Der Tagebau Hambach ist der größte Tagebau in Deutschland. Und das Loch, dass durch den Braunkohleabbau dort entstanden ist, ist das größte von Menschen gemachte Loch in Europa. An der tiefsten Stelle ist es bis zu 450 Meter tief.
Und das Loch soll größer werden und dafür soll der Hambacher Forst weichen. Der Wald, der ursprünglich 5.500 Hektar groß war, ist nur noch zu einem Zehntel übrig. Zum Vergleich: Das ganze Stadtgebiet von Köln ist 6000 Hektar groß. Damit der 12.000 Jahre alte Wald mit seinen, nicht komplett verschwindet, leben die Menschen, die sich dafür einsetzen in den Bäumen des Hambacher Forsts. Und zwar in Baumhäusern, die sie in ca. fünfzehn bis zwanzig Meter Höhe gebaut haben. 365 Tage im Jahr wird der Wald besetzt und das natürlich auch über die Feiertage.
Zwischen Köln und Aachen liegt der Hambacher Forst. Ich muss mich auf Karten verlassen, weil mein Navi die Route verloren hat. Die Straßen wurden wegen des Braunkohleabbaus Richtung Süden verlegt. Nun sind die meisten Navis dort orientierungslos. So wie ich. Einmal falsch abgebogen, schon landet man auf einer Werkstraße. Eine Straße für die Fahrzeuge vom Tagebau. Rotweiße Straßensperren, die man nur im Slalom umfahren kann, sagen mir, dass ich hier nicht weiterfahren darf. Ich treffe mich mit Deim, er lebt im Hambacher Forst. Der ausgemachte Treffpunkt liegt am Waldrand. Feldwege mit tiefen Schlaglochern und Pfützen erschweren die Fahrt. Das Wasser der Pfützen spritzt mir auf die Frontscheibe. An einem Kieswerk vorbei, sieht man den Wald und die ersten Barrikaden der Besetzer.
Ich bin endlich angekommen. Mein Puls rast. Ist das legal was ich hier mache? Schließlich ist der Wald Privatgelände des Energiekonzerns RWE.
Der Weg ist matschig und ich verabschiede mich innerlich von meinen Schuhen, als ich aus dem Auto aussteige und zur ersten Barrikade laufe. Alte Türen, Fenster, Baumstämme sind am Waldrand aufgetürmt, um die Weiterfahrt durch den Wald zu verhindern. Im Hintergrund hört man die Maschinen vom Tagebau. Ein monotones Brummen und Ächzen eines riesigen Schaufelbaggers.
Es ist Winteranfang und so fühlt es sich auch an. Der Nieselregen klebt im meinem Gesicht und mir kommt der Gedanke auf, dass ich zum Glück bald wieder im Warmen bin. Die Leute, die hier den Wald besetzen, nicht.
Im Winter einen Wald besetzen
Die Minuten vergehen, meine Finger werden vor Kälte taub und der Regen tropft mir von der Nase. Endlich taucht Deim auf dem Fahrrad auf. Das Fahrrad kommt im Matsch nur langsam voran. Deim begrüßt mich mit einer Umarmung. Etwas überrumpelt denke ich, dass man das hier im Wald wohl so macht.
Deim ist sein Waldname, seinen richtigen Namen möchte er mir nicht verraten. „Hier im Wald geben sich einige Leute einen neuen Namen, das muss man aber nicht“, erzählt er als wir weiter in den Wald gehen, an den Barrikaden vorbei. Deim trägt braune Springerstiefel, die ihre guten Jahre hinter sich haben und eine Camouflage Hose. Darüber trägt er mehrere Lagen an Jacken und Pullovern. Ebenfalls in den Waldfarben. Deim hat einen Vollbart und lange braune Haare und hier und da hat er Dread Locks. Die Kapuze hat er wegen des Wetters tief in die Stirn gezogen. Sein Gesicht ist mit Schuhcreme bemalt, allerdings sagt er mir, dass eine Freundin das aus Spaß gemacht hat. Die Bemalung lässt ihn wie einen Krieger aussehen.
