- Eine Einladung zur Nachbarschaftsplattform „nebenan“ liegt in meinem Briefkasten
- In dem sozialen Netzwerk melde ich mich an und schildere meine Eindrücke
- Persönliche Bekanntschaften und einen Nebenjob habe ich dazugewonnen
Die oben zu sehende Einladung zur Online-Nachbarschaftsplattform „nebenan“ in der Hand, reagiere ich zunächst misstrauisch. Die Aufmachung ist simpel gehalten, wie mit einem einfachen Textverarbeitungsprogramm erstellt. Könnte also vom Nachbarn aus der Straße oder ein Teil von kriminellen Machenschaften sein, um an Daten und Geld zu gelangen. Von dem angepriesenen sozialen Netzwerk „nebenan“ habe ich noch nie gehört. Ich bin verunsichert. Der Zettel wandert vorsichtshalber in den Müll.
Am nächsten Tag spricht mich die 71-jährige Frau Kinter aus dem Erdgeschoss an. In ihren Händen hält sie eine weitere Kopie der Nachbarschaftseinladung und erfragt meinen Rat als junger Mensch, schließlich sei ich ein Digital Native. Ich gestehe, dass mir trotz Online-Affinität dieses Netzwerk überhaupt nichts sage und mache mich an die Recherche. Mich reizt die Idee dahinter, obwohl meine eigentliche Heimat am Niederrhein liegt.
Identitätsnachweis durch abfotografierten Personalausweis
Ein Hoch auf die Mülltrennung: Der Zettel wird kurzerhand wieder aus der Papiertonne gefischt. Auf der Einladung ist ein Zugangscode abgedruckt. Nachdem ich diesen auf der Webseite eingebe, werde ich unverzüglich der Nachbarschaft Erle/Resser-Mark& Umgebung zugeordnet und bin verifiziertes Mitglied.
Auch ohne Code, gibt es Möglichkeiten seinem Bezirk oder Stadtteil beizutreten. Die eigene Anschrift kann schnell durch ein hochgeladenes Foto von der Rückseite des Personalausweises verifiziert werden. Per GPS kann die tatsächliche Adresse auch bequem von zuhause aus kontrolliert werden lassen.
Ein lokales, soziales Netzwerk im Internet – eine Online-Nachbarschaft
Meine Umgebung wird als „besonders aktiv“ bezeichnet. Das automatisch zugewiesene Netzwerk setzt sich aus acht einzelnen Nachbarschaften und der näheren Umgebung zusammen. Darin sollen sich 594 aktive Nachbarn tummeln. Wenn ich in meiner direkten Umgebung nachschaue, fällt die Zahl auf 62. In meiner Straße ist es eine weitere Person. In meinem Haus bin ich (noch) der einzige.
Die Startseite ist schlicht gehalten und versprüht einen nostalgischen schülerVZ-Charme. Das Konzept wirkt aufgeräumt und verständlich. Laut Betreiber sortiere im Hintergrund kein Algorithmus die Beiträge wie auf anderen Plattformen üblich. Bei „nebenan“ sollen die Posts im News-Feed chronologisch angezeigt werden.
Der News-Feed reicht von Weihnachtsgrüßen bis zur Suche einer Nachhilfe.
Screenshot: Markus Großheim
Keine Hashtags, kein Liken, keine lustigen Videos – es geht um Alltägliches
Die Doppelkopfrunde eines Nachbarn hat sich aufgelöst. Über das Netzwerk sucht er nach einer neuen „geselligen Männerrunde“. Andere brauchen einfach nur einen nachbarschaftlichen Tipp: „Wir suchen ein Speiserestaurant, welches über die Weihnachstage geöffnet hat und wo man einen Hund mitbringen darf“, worauf innerhalb weniger Tage zwei Nutzer, einer gleich mit Telefonnummer, antworten.
In den News-Feed meiner Nachbarschaft habe ich mich tief hinein gescrollt. Die wenigen, aktiven Nutzer befeuern Beiträge und helfen, wo sie können. Der Großteil der Mitglieder scheint eine anfängliche Schüchternheit noch nicht überwunden zu haben. Nach einem ersten „Hallo, ich hatte auch einen Zettel im Briefkasten“ verfallen viele in Inaktivität. Einem Nutzer kommen unter der Überschrift „Nicht aufregend“ erste Zweifel, ob sich die Gruppe in die richtige Richtung entwickelt. Eine zuversichtliche Nachbarin entgegnet: „Hey, laß mal den kopf nicht hängen, schließlich muß sich dieses Netzwerk erst noch etablieren.“
Nachbarn schaffen Platz in den Regalen oder verkaufen ihre Küche vor dem Auszug.
Screenshot: Markus Großheim
Der persönlichere, virtuelle Flohmarkt
Ähnlich wie beim Facebook Marketplace oder eBay Kleinanzeigen findet sich der Gedanke des virtuellen Flohmarkts auch in der Nachbarschaftsplattform wieder. Der Handel erscheint kleiner und persönlicher als bei der Konkurrenz. Nähere Angebote werden sich im Internet kaum finden lassen. Ein Fest für alle überzeugten Selbstabholer.
Eine weitere Funktion aus bekannten, sozialen Netzwerken sind die Gruppen. Bis zu 15 Nutzer tauschen sich in meiner Nachbarschaft über Computertechnik, Fahrradreparaturen oder Haushaltstipps aus. Andere wiederum verabreden sich mehrmals die Woche zum Sport in einer Walking- oder Laufgruppe.
Virtuelle Nachbarn werden real
Die Anfrage von Nachbarn zum Schnee schippen während der Urlaubszeit.
Screenshot: Markus Großheim
In Resse Ost, wenige Minuten mit dem Fahrrad von meiner Wohnung entfernt, suchen Nachbarn Unterstützung beim Winterdienst während ihres Urlaubs. Über die Direktnachricht-Funktion nehme ich Kontakt auf und lerne ein pensioniertes Lehrer-Paar kennen. Nach einem Telefonat treffen wir uns persönlich, um Vorgehen und eine Aufwandsentschädigung abzustimmen.
Zwei von sechs Parteien in meinem Haus sind nun Mitglied: Nach meinen Eindrücken aus den ersten Tagen in der Online-Nachbarschaft, hat sich Frau Kinter aus dem Erdgeschoss ebenfalls angemeldet. Falls es in diesem Winter schneien sollte, werde ich vor dem Haus der Eheleute Schnee schaufeln. Auf diese Art können „neue“ Nachbarschaften entstehen.
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