• Ich wollte herausfinden, wie die Menschen in den Niederlanden den Zweiten Weltkrieg erlebt haben
  • Ich habe das Denkmal vom Durchgangslager Amersfoort besucht, das sich auf einem ehemaligen SS-Schießstand befindet
  • Ein Zeitzeuge erzählt, wie er den Krieg und dessen unmittelbare Folgen erlebt hat

Der Zweite Weltkrieg – ein dunkler Schatten auf Deutschlands Geschichte, dessen Auswirkungen man bis heute spürt. Doch über die Zustände in Ländern, die nicht die Hauptakteure des Krieges waren, lernt man als regulärer Schüler kaum bis gar nichts. Das hat mich dazu bewegt, genauer nachzuforschen, wie der Zweite Weltkrieg in unserem Nachbarland, den Niederlanden, erlebt wurde.

Die Stadt Amersfoort in der Provinz Utrecht ist besonders im Vergleich zu deutschen Großstädten eher unauffällig. Doch vor weniger als 80 Jahren haben sich dort Dinge abgespielt, die sich heute niemand mehr vorstellen mag: in Amersfoort gab es ein Konzentrationslager, das direkt durch die SS kontrolliert wurde.

Exkurs in die Geschichte des Lagers

Die Geschichtslehrerin Hetty B. konnte mir die Geschichte des Lagers und des Denkmals näherbringen. Ich traf sie an ihrem Arbeitsplatz, als gerade die letzten Schüler den Klassenraum verlassen. Sie freut sich, dass ich mich für das Thema interessiere und erzählt bereitwillig davon. „Das Lager war ursprünglich eine Kriegsbarracke für niederländische Soldaten, die für die Deutschen gearbeitet haben. In 1941 wurde es dann ein Durchgangslager, als 200 kommunistische Gefangene dorthin geschickt wurden. Andere Insassen waren Menschen, die versucht hatten, Zwangsarbeit zu entgehen und einige Amerikaner – auch Frauen und Kinder.“, erklärt sie.

„Es gab insgesamt 35000 registrierte Häftlinge, von denen 20000 nach Deutschland weiterverlegt wurden. Die Straße, auf der sich das Denkmal befindet, war eine Schießanlage, auf der Menschen hingerichtet wurden.“ Auf die Frage, welche Gefühle die Menschen dem Lager gegenüber hegten, antwortet sie: „Niemand wollte zugeben, dass er davon weiß. Es wurde quasi totgeschwiegen.“ Der Großteil des Lagers wurde nach Kriegsende sofort zerstört, die Erinnerung vergraben.


Das ehemalige Durchgangslager Amersfoort
Quelle: europeremembers.com

Am Ende der ehemaligen 350 Meter langen Schießanlage wurde im Jahr 1953 eine Steinstatue eingeweiht, die einen Gefangenen vor einem Erschießungskommando zeigt. Die Statue soll an die Menschen erinnern, die im Durchgangslager Amersfoort ums Leben gekommen sind. Es repräsentiert den Aufstieg aus der Vergessenheit, soll die Erinnerung an die unvorstellbaren Ereignisse zurückholen. Das Denkmal, das außerdem noch aus einem Besucherzentrum und einem Gedenkareal besteht, wird von der Stiftung „Nationaal Monument Kamp Amersfoort“ gepflegt.

Ein Denkmal des Grauens

Es war ein regnerischer Tag, als ich mich aufmachte, um das Denkmal anzusehen. Das ist vermutlich auch der Grund, warum nicht viele Besucher dort waren. Der Weg zur Statue führt über einen Pfad, auf dem vor nicht allzu langer Zeit Menschen exekutiert wurden – eine erschütternde Vorstellung. Dieser Pfad wurde von den Häftlingen selbst unter unmenschlichen Bedingungen ausgehoben.

Beim Betrachten des abgebildeten Mannes läuft mir ein Schauer über den Rücken. Seine Hand ist zur Faust geballt, was seine Machtlosigkeit und gleichzeitig seinen ungebrochenen Willen repräsentiert. Die Statue steht auf einem Sockel, auf dem fünf Friedenstauben für die fünf Kriegsjahre abgebildet sind. Man kann nicht anders, als auf diesem Anblick zu verweilen. Ein schreckliches Schicksal, das so vielen unschuldigen Menschen wiederfahren musste.


Die Steinstatue befindet sich auf einer ehemaligen Schießanlage der SS
Quelle: europeremembers.com

Unwissende Zeitzeugen

Schließlich wollte ich wissen, wie es den Menschen ergangen ist, wie sie diese unvorstellbar schwierige Zeit erlebten. Deshalb traf ich Wilburt de Vries in seinem Haus am Rande der Stadt Amersfoort, in der er sein ganzes Leben verbracht hat.

Auf die Frage, wie er den Krieg persönlich erlebte, antwortet er: „Das ist eine sehr schwierige Frage. Wenn man nicht direkt dabei ist, also nicht in den großen Städten wie Rotterdam, dann bekommt man nicht so viel davon mit…“. Auch seine Frau Ilse ist mit im Wohnzimmer. Wilburt erklärt: „Sie hat alles miterlebt, aber sie redet nicht gern darüber. Ich gehe anders damit um.“ Dann fährt er damit fort, seine Geschichten zu erzählen.

Nach Kriegsende machten die Amerikaner den Menschen Geschenke, zum Beispiel Kaugummi oder Schokolade und halfen dabei, Ordnung wiederherzustellen. Wochenlang wurde die Befreiung gefeiert. “Aber dann…”, sagt Wilburt spöttisch, “Dann haben wir es erst gehört. Ich und meine Brüder haben herausgefunden, was in dem Lager passiert ist und wir waren erleichtert, als es dann zerstört wurde… Wir wollten wirklich nicht darüber nachdenken. Und das ist noch nicht alles. Erst nach mehreren Monaten haben wir erfahren, dass mein ältester Bruder Dries nicht zurückkommen würde. Dabei waren wir uns sicher, dass er nach seinem Dienst in Deutschland wieder hier sein würde…“ Wilburt ist von der Erinnerung sichtlich betroffen und versucht, seine Fassung wiederzuerlangen. „Es war nicht einfach, darüber hinwegzukommen. Aber jetzt haben wir solche Sorgen nicht mehr.“

Das Gespräch mit Wilburt hat mich sehr nachdenklich gemacht. So nah an einem solchen Schauplatz des Schreckens zu leben und nichts mitzubekommen – das kann man sich nur schwer vorstellen. Ein weiterer Grund, aus unserer Vergangenheit zu lernen. Damit sich diese traumatischen Ereignisse nicht wiederholen.

Anmerkung: Alle Zitate wurden aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt.

Quelle Beitragsbild: ©P.J.L Laurens