Im Wald sind erstaunlich viele Menschen unterwegs. Skeptische Gesichter mustern mich und ihr Blick bleibt an meiner Kamera hängen, die mich als Journalistin enttarnt. „Über die Feiertage sind natürlich viele Menschen nach Hause gefahren, aber ich kann auch nie genau sagen wie viele momentan hier sind. Ich sage immer zwischen zehn und hundert Leuten“, erzählt Deim und lacht beim Überqueren und Umgehen weiterer Barrikaden. Tiefe Gräben im Boden, die Fahrzeuge nicht überqueren können oder aufgetürmte Gegenstände um eine Weiterfahrt zu verhindern. Es riecht nach nassem Laub und Wald, meine Schuhe schmatzen beim Laufen auf den matschigen Waldwegen. Der Hambacher Forst wirkt auf mich wie jeder andere Wald, wären da nicht die vielen Barrikaden, die zeigen, dass dieser Wald kein normaler ist.
Weihnachtsfeier und Glühweinabende
Deim lebt in dem Dorf „Lorien“, wozu drei Baumhäuser und eine Hütte auf dem Boden gehört. Es ist eins der kleineren Dörfer im Wald. Die Maschinengeräusche vom Tagebau sind lauter geworden, denn wir befinden uns nur wenige Meter von der Rodungsgrenze entfernt. Ein monotones Dröhnen im Hintergrund. Ein paradoxes Geräusch mitten in der Natur.
Die Hütte auf dem Boden ist Küche, Wohnzimmer und Esszimmer in einem Raum zusammen. Zusammengebaut aus Ästen und Planen. Der Innenraum ist mit Tannenzweigen isoliert. Passend zur Weihnachtszeit. Es riecht nach Feuer und Stroh. Am rechten Eingang der Hütte befindet sich eine provisorische Küchenecke mit gelagerten Nahrungsmitteln. Eine rote Kiste mit dicker Aufschrift „Vegan“ springt mir ins Auge. „Das sind vegane Schokocrossies, die hat eine Freundin für uns zu Weihnachten gemacht“, erzählt Deim und nimmt sich eine Hand voll Schokocrossies.
Am linken Eingang befinden sich unzählige Klettergurte und Kletterzubehör. Das Zentrum der Hütte ist eine Art Sofaecke aus Strohsäcken und Paletten. Eine gehäkelte Decke liegt über der improvisierten Sitzgelegenheit. Es wirkt irgendwie gemütlich und ein bisschen weckt es in mir die Erinnerungen aus der Kindheit. In selbstgebauten Hütten im Wald zu spielen. Nur nicht ganz so professionell wie hier. Deim macht in etwas, das wie ein alter Baumstamm aussieht, ein Feuer für uns. Allerdings ist das kein Baumstamm, sondern eine alte Waschmaschinentrommel, die mit Lehm ummantelt ist. „Hier verbringen wir oft unsere Abende, rücken näher zusammen und man mag es kaum glauben, aber durch das Feuer wird es richtig warm hier drinnen“, sagt Deim und bietet mir Spekulatius an. Weihnachten im Wald, wer es gerne alternativ mag, der ist hier richtig. Den Glühwein muss man hier aus nicht missen, denn der wird hier ebenfalls gerne am Feuer getrunken. Dabei wird dann am Feuer noch Gitarre gespielt und Lieder gesungen. Klingt fast wie im Ferienlager. Eine Flasche, vermutlich vom letzten Glühweinabend, liegt noch neben dem Sofa. Ich lege meine Hände an die Feuerstelle und die Wärme des Feuers erweckt meine erfrorenen Finger wieder zum Leben.
