• Ich starte einen Selbstversuch bei der Veranstaltung „Deep-Talk“ im Café Eden
  • Small-Talk fällt komplett weg, es wird direkt über etwas gesprochen, was die Teilnehmer bewegt
  • Ziel der Veranstaltung: ein tiefgründiges Gespräch mit fremden Menschen

 

Heute möchte ich bewusst mit fremden Menschen ins Gespräch kommen. Den ganzen Tag bin ich angespannt, fühle mich ein wenig unwohl, bei dem Gedanken an den Abend. Ob es wirklich möglich ist, seine Gefühle vor Unbekannten Menschen preiszugeben? Gleichzeitig reizt mich der Gedanke, Menschen auf eine mir ganz neue Art kennenzulernen: ganz ohne Small-Talk! Aber wie genau beginnt man ein Gespräch denn überhaupt ohne all den Schnickschnack vorher?

 

Gemütliche Atmosphäre im Café Eden, mitten in der Bochumer Innenstadt.
Foto: Café Eden

 

Ein öffentliches Wohnzimmer mitten in der Bochumer Innenstadt

 

Nach einem Hinweg, geprägt von Unsicherheit und einem mulmigen Gefühl stehe ich pünktlich um 19:15 vor dem Café.

Acht freundlich grinsende Gesichter begrüßen mich, als ich das Café betrete. Der Raum ist durch Kerzen und Lichterketten in ein gemütliches, warmes Licht getaucht. Ich setze mich zu den mir noch unbekannten Menschen in einen Sitzkreis aus Sesseln. Ein Hauch Anspannung fällt von mir ab.

Interessiert schaue ich mich um. Entgegen aller Vorstellungen von einem Café erweckt der Raum eher den Eindruck eines gemütlichen, liebevoll eingerichteten Wohnzimmers. Mir kommt kurz der Gedanke an einen Trödelmarkt, nur in gemütlich und wohnlich. Die Wände sind voll gehängt mit Bildern, in der Ecke ein Klavier, davor ein altes Grammofon. In einem räumlich etwas abgetrennten Bereich links von mir stehen weitere Sessel und ein gefülltes Bücherregal. Der Name „Zweites Wohnzimmer“, wie das Eden liebevoll genannt wird, trifft es tatsächlich perfekt, ich fühle mich direkt heimisch.

 

Fünf Minuten im Eden – schon kullern Tränen

 

Sebastian, der sich seit 1,5 Jahren im Café Eden engagiert, stellt sich vor und begrüßt die Runde. Zwischendurch zittert seine Stimme noch etwas. Er ist also auch noch unsicher. Das beruhigt mich. Dann bin ich schon mal nicht die einzige. Wir alle sollen uns einmal vorstellen und direkt erzählen was uns im Moment in unserem Leben beschäftigt. Ich überlege kurz und bin froh, dass ich nicht die Erste bin.

Lydia erzählt davon, dass sie total unglücklich mit der Konsumgesellschaft ist. Hauptsache man bekommt alles so billig wie möglich. Dabei denkt aber kaum jemand an die Folgen für Menschen und Tiere. Sie schluckt. Ihr kullern einige Tränen über die Wange. „Tschuldigung!“ stottert sie peinlich berührt. Ich bin überrascht. Dass es so schnell emotional wird, hätte ich nicht gedacht.

 

Das Eden ist bunt – dafür sorgen unter anderem die vielen verschiedenen Möbelstücke.
Foto: Café Eden

 

Das Gespräch nimmt Formen an

 

Lange sprechen wir über das Thema, das Lydia angesprochen hat. Obwohl alle daran Interesse zeigen und mitdiskutieren, habe ich nicht das Gefühl, dass das Gespräch richtig in Gang kommt. Immer wieder gibt es Momente, in denen es peinlich still ist. Niemand traut sich, zu sprechen. Auch ich habe einige Male Gedanken im Kopf, kann mich aber nicht dazu überwinden, das Schweigen zu brechen.

