Oma ist online. Ich beginne auf die Tastatur meines Handys zu tippen. Am Sonntag möchte ich sie besuchen, um mit ihr zu üben, wie man ihr neues Smartphone bedient, das sie seit einem knappen Monat besitzt. Oma schreibt… Oma ist online. Oma schreibt… Oma ist online. Oma schreibt… Oma ist online. Gefühlt geht dies stundenlang so weiter. Ich überlege, ob es sich lohnt, weiterhin auf mein Handy zu starren, um auf eine Antwort zu warten oder ob dies verschenkte Lebenszeit wäre. In der Realität sind es dann aber nur fünf Minuten, bis ihre Antwort auf dem Bildschirm meines Smartphones erscheint: „Das ist in Ordnung bis bald oma“. Gar nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass die 84-Jährige vor einem Monat noch Probleme damit hatte, den Touchscreen überhaupt auf ihre Finger reagieren zu lassen.
Es ist Sonntag und ich stehe vor der Tür meiner Großeltern. Ein routinemäßiger Ablauf beginnt: Ich drücke auf die Klingel, auf der in Schreibschrift „Meyer“ geschrieben steht. Jetzt muss ich mich beeilen, denn ich klingel eigentlich nur, damit Oma und Opa sich nicht erschrecken, wenn ich plötzlich und ohne Vorwarnung im Kaminzimmer stehe. Ich stecke den Haustürschlüssel in das rostige Schloss und öffne die Tür. Mir kommt ein ungewohnt frischer Duft entgegen, der den sonst so unangenehm alten Geruch übertönt und ihn nur leicht durchdringen lässt. Ich entdecke einen Raumduft, der seit neustem seinen Platz zwischen den unheimlichen Puppen auf dem alten Klavier gefunden hat. Das war eine gute Investition!
Langsam in die digitale Welt
Eine kratzige Frauenstimme ertönt durch zwei Türen vom anderen Ende des Hauses, fast schon schreiend: „Gerd, ich glaub’ es hat geklingelt!“ Es
folgt ein lautes: „Was?“ und ein noch lauteres „Es hat geklingelt!“. Trotz der Lautstärke bin ich mir sicher, dass die beiden direkt nebeneinander sitzen. Bevor sie sich in Lebensgefahr bringen und um die Wette zur Tür humpeln, sprinte ich durch das Esszimmer zum Kaminzimmer und beruhige die beiden: „Ich bin’s nur“. Ein erleichtertes Seufzen von meiner Oma und Verwirrung von meinem Opa, der noch nicht ganz realisiert hat, was gerade vor sich geht. Mich umgibt Wärme und ein Duft von frisch gebackenen Keksen. Der Tisch ist bereits liebevoll mit dem grün geblümten Teeservice gedeckt, das Oma immer aus dem Schrank holt, wenn Besuch da ist. Inmitten dieses Gedecks entdecke ich Omas neuen Begleiter, der sich mit einer braunen, verschnörkelten Hülle an die Optik seiner Umgebung anpasst: Das Smartphone.
Von Dingen wie Internet oder einem Computer gab es in diesem Haus bisher keine Spur. Bis vor einem Monat war das einzige Kommunikationsmittel in diesem Haus ein Telefon, dessen Tasten so groß sind wie ein 50-Cent-Stück. Dies halten Oma und Opa bei Telefonaten mit eingeschaltetem Lautsprecher an das Ohr, um überhaupt etwas zu verstehen. Kein Wunder, dass es anfangs Probleme gab, das Smartphone erst einmal zu begreifen. Bis vor ein paar Wochen hat Oma noch permanent versucht, mit ihrem Finger auf dem Bildschirm imaginäre Tasten zu drücken und dabei verzweifelt auf eine Reaktion des Touchscreens gewartet. Den Unterschied zwischen drücken und tippen wollte ihr Gehirn einfach nicht aufnehmen. Wenn man daran denkt, ist es ein Wunder, dass sie heute bereits weiß, wie man den Bildschirm entsperrt, zu Whatsapp gelangt und Buchstaben in dem kleinen Chat-Feld erscheinen lässt.
