Poetry- Slammer Jay Nightwind und Zwergriese im Doppelinterview

Die Essener Poetry Slammer Jan Seglitz alias Jay Nightwind und Marius Hanke alias Zwergriese sprechen über ihre Erfahrungen beim Poetry Slam, geben Tipps für Neueinsteiger und über Texte, die richtige Klogriffe waren.
Für diejenigen, die noch nie etwas von Poetry Slam gehört haben: Dabei geht es darum, den selbstgeschriebenen Text innerhalb von sechs Minuten ohne Requisiten zu präsentieren. Wer gewinnt, entscheidet das Publikum. In der Szene wird sich untereinander respektiert, man kennt sich. Jay Nightwind und Zwergriese organisieren zusammen den Poetry Slam in Essen, ein Zusammenschluss von Slam-Veranstalter in Essen. Vor ihrem Auftritt an der Westfälischen Hochschule hat sich der Querschreiber mit den beiden getroffen.

Poetry Slammer können wirklich gut mit Worten umgehen. Hand aufs Herz: Wie gut waren eure Deutschnoten?

Jay: Also abschließend im Abitur war es eine eins, aber als ich auf das Gymnasium gekommen bin, hatte ich tatsächlich zwei Jahre in Deutsch Förderunterricht, weil meine Noten so schlecht waren.

Zwergriese: Ja seitdem ich verstanden habe, wie einfach Deutschanalysen sind, war ich relativ gut. Wenn man einmal das Muster beherrscht, ist es wirklich einfach. Mein Deutschlehrer hat mir zum Beispiel gezeigt, auf wie vielen Ebenen man schreiben kann zum Beispiel bei Faust zwei. Da habe ich immer mehr Feuer gefangen und dadurch, dass ich Analysen verstanden habe, hatte ich in der Abi Klausur eine eins plus.

Hut ab, aber kann Poetry-Slam auch ohne Deutsch eins meistern?

Zwergriese: Ja gerade dann! Also Deutsch vier ist eigentlich die beste Voraussetzung. Wir sind jetzt auch nicht die Elite der Slam Szene, also der Jay und ich.
Jay: Aber das ist ja auch gerade das Geile daran, man kann mit allem Slam machen. Wir leben in einer wundervollen Zeit, in der es noch ganz viele andere Formate gibt. In Essen gibt es jetzt seit vielen Jahren im Freizeitzentrum EMO auf einen Deaf-Slam für Mitglieder der Taub-Stummen-Gemeinde. Der ist komplett in Gebärdensprache.
Ich war da zugucken und mich hat das zutiefst berührt ohne dass ich ein Wort verstanden habe. Und da  frag ich nicht nach, wie die Deutschnote ist – das ist egal.

Jay, du sagst in deiner Video-Vorstellung, dass du der Meinung bist, dass Poetry Slam und Wrestling miteinander verwandt sind, wie meinst du das?

Jay: Wie auch beim Wrestling ist bei uns der Wettbewerb nicht echt. Auch wir haben überspitzte Bühnencharaktere, die wir so nicht sind. Trotzdem geht es darum es so aussehen zu lassen, als wäre es echt, damit es für die Zuschauer spannend ist. Eigentlich geht es um nichts, das wissen wir. Aber wir müssen daraus gehen als ginge es um alles. Und das ist im Wrestling genauso. Die Wrestler kämpfen um Titel die keinerlei Bedeutung haben, außer dass sie mehr Merchandise verkaufen.

Was ist denn für euch das Besondere am Poetry Slam?