20.40 Uhr – nach über einer Stunde fällt mein Blick das erste Mal auf die Uhr. Ich habe das Gefühl, dass sich in den letzten fünf Minuten etwas verändert hat. Das Gespräch ist lebendig. Es wird diskutiert, nachgefragt und gelacht. Ich nehme eine deutlich gemütlichere Position ein, als zuvor. Wie auf dem Sofa in meinem eigenen Wohnzimmer kuschle ich mich in die weichen Polster meines beigefarbenen Sessels. Die Oberfläche ist porös, vereinzelt quillt das Innenleben aus kleinen Löchern raus. Ich fühle mich richtig wohl in der Runde und traue mich deutlich öfter, meine Gedanken frei zu äußern.

 

Foto: Café Eden

 

„Mit meiner Mutter könnte ich darüber nicht so offen sprechen, wie mit euch!“

 

Eda spricht ein neues Thema an. Sie ist Moslem, lebt nach muslimischen Sitten, besucht regelmäßig ihre Gemeinde. Mit allen Werten, die vermittelt werden, kann sie sich aber nicht identifizieren. Sie ist unglücklich damit, dass sie nicht zu ihren Gefühlen stehen kann. „Meine Mama wäre so enttäuscht, mit ihr könnte ich jetzt nicht so offen darüber sprechen, wie mit euch.“ gibt sie, auf Nachfrage von mir, zu.

In der Runde sitzt eine weitere Muslima, ein Buddhist und vier Christen, einer davon schon vor Jahren aus der Kirche ausgetreten. Ein so grundehrliches, eindrucksvolles Gespräch über Religion habe ich nicht einmal im Religionsunterricht in der Schule erlebt.

Der Abend bringt noch weitere interessante Themen mit sich. Unter anderem sprechen wir über Missbrauch, den Tina mehrmals erfahren musste. Über Freundschaft, Beziehungen und Ehrlichkeit. Die Gesprächsthemen gehen nahtlos ineinander über, ergeben sich auch auf direkte Nachfrage von Teilnehmern, die sich an die Vorstellungsrunde zurückerinnern und dort genanntes wieder ansprechen. Kurz gehe ich in mich. Angst und Anspannung sind verschwunden.

 

Small-Talk muss nicht immer sein!

 

Die Stunden im Café Eden vergehen zügig.  Ein weiterer Blick auf die Uhr verrät mir, dass es schon 22.00 Uhr ist. Nach einer schnellen Verabschiedung von der Runde trete ich den Heimweg an. Ich bin total gut gelaunt, habe das Gefühl, ich fühle mich freier als zuvor. Auch zu Themen, mit denen ich zuvor keinerlei Berührungspunkte hatte, durfte ich meine Gedanken und Gefühle mitteilen. Es hat Spaß gemacht, frei sprechen zu können, ohne darüber nachzudenken, was die Leute von mir denken. Denn sie kennen mich nicht und ich kenne sie nicht.

Noch Tage nach der Veranstaltung denke ich über einige Themen, die angesprochen wurden, nach. Ich blicke ausschließlich positiv auf den Abend zurück. Es ist tatsächlich möglich, mit fremden Menschen tiefgründige, wertvolle Gespräche zu führen. Vielleicht ist es sogar manchmal einfacher, als mit jemandem Vertrauten zu sprechen. Niemand hat Erwartungen an mich, die ich erfüllen muss. Ich konnte von Grund auf ehrlich sein und bin stolz auf mich, meine Angst komplett abgelegt zu haben.

*außer Sebastian wurden alle Namen von der Autorin geändert

 

Du hast auch mal Lust, das Eden zu besuchen? Hier kannst du dir kommende Veranstaltungen anschauen.

 

Schon von außen sieht das Eden gemütlich und einladend aus.
Foto: Café Eden