Weihnachten im Baumhaus
Lonely Oak, so heißt der Baum den Deim sich für sein Baumhaus ausgesucht hat. Eine Eiche, die wirklich ein bisschen einsam wirkt. Sie steht nur ein paar Meter der von Rodungsgrenze entfernt. Um sie herum stehen keine Bäume und so wirkt die ca. 30 Meter hohe Eiche noch imposanter. Der Wind hier am Waldrand weht unangenehm stark und peitscht den Nieselregen ins Gesicht. An kleinen Sträuchern vorbei befindet sich „der Wall“, die Grenze zum Abbaugebiet. „Ein Fuß über die Grenze und man befindet sich im illegalen Bereich“, sagt Deim und aus Spaß setzte ich einen Fuß über die Grenze, nehme ihn aber schnell wieder weg. Das Betreten des Waldes ist nämlich nicht illegal, sondern nur das Besetzen. Fernab des Walls schaut man ins große Nichts, nur eine mit Unkraut bewachsene, trostlose Fläche. Der Nebel verhindert die Sicht auf den Tagebau und die monströsen Maschinen.
Um auf sein Baumhaus „Takka Tukka“ zu gelangen, ist ein gewisses Maß an Kraft und Geschicklichkeit Voraussetzung. Kletterer wie Deim schaffen es in nicht einmal zwei Minuten auf das fünfzehn Meter hohe Baumhaus. Ich brauche über zehn Minuten und bin am Ende meiner Kräfte. Der Wind ist so kalt, dass er tief die Knochen dringt. In mir steigt das Gefühl der Erleichterung auf, dass ich es überhaupt bis nach oben geschafft habe. Das Baumhaus und die ganze Konstruktion wirkt so professionell, dass ich ihm vertraue und ohne Angst meine Sicherung vom Baum löse um durch eine Luke in den Innenraum zu kommen. Auch mit dem Wissen, dass das ganze Baumhaus nur durch Knoten und Seile gehalten wird. Es wird kein Nagel in den Baum geschlagen. Im Baumhaus ist es still. Es ist nicht so kalt wie draußen, trotzdem hinterlässt unser Atem Wolken. Die Geräusche des Tagebaus dringen nur dumpf durch die mit Stroh isolierten Wände. Das Baumhaus besteht aus einer Konstruktion aus Ästen. Das Fenster ist Richtung Osten, damit Deim den Sonnenaufgang sehen kann. Die Decke des Baumhauses ist mit roten und grünen Lichterketten geschmückt. Ein bisschen Weihnachten ist also auch hier zu finden.
„An Heiligabend kommen meine Eltern zu mir in den Wald, aber was wir genau machen, weiß ich noch nicht. Ich koche denke ich was über dem Feuer und dann machen wir es uns gemütlich“, erzählt Deim und zündet eine Kerze an, damit es im dunklen Baumhaus heller wird. Weihnachten feiert er immer mit seiner Familie und dafür kommen sie auch gerne zu ihm in den Wald. Deims Geschwister feiern mit ihrer eigenen Familie, aber an den anderen Weihnachtstagen kommen sie wieder zusammen. Allerdings ist er kein Fan von Geschenken zu Weihnachten. „Ich schenke meinen Freunden und Familien etwas, wenn ich etwas gefunden habe, wo ich weiß, dass es ihnen gefällt. Dafür brauche ich keinen Tag.“, erwähnt er und fügt aber hinzu, dass er von seinen Eltern vermutlich einen neuen Klettergurt bekommen wird.
Es ist kurz vor fünf Uhr und es wird schon langsam dunkel. Deim begleitet mich zurück zu meinem Auto und ich freue mich sehnlich auf die Sitzheizung. Auf dem Weg treffen wir eine Freundin von ihm, die ihn fest in den Arm nimmt und sich verabschiedet. Sie wird von ihrer Familie zu Weihnachten abgeholt, wenigstens dann soll sie zuhause sein.
Deim hat sich dazu entschieden sich für den Hambacher Forst einzusetzen und Widerstand gegen die Rodungsarbeiten zu leisten. Dafür feiert er auch gerne die Feiertage im Wald auf einem Baumhaus. Er hat mir gezeigt, dass man Weihnachten auch ohne warmes Wohnzimmer und geschmückten Tannenbaum feiern kann. Letztendlich kommt es darauf an, was wir aus unseren Möglichkeiten machen. Deim und seine Familie machen es sich am Feuer gemütlich und bringen so ihre Zeit am Heiligabend. Hauptsache sie sind zusammen. Ob im Wald oder im Haus ist dann Nebensache.
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