalt von Grausamkeit und Hoffnung
Beim Eintritt in den Hauptausstellungsraum wird es bewegend. Auf einer grauen Wand werden mit Lampen, Zitate von Shoa-Überlebenden angestrahlt. „Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst zum Zeuge werden“, lautet zum Beispiel ein Zitat von Elie Wiesel. Dazu hängen sieben Portraits an den Wänden. Eines davon ist einfach nur mausgrau. Dass es stumm ist, ist beabsichtigt.
Schließlich gibt es noch viele Holocaust-Überlebende, die es aber nicht schaffen, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Neben dem grauen Portrait hängen sechs weitere Bilder von Shoa-Überleben. Auch ein Bild von Elizier Ayalon ist dabei. Seine Geschichte berührt das Herz gleich doppelt. Denn sie vereint Mitgefühl mit Hoffnung. Elizier Ayalon wurde in Polen geboren und war in mehreren Konzentrationslagern, ehe er nach Israel ausgewanderte. Nach dem Krieg wollte er seine Geschichte erzählen, aber niemand hörte ihm zu. Er begann darauf zu kapitulieren. Er hörte auf zu reden, leugnete seine Identität als Holocaust-Überlebender.
Entscheidende Begegnung für Ayalon
Erst die Begegnung von Elie Wiesel, der ebenfalls ein Holocaust-Überlebender sowie Friedensnobelpreisträger ist, brachte Ayalon zum Umdenken. „Du bist dazu bestimmt zu erzählen, weil du überlebt hast. Du musst erzählen“, meinte Wiesel zu ihm. Die Worte hatten eine zündende Wirkung bei Ayalon. Denn mit dem nahe zu dem gleichen Satz hatte sich seine Mutter damals am Tor eines polnischen Ghettos von ihm verabschiedet. Ehe die Nationalsozialisten sie und den Rest der seiner Familie deportierten. Elizier Ayalon entging dieser Grausamkeit, weil er einen Job hatte und jene Menschen von den Nazis zu jenem Zeitpunkt nicht eingezogen wurden.
„Du bist bestimmt zu überleben und du wirst erzählen, was sie mit uns gemacht haben. Du wirst ein süßes Leben haben“, sagte Eliziers Mutter damals zum Abschied und schenkte ihrem Sohn eine Tasse, in der sich Honig befand. Die Tasse wurde für Elizier Ayalon zu einem echten Symbol, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Nach dem Gespräch mit Wiesel setzte er dies bis zu seinem Tod um.
„Sie, Herr Elizier haben überlebt“
Zum Abschluss der Führung kommt wieder der Eingang in Sicht. Den Weg dorthin säumen über zwei Dutzend Briefe, die festgebunden an Schnüren von der Decke herabhängen. Die Briefe sind von Grundschülern geschrieben, die auch die Ausstellung besucht haben. Auch sie hat das damalige Handeln der Nazis erschüttert, einige gar wütend gemacht. Auch ist deutlich vom Mitgefühl gegen über den Holocaust-Überlebenden zu lesen: „Auch wenn sie vielleicht gezweifelt haben, Angst hatten oder sogar die Hoffnung verloren hatten, Sie, Herr Elizier haben überlebt. Dies zeigt mir, dass der Wille zu überleben nie in Ihnen erloschen ist.“
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