Unbekannter Anruf
Wir sitzen auf den schlammfarbigen Sofas im Wohnzimmer, welche heute wohl nur noch in überholten Haushalten oder auf dem Sperrmüll zu finden sind. Ohne mich zu fragen füllt Oma meine Tasse mit zwei Stücken Kandis und Tee. Eigentlich trinke ich ohne Zucker, aber diese Enttäuschung erspare ich ihr heute lieber. Oma sitzt rechts von mir, Opa links. Er ist still. Oma berichtet von einer Beatrix, die ihr letzte Woche bei Whatsapp geschrieben hat, dass sie sie am Freitag um 16:00 Uhr besuchen möchte. Sie kennt keine Beatrix und hat schon darüber nachgedacht, ob es vielleicht eine Verflossene von Opa sei. Aber warum sollte sie ausgerechnet Oma schreiben und woher hat sie ihre Nummer? Beatrix habe dann am Freitag versucht anzurufen, aber Oma wusste nicht, wie man einen Anruf annimmt. Ich erkläre, dass Bea beim Eingeben der Nummer wahrscheinlich eine Ziffer vertauscht hat und sich verwählt hat – eben wie man sich auch beim Telefonieren verwählen kann. Dann kommen wir zum eigentlichen Problem: Wie nimmt man einen Anruf an?
Ich nehme Omas Handy und mache ihr vor, wie man zu den Kontakten in ihrem Handy gelangt und jemanden anruft. Ich gebe ihr das Handy und lasse sie mich anrufen. Langsam aber sicher gelangt sie durch die Tiefen des Smartphones zu den Kontakten und sucht meinen Namen “Vera” in der Liste. Ausversehen kommt sie mit ihrem Zeigefinger auf den Namen Uwe. Das bin dann wohl nicht ich. Sie guckt mich fragend, fast schon hilflos an. Ich zeige ihr, dass man auf die Zurück-Taste tippen kann, um dann wieder von vorne zu beginnen. So ist es für sie am Einfachsten. Also noch einmal: Bildschirm entsperren. Auf den grünen Hörer unten links und dann auf den Begriff “Kontakte” klicken. Die Liste runterscrollen, bis der Name Vera erscheint und diesen auswählen. Erneut den grünen Hörer wählen und schon beginnt der Anruf.
Neue Verwirrung tut sich bei ihr auf: „Warum erscheint denn jetzt ein roter Hörer, wenn ich doch auf grün geklickt habe?“ Gleichzeitig beginnt mein Handy zu klingeln. Ich erkläre ihr, dass sie mich gerade anruft und das rote Symbol dazu da ist, wieder aufzulegen, wenn das Gespräch beendet ist oder sie es abbrechen möchte. Wir telefonieren kurz miteinander, obwohl wir direkt nebeneinander sitzen. „Das ist ja albern“, kichert Oma. Sie tippt auf den roten Hörer – gut gemacht. Wir wiederholen das Ganze, bis Oma sich sicher fühlt. Dann zeige ich ihr, wie sie einen eingehenden Anruf annimmt. Das ist einfacher, denn wofür der rote und der grüne Hörer da sind, weiß sie ja mittlerweile.
Einiges bleibt doch beim Alten
Opa, der bisher nur wackelig versucht hat, seinen Tee zu schlürfen, hat mittlerweile mitbekommen, dass es um Anrufe geht. „Damit kann man auch telefonieren? Ich habe mich schon gefragt, ob man jetzt immer zwei Taschen dabei haben muss: Eine für das Telefon und eine für das Handy“. Er fasst sich an zwei imaginäre Taschen links und rechts an seinem blauen Strickpullover – warum auch immer man Taschen am Pullover haben sollte. Er erzählt von Telefonzellen und dass es damals etwas ganz besonderes war, überhaupt ein Telefon zu besitzen. Er wird mit seinen neunzig Jahren nicht mehr lernen, ein Smartphone zu bedienen, denn dafür fehlt ihm neben der Sehkraft auch noch die nötige Feinmotorik.
Ich biete Oma an, ihr zu zeigen, wie man Fotos macht und versendet. Immerhin hat sie dann die Möglichkeit, ihrer Schwester zu zeigen, welchen Kuchen sie gebacken hat oder welche alten Fotos sie gerade wiedergefunden hat. Sie macht eine ablehnende Handbewegung und hält mir den mittlerweile halbvollen Keksteller hin: „Nächstes Mal!“. Das scheint ihr jetzt zu viel auf einmal zu sein. Zugeben will sie das aber natürlich nicht direkt. Stattdessen redet sie bis es draußen dunkel wird von Geschichten und Neuigkeiten ihrer Nachbarn. Für sie ist ein Update über das Leben der Nachbarn eben doch noch wichtiger als in der digitalen Welt up to date zu sein. Manche Dinge ändern sich eben nie!
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