Jay: Ich kann von mir sagen: Die Barrierefreiheit. Die ist nicht vollständig, aber wenn du zuhause sitzt und denkst: „Ich habe Texte und die möchte ich den Leuten erzählen“, dann kannst du dich bei einem Slam anmelden und wenn du Glück hast, bist du schon direkt dabei. Wenn ich mich mit denselben Sachen, die ich den Leuten erzählen will, in die Essener Innenstadt stellen würde, würde ich nach 20 Minuten vom Ordnungsamt wegsortiert werden. Auf dem Slam kommen dann noch Leute, die dich hören wollen. Und das ist einfach ein cooles Sprachrohr und ein wunderschönes Gefühl.
Zwergriese: Da ich eher aus der Hiphop-Szene komme, habe ich irgendwann diesen „Message-Gedanken“ gefressen. Also Unterhaltung ist cool, aber noch schöner ist es, wenn irgendwas drinsteckt. Impulse geben. So ein bisschen diese romantisch verklärte Vorstellung, hier und da doch etwas bei den Leuten verändern zu können.

Was möchtet ihr denn mit euren Texten erreichen?

Jay: Das ist ganz unterschiedlich. Viele dienen natürlich der Unterhaltung, aber einige haben auch eine andere Mission. Meistens möchte ich bei den Leuten erreichen, dass sie bekannte Situationen neu bedenken, weil ich sie gedanklich in eine ungewohnte Situation bringe.

Zwergriese: Was ich wirklich liebe ist, Geschichten zu erzählen, die eine Aussage haben. Ich habe zum Beispiel einen Text über das Zusammenwohnen mit einem Partner geschrieben, der eigentlich zur Unterhaltung dient, aber dann sind Leute auf mich zu gekommen, denen es mit ihren Partnern genauso geht. Und dann habe ich gemerkt, dass dieser Text auch etwas auslöst.

Gab es bei euch denn auch mal schlechte Texte, die ihr vorgetragen habt und danach gedacht habt „Boah, den bring ich nie wieder!“?

Jay (lacht): Alles am Anfang. Das witzige ist, ich bin lang genug dabei um bei den Anfängern zu sehen, dass die genau solche Texte machen, die die später nicht nochmal machen würden. Das ist auch nicht schlimm, ich glaube man muss das gemacht haben, das ist wie beim Sport. Beim Fußball musst du auch erst Passen lernen und dann irgendwann später machst du die spektakulären Pässe. Das ist Teil des Prozesses. Man muss scheiß Texte schreiben, sonst erkennt man die Guten nicht. Das merke ich auch bei mir, alles vom Anfang: Nie wieder!

Was könnt ihr als Profis denn den Poerty-Neulingen mit auf dem Weg geben?

Jay: Nicht warten, machen! Also wenn man zugucken will, dann hingehen. Es gibt keinen Grund zuhause zu bleiben und zu überlegen. Ehrlich gesagt, einfach zum nächsten Slam hingehen und vorher sagen: „Ich könnte mir auch vorstellen mitzumachen, ich habe Texte dabei“. Vielleicht wird man dann schon auf die Bühne geholt oder vielleicht fällt jemand aus. Man muss eigentlich nur seine Stadt bei Google eingeben, dahinter Poerty Slam und dann findet man einen. Man muss schon sehr außerhalb wohnen, wenn es keinen geben sollte. Anmelden, mitmachen und offen sein. Das ist ganz wichtig. Mit Leuten ins Gespräch kommen und dann läuft das von ganz alleine.
Zwergriese: Leute anschreiben, Veranstalter anschreiben, auftreten. Wirklich wichtig ist es, die Leute anzusprechen. Weil wenn man am Anfang in die Szene reinkommt, ist das eine etwas komische Welt. So vom Gefühl her ist es ein Freundeskreis, aber eigentlich sind es mehr Arbeitskollegen, weil bei vielen ist es wirklich mittlerweile eine berufliche Basis. Aber wichtig ist es neugierig zu bleiben und dann sich zu überlegen, was man möchte. Dann läuft das.

 

Wenn ihr mehr über die Beiden erfahren wollt sind hier die Links zu den Homepages.
Jay: http://jaynightwind.blogspot.de/?m=1#

Zwergriese: http://zwergriese.com/