• Vor vier Jahren kam Kasim aus Somalia nach Deutschland.
  • Noch hadert der Kreisligastürmer mit der deutschen Sprache.
  • Spieler beim FC Schalke 04 – davon träumt der junge Mann.

Die laute, eindringliche Stimme des Trainers schallt über den Rasen. Es ist heiß – an die 30 Grad. Die Luft steht. Das einzig wahrnehmbare Geräusch ist das Keuchen der Spieler und vereinzelt Geschrei. „Schieß Kasim, schieß doch endlich!“, brüllt der Trainer vom Spielfeldrand. Gespannt wird der Nummer 14 hinterhergeschaut. „Jetzt mach dat Ding doch endlich rein!“, tönt es erneut über den Platz. Geschickt an den gegnerischen Abwehrspielern vorbei-gedribbelt setzt Kasim an und schießt. Es ist, als würde die Uhr für einen Moment angehalten werden. Der Trainer ist still und auch das Keuchen der Spieler verstummt für einen kurzen Moment. Gebannt verfolgen die Augen der Menge den Ball, der knapp neben dem Tor landet.

Große Ziele

Schieß, das ist für Kasim eines der geläufigsten Wörter auf Deutsch. Kasim kommt aus Somalia. „Mein Land ist nur Krieg“, erklärt er mit trauriger Stimme nach dem Spiel. Mit gerade einmal 18 Jahren ist der junge Mann nach Deutschland geflüchtet. Seit vier Jahren ist er mittlerweile hier und seitdem spielt er Fußball. Der heiß ersehnte Spielerpass, den man in Deutschland braucht, um an den Spielen teilzunehmen, ließ lang auf sich warten. Fast sechs Monate durfte er bei den Spielen nur auf der Bank sitzen und zugucken. Zum Glück ist diese Zeit für Kasim vorbei, denn er hat große Ziele. Irgendwann will er bei einer Top-Mannschaft spielen, Schalke oder so, verrät er mit einem stolzen Blick. Aber vorerst heißt es für ihn Kreisliga C in Gelsenkirchen.

Deutsche Sprache, schwere Sprache

Am Anfang war vieles schwierig für ihn – Aufenthaltsgenehmigung, Wohnung finden, Freunde finden. Alles war neu für ihn. Deutsche Sprache, schwere Sprache. Der Fußball hat Kasim viel geholfen. Der Sport dient ihm nicht nur als Ausgleich für den Sprachkurs im Integrationscenter, sondern ist für ihn auch eine Konstante im Alltag geworden. Fußball als etwas, woran er sich festhalten und orientieren kann, auch ohne die Sprache perfekt zu beherrschen. Beim Fußball ist sein Deutsch zweitrangig, die Regeln sind weltweit die gleichen. Die wichtigsten Ausdrücke auf Deutsch – auch die typischen Ruhrpott-Zwischenrufe des Trainers – versteht Kasim mittlerweile.

Trainer Mike rauft sich die Haare. Die erste Halbzeit ist torlos verlaufen. Mit gesenkten Köpfen kommen die Spieler vom Platz. Enttäuschung macht sich breit. Jetzt heißt es aufbauen und weitermachen. Das ist nicht immer einfach. Mike weiß, dass seine motivierenden Worte nicht von jedem Spieler gleichermaßen verstanden werden. Er benutzt einfache Sätze, wiederholt sich und sucht Einzelgespräche mit den ausländischen Schützlingen. „Jungs, weitermachen. Ihr macht das gut!“, betont der Trainer dabei immer wieder.

Am Ball bleiben

Mike weiß wovon er redet, wenn er vom Weitermachen spricht. Seit 1988 spielt er selber Fußball, seit 15 Jahren ist er Trainer. In den vielen Jahren hat er Einiges erlebt. Einen zusammengewürfelten Verein als Team und Einheit formen, das ist die größte Herausforderung beim Fußball, sagt er. Die unterschiedlichsten Menschen beim Fußball zu vereinen, alles andere ausblenden und den Fokus auf den Sport legen – darum geht es. Zusammenhalt ist das Stichwort, die sprachliche Barriere ist da zweitrangig. Mit Englisch, dass er selber auch erst wieder aus dem Gedächtnis kramen musste, aber auch mit Händen und Füßen ist vieles möglich.

Wie ein Profi

Die zweite Halbzeit läuft. Die Worte des Trainers zeigen ihre Wirkung. Der bunte Haufen, wie Mike seine Mannschaft mit einem Lachen nennt, spielt als Team. Auch Kasim steht noch auf dem Platz. Mit dem Ball sprintet er in Richtung Tor. Alle Augen sind jetzt auf ihn gerichtet, wieder einmal. Der junge Mann holt aus und wuchtet den Ball ins Tor. Endlich – die Menge jubelt. Kasim reißt die Arme hoch wie ein Profifußballer.

Der Trainer der gegnerischen Mannschaft läuft hektisch am Spielfeldrand auf und ab. Der kleine, untersetzte Mann hat einen hochroten Kopf und trägt die typische Trainingsjacke, die über dem Bauch etwas zu sehr spannt. Auf Türkisch versucht er sein Team noch ein letztes Mal anzuspornen. Die letzte halbe Stunde läuft.

Die Gegner schleppen sich mittlerweile über den Platz. Die Hitze liegt immer noch drückend in der Luft. Sehnsüchtig warten die Spieler auf den Abpfiff. Kreisliga wäre allerdings nicht Kreisliga ohne dramatische Fouls und gemeine Grätschen. Plötzlich liegt Kasim mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden. Sofort prasseln die verschiedensten Ausrücke in den unterschiedlichsten Sprachen auf den Schiedsrichter ein. 100 Sprachen müsste man in dem Moment sprechen und verstehen können – mindestens. Für Kasim ist das Spiel für heute vorbei. Gut, dass Trainer Mike immer die richtigen Worte findet. „Das kühlen wir später von innen“, verspricht er ihm mit einem Klopfen auf die Schulter.

Abpfiff

Ein letzter, lauter Pfiff schallt über den Platz. Das Spiel ist aus. Mikes Mannschaft hat es geschafft, als Team. In der Kabine ist die Stimmung ausgelassen. Kasim strahlt immer noch übers ganze Gesicht. Ob bei dem geilen Wetter heute Abend noch gegrillt werde, fragt jemand in die Runde. Kasim nickt eifrig. Mike betritt mit einem Kasten Bier die Kabine. „Das habt ihr euch heute verdient, Jungs!“, ruft er in die Runde. Als Kasim die versprochene innere Kühlung zu sich nimmt, lächelt er zufrieden.