Regina Hölscher-Christ ist 63 Jahre alt und ist seit nun fast sechs Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin in der „offenen Kirche“ in Schalke. Sie redet mit mir über die Erfolgsgeschichte der „S04-Kirche“, was dieses Projekt so besonders und facettenreich macht. Hölscher-Christ wirft allerdings auch einen realistischen Blick in die Zukunft.
Guten Tag Frau Hölscher-Christ. Wir sitzen hier gerade in der offenen St. Joseph Kirche in Schalke. Hier öffnet vor jedem Heimspiel des FC Schalke 04 die Kirche besonders für S04-Fans ihre Pforten. Waren denn auch schon Fans aus der verbotenen Stadt zu Gast?
Es waren auch schon Dortmunder hier, aber normalerweise trauen die sich nicht während des Derbys in den Stadtteil, schon gar nicht in Fan-Kleidung. Allerdings hatten wir schon andere Gäste-Fans hier in der Kirche. Die haben sich dann zwar bedeckt, aber hin und wieder mal ihr Wappen am Kragen blitzen lassen. Die sind hier natürlich auch alle herzlich willkommen.
Es gibt allerdings auch einen Abschlussgottesdienst nach jeder Saison. Da kommen dann auch die Dortmunder in Fan-Kleidung. Die wissen dann, dass sie bei uns keine Angst haben müssen, verhauen zu werden (lacht). Das ist ja sonst immer ein bisschen kritisch.
Neuer Pfarrer, neue Idee
Wie kam es zu der Idee der offenen Kirche vor Schalke-Spieltagen?
Vor fast sechs Jahren ist unser Pfarrer Ingo Mattauch in die Gemeinde gekommen und hat sich direkt überlegt, dass man Kirchen auch mal außerhalb der Gottesdienste öffnen könnte. Die Frage war dann nur, wann wir das machen sollen. Der Pfarrer hat dann geguckt, wann eigentlich Menschen in Schalke auf der Straße sind. Das war natürlich, wenn Schalke 04 Heimspiel hat. Was Sie jetzt hier sehen, also das ganze S04-Equipment, hat sich im Laufe der Jahre einfach so entwickelt.
Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen häkelten liebevoll „S04-Hauben“ für die Steine vor der St. Joseph Kirche
„Wir haben mehr zu bieten als nur den S04.“
Also war die Idee nicht, eine offene Kirche für den S04 zu machen?
Nein, wir machen hier keine Kirche für den Verein. Wir können an der Kirche und ihren Fenstern zum Beispiel auch die Industrie, die Stadtteil- und Religionsgeschichte hier erzählen. Wir haben Fenster mit der heiligen Barbara (Schutzpatronin der Bergleute, Anm. d. Red.) und der Emscher.
Also man kann hier wirklich auch so ein bisschen Heimatkunde betreiben. Es kommen im Endeffekt Leute mit einem Anliegen hierher. Das freut uns sehr, weil das eigentlich unser Anfangsgedanke dieser offenen Kirche ist. Ob die Leute mit dem Anliegen jetzt S04-Fans sind, ist völlig egal. Wir haben viel mehr zu bieten als nur den FC Schalke 04.
Die offene Kirche als Abschied
Gab es in den sechs Jahren einen besonders außergewöhnlichen Vorfall oder Besucher?
Es kam einmal eine Gruppe von Männern zwischen 30 und 40 in die Kirche. Die waren zwar in Fankleidung, aber sie machten nicht unbedingt den fröhlichsten Eindruck. Das war sehr untypisch. Die meisten Fans, die zu uns kommen, sind eigentlich immer gut drauf.
Aber diese Gruppe war anders. Allerdings haben sie sich dann hinterher ins Gästebuch eingetragen. Dort hat dann gestanden, dass sie am Morgen ihren Freund beerdigt haben, mit dem sie immer im Stadion waren.
Der Gruppe war einfach wichtig, dass sie ihre Gefühle noch mit uns und der Kirche teilen, bevor sie das erste Mal ohne ihren Freund ins Stadion gehen. Das hat uns einerseits sehr gefreut, aber natürlich auch berührt. Das werde ich nie vergessen.
Im linken Seitenschiff der Kirche steht eine „Schalke-Wand“, an der die Fans Grüße und Geschenke hinterlassen können.
Mit Nüchternheit und einer Prise Humor in die Zukunft
Kommen wir vom Rückblick zum Ausblick. Die St. Joseph Kirche soll spätestens 2030 geschlossen werden. Wie sehen Sie das und wie ist Ihr Blick in die Zukunft?
Dieses Projekt „offene Kirche“ ist sicherlich ein Erfolgsprojekt. Allerdings ist Schalke ein sehr schwieriger Stadtteil. Von daher sind Kirchen in dieser Größenordnung einfach zu viel. Wir haben hier im Stadtteil einen Mangel an Gläubigen und dafür ist selbst eine Kirche schon zu viel. Das muss man einfach realistisch sehen. Auch wenn wir uns hier alle die Augen ausheulen, es nutzt ja nichts.
2020 werden schon keine regelmäßigen Gottesdienste mehr stattfinden und 2030 kommt dann wirklich ein Bauzaun um die Kirche und man lässt sie vor sich hin bröseln. Man hat natürlich immer ein bisschen Hoffnung. Der Pfarrer spinnt immer herum und meint: „Hier könnte man ja einen Schalke-Fanshop reinmachen!“
Ich träume ja davon hier einen Indoor-Spielplatz für Erwachsene oder ein Beachvolleyball-Feld hier rein zu bauen. Aber die Bischöfe gucken da immer sehr penibel, dass die Nutzung im geistlichen Rahmen bleibt (lacht).
Sie sehen das Ganze ja schon mit Humor und Realismus.
Ja natürlich! Das sind hier unsere letzten Zuckungen, die machen wir auch gerne mit. Aber wir sehen das positiv. Wenn in einem guten Jahr die Kirche kaum noch genutzt wird, können wir wenigstens unser ganzes Equipment hier in der Kirche stehen lassen (lacht).
Da dieser Prozess bis 2030 ein sehr langfristiger ist, können wir uns auch alle an dieses Gefühl gewöhnen. Außerdem sind wir alle hier so um die 60 oder älter. Wer weiß, ob wir dann noch leben. So gelassen sieht man das dann irgendwann (lacht).
Regina Hölscher-Christ schreibt auch einen Blog über ihre Erlebnisse in der offenen Kirche in Schalke. Wenn ihr neugierig seid, könnt ihr hier mal reinschauen.
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