- Anna macht eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung/Beeinträchtigung
- Ich habe einen Nachmittag als Heilerziehungspflegerin gearbeitet
- Die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung ist nicht immer leicht, aber ist voll von schönen Momenten und viel Humor
(Namen der Beteiligten wurden geändert)
Mit strammen Schritten kommt ein älterer Mann auf mich zu gestapft. Die Hände hält er angespannt vor der Brust zusammen. Seine Augen fokussieren mich und werden ganz schmal. Dann steht er vor mir, steckt mir einen Finger halb in mein linkes Nasenloch, sagt laut „Haus!“ und zieht weiter. So absurd wie einem diese Situation erscheinen mag, das war eine meiner ersten Begegnungen mit einem der Bewohner in der Einrichtung für Menschen mit Behinderung.
Mein erster Eindruck
Ich hatte Krankenhausatmosphäre und den Duft von Desinfektionsmitteln erwartet. Doch diese naive Vorstellung von einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung hatte sich innerhalb weniger Sekunden in Luft aufgelöst. Da stand ich nun: In einem bunten, modern eingerichteten Gemeinschaftsraum und wurde von neugierigen Blicken durchbohrt. Anna, die Heilerziehungspflegerin, die ich an dem Tag unterstützen durfte, begrüßte mich freundlich in lockeren Jeans und einem sommerlichen Oberteil. Dann stellte sie mich der Gruppe vor und alle Bewohner reichten mir freundlich die Hand. Manchen sah man es direkt an, dass sie eine Behinderung haben. Andere konnte man kaum von den Pflegekräften unterscheiden. Nachdem bei den Bewohnern die anfängliche Verwirrung über mein Erscheinen verflogen war, prasselten die ersten Fragen auf mich ein. Als mich Paul fragte ob ich sein Zimmer sehen möchte, habe ich mir nichts groß dabei gedacht und habe das Angebot erst mal dankend angenommen.
„Wie im Kindergarten nur cooler“
In Pauls Zimmer angekommen, stand ich vor einer Wand voll mit BVB-Fanartikeln. Begeistert zeigte er mir, dass selbst seine Rollos gelb gefärbt sind und perfekt zu seiner Dortmund-Wand passen. Hätte man mir ein Foto von dem Zimmer gezeigt und gefragt wie alt die Person ist, die dort lebt, hätte ich wahrscheinlich auf zwölf Jahre getippt. Paul ist allerdings Mitte vierzig.
In solchen Situationen fand ich mich während meiner Schicht als Heilerziehungspflegerin immer wieder. Draußen im Garten saß ein Mann im Sandkasten, der voller Tatendrang mit einer blauen Schüppe für Kinder ein Loch buddelte. Neben ihm lagen weitere bunte Förmchen die er ab und zu mit Sand füllte und dann wieder auskippte. Zwei andere aus der Gruppe schaukelten in der hinteren Ecke des Gartens. Ein Bild welches man von erwachsenen Leuten nicht gewohnt ist. Dabei wirkten die Bewohner sehr unbeschwert und glücklich. Wieder zurück im Gemeinschaftsraum fiel mein Blick auf die verschiedenen Wochenpläne der Klienten. Der Einkaufsplan beispielsweise war so vereinfacht dargestellt, dass niemand ihn missverstehen konnte. Anstatt, dass auf der Einkaufliste Wörter standen wie „Pilze“ gab es einfach ein Foto von Pilzen. So wusste jeder was eingekauft werden muss. Ein anderer Bewohner tippte mir auf die Schulter, um mir zu zeigen, wie schön er tanzen kann. Auch ohne Musik wackelte er mit der Hüfte und wirbelte mit den Armen. Ich fragte Anna, ob sie diese ganzen Situationen immer noch genau so ungewöhnlich findet wie ich an meinem ersten Tag in der Einrichtung. Darauf fand sie ziemlich treffende Worte: „Das ist hier wie im Kindergarten nur viel cooler.“
Die tägliche Pflege der Bewohner
Natürlich gibt es neben den vielen schönen und amüsanten Momenten auch die, für Außenstehende, eher unangenehmen Situationen. Die Bewohner der Einrichtung müssen schließlich auch sauber gemacht werden, da sie das selbst größtenteils nicht können. Da ich keine ausgebildete Pflegekraft bin, blieb mir diese Tätigkeit, zu meinem Glück, erspart. Allein durch die Erzählungen der Pflegekräfte und als Anna mir das Lager für die vielen verschiedenen Windeln zeigte, empfand ich einen enormen Respekt für Anna und alle aus ihrem Team. Denn wenn ich ehrlich bin, wenn ich mir vorstelle ich müsste einem ausgewachsenen Mann die Windeln wechseln, dann bekomme ich einen kleinen Schauer. Umso schöner ist es, dass es Menschen wie Anna gibt die eben genau diesen Job lieben. Mit all seinen Facetten. Die Pflege ist für Anna ebenso eine Selbstverständlichkeit, wie mit den Bewohnern Spiele zu spielen und zu kochen.
Mehr Offenheit und Herz
Kurz vor der Abendpflege machte ich mich auf den Heimweg. Während die Tür hinter mir zufiel hörte ich eine Bewohnerin mir nachrufen: „Bis morgen dann, Rieke“. Und auch wenn ich am nächsten Tag erst mal nicht wiederkommen würde – einige der Bewohner haben mich mit ihrem Charme, mit ihrer Direktheit und fröhlichen Offenheit beeindruckt und sehr berührt. Ein bisschen mehr von dieser Leichtherzigkeit täte vielen von uns auch gut.
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