• Sich selbst psychisch und physisch an seine Grenzen zu bringen, ist Teil von Andreas Treidlers Leben
  • Der 47-jährige Hobbyläufer hat an den Bieler Nächten teilgenommen, einem 100-Kilometer-Lauf
  • Bei Tageslicht und Dunkelheit geht es durch die Landschaft in der Schweiz

 

Dein Ziel ist es also, nicht bloß zu laufen, sondern dich selbst herauszufordern, deinen Körper an deine Grenzen zu bringen und noch mehr?

Genau, ich bin eh immer der Meinung, dass der Mensch, wenn er sich ein Ziel gesetzt hat, mehr schaffen kann als er eigentlich glaubt. Also wenn der Verstand sagt: „Ich kann jetzt nicht mehr“, schafft der Körper es trotzdem noch weiter. Das gibt einem einen Kick. Was schaffst du, wie hoch ist die Überwindung? Wie fühlt es sich an, Schmerzen zu haben in dem Sinne? Was ist, wenn du diese Distanz gebrochen hast, wie geht’s dann weiter, wann machst du schlapp? Also dieses Ungewisse, das war für mich der Reiz, das dann auch zu machen.  75 hast du geschafft, wie ist es dann mit 100, schaffst du die auch?

 

Wie waren die Begebenheiten vor Ort, zum Beispiel das Wetter oder die Landschaft?

Es ist dort sehr abwechslungsreich. Da sind viele Anstiege, wo du das Gefühl hast die sind ganz leicht aber eigentlich sind die unheimlich lang. Bei dem Lauf hattest du auch die Möglichkeit eine Begleitperson mitzunehmen, mit dem Fahrrad. Da hatte ich damals  einen Freund von mir mitgenommen.
Der Start ist nachts, um 22 Uhr. Ich bin zwar gut vorbereitet dahin gefahren, aber was ich nicht trainiert habe, ist es nachts zu laufen. Dein Körper ist nachts auf Schlafen eingestellt. Du musst dich aber zwingen, nachts zu essen und Pausen zu machen. Und ich konnte dann auch irgendwann  nicht mehr essen. Vom Start an war auch Dauerregen, 6 Stunden lang. Ich war so nass und am Frieren und das war schon brutal.

 

Wie bist du darauf gekommen, 100 Kilometer am Stück laufen zu wollen?

Ich bin ein Jahr zuvor eine 75-Kilometer-Strecke von Lübeck nach Hamburg gelaufen. Das hatte ich mir damals als großes Ziel gesteckt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mir ein neues Ziel gesucht habe mit dem Gedanken „Du willst mehr laufen“.

 

Was würdest du sagen, war der prägendste Moment bei dem Lauf, vielleicht der schlimmste oder der beste?

Das prägendste, das war wirklich eine Situation, das ist echt brutal und zwar kommt ab Kilometer 56 ein sogenannter „Ho-Chi-Minh-Pfad“. Das sind ca. 10 Kilometer, an einem Bach oder Fluss entlang. Da dürfen die Fahrradfahrer auch nicht mitfahren, weil es einfach zu gefährlich ist. Da sind jede Menge Wurzeln und Steine, du musst hochkonzentriert laufen. Diese Strecke hat viel Kraft gekostet.
Das war eine Passage, wo du wirklich nur mit dir alleine bist. Als ich dort gelaufen bin, war keiner mehr vor mir, keiner mehr hinter mir. Du konntest dich mit keinem unterhalten, du musstest diese Strecke alleine bewältigen. Das war schon etwas, was mich sehr beeindruckt hat.

 

Gab es Momente in denen du deine Motivation ganz verloren hast? Wie hast du dich an deinem Tiefpunkt gefühlt?

So ein Lauf, der verlangt schon ganz schön viel von einem ab. Irgendwann sagen die Beine: „Ich will nicht mehr“, aber der Kopf sagt: „Da musst du jetzt durch, das hast du so gewollt“. Aber irgendwann habe ich diese eigene Motivation verloren. Ich habe es nicht mehr geschafft, mich aufrecht zu halten, meine Beine haben nur noch gezittert. Ich habe gedacht, ich hätte da Schlangen drin. Und genau dann kam vom Kopf her der Gedanke, das schaffst du nicht mehr. Dann habe ich gesagt, nein, jetzt steigst du aus und bin bei Kilometer 78 ausgestiegen. Ich hätte nicht mehr weiterlaufen können.

 

Also man joggt auch, man geht nicht zu Fuß oder wandert?

Genau, man läuft. Aber ich muss sagen, ich bin dann teilweise auch viele Passagen gegangen, weil da war nichts mehr, keine Energie, man war total ausgebrannt. Dann dieses regnerische Wetter, da war die mentale Stärke teilweise einfach nicht mehr vorhanden, die physische auch nicht mehr.

 

Wirst du den Lauf erneut antreten?

Das ist für mich etwas, wo ich sage, da habe ich noch eine Rechnung offen. Das will ich auf jeden Fall einmal schaffen, diese 100 Kilometer zu knacken. Da sind aber natürlich Faktoren, die das nicht begünstigen, wie die Arbeit, das Alter, ein kaputtes Knie. Ich laufe momentan relativ wenig, vielleicht einmal in der Woche, bei so wenig Laufleistung kann man das gar nicht machen.
Ich weiß nicht, ob das eine Rechnung bleibt, die ich nie begleichen werde. Oder ob ich irgendwann sage ich versuche das nochmal, mit besserer Vorbereitung.

 

Wenn ich mich dazu entscheiden würde, auch 100 Kilometer zu laufen. Welche Voraussetzungen bräuchte ich, psychisch und physisch, um das zu meistern?

Ich würde das niemandem  empfehlen, der nicht einmal angefangen hat 10 Kilometer oder einen Halbmarathon zu laufen. Egal was du läufst, ist eine Herausforderung. Jeder sollte anfangen, seine eigenen Grenzen auszutesten und sich fragen: macht mir das überhaupt Spaß? Wie fühle ich mich dabei?
Als ich angefangen habe, habe ich erstmal nur kleine Läufe gemacht  und die fielen mir schon schwer, ob 5 oder 6 Kilometer. Aber mit dem Willen, das weiterzumachen, einfach weil es Spaß macht auch wenn es anstrengend ist, kommt auch der Erfolg. Auch das Gefühl, Blut geleckt zu haben: Jetzt hast du 10 geschafft, jetzt 20, da muss ja noch mehr drin sein. Ich weiß nicht, ob das in einem drinstecken muss, dieses Bedürfnis noch mehr zu erreichen.

 

Andreas Treidler beim Köln-Marathon. Foto: Andreas Treidler