Reportage Online von Dennis Huch

  • Der Winter steht bevor, auf Lesvos droht das große Erfrieren
  • Ein Hilferuf geht in Bochum ein. Jeder Schlafsack kann ein Leben retten.
  • Eine private Initiative nimmt den Wettkampf mit der Zeit an.

Ein Feuer bricht im überfüllten Lager aus

Die feuerrote Sonne beginnt langsam am Himmel unterzugehen. Der Himmel ist azurblau getränkt. Es ist ein Anblick wie auf der schönsten Urlaubsinsel. Plötzlich steigt Rauch auf. Ein Meer von grauen Rauchschwaden bahnt sich seinen Weg durch die Atmosphäre.  Hinzukommt der penetrante Gestank von Verbranntem. Im Lager Moria auf Lesvos brennt es. Mehrere Wohncontainer stehen in Flammen.  Von ihnen bleibt nicht viel übrig. Aus den weißen Wellblechboxen ist eine braune Konstruktion mit „Open Air-Feeling“ geworden.  Die Dächer sind nicht mehr existent. Eine Frau und ihr Kind sterben in den Flammen.

An einer weißen Mauer kniet ein Mann mit kurzen schwarzen Haaren im beigen Poloshirt. Verzweifelt schaut er zum Boden, wäscht sich mit Wasser die haselnussfarbenen Augen aus.  In der Luft liegt nicht nur Rauch. Beißendes Tränengas hat sich dazugesellt. Bereitschaftspolizisten versuchen die angespannte Lage unter den Lagerbewohnern in den Griff zu bekommen. Das Feuer hat für Aufruhr gesorgt. Ein schwieriges Unterfangen. Diese Bilder werden vom WDR auf die heimischen Bildschirme projiziert.

Das Lager Moria ist für knapp 3.000 Menschen ausgelegt. Nach neuen Schätzungen leben dort allerdings 15.000 Hilfsbedürftige. Die meisten ohne richtige Unterkunft. Sie verweilen in provisorischen Zelten oder Kisten.  Noch ist der Himmel blau und die Sonne sorgt für Wärme. Doch der Herbst kündigt den Winter bereits an. Dann wird es auch auf Lesvos bitterkalt werden. Wer schon einmal bei zwei Grad im Freien geschlafen hat, weiß um die Tücken der Nacht.

Ein Hilferuf wird abgesendet und empfangen

Es ist ein normaler Tag im Oktober. Die braunen Laubblätter auf dem Boden vermehren sich, Schirme in allen Farben werden aufgespannt, Regentropfen prasseln vom Himmel. Des Öfteren hört man ein Niesen in den Straßenbahnen. Taschentücher und wärmende Erkältungstees haben Hochkonjunktur. Da geht in Bochum ein Hilferuf ein. Judith Büthe und Jens Feddersen werden von einer Bekannten kontaktiert. In den Flüchtlingsunterkünften auf den Ägäischen Inseln werden dringend Schlafsäcke und Decken benötigt. Die Lager sind leer, die Menschen sich selbst überlassen. Es droht das große Erfrieren.

Judith ist eine bekannte Fotojournalistin, Jens betreibt in Bochum das beliebte Szenelokal „Freibeuter“. Beide haben in der Vergangenheit den Verein Resqship mitgegründet und sind in der Seenotrettung engagiert. Vor allen Dingen sind sie noch gut vernetzt. Bei einer Zusammenkunft lassen die beiden ihren Gedanken freien Lauf. Eigentlich gleicht das Ganze einem Himmelfahrtskommando. Über 10.000 Kinder, Frauen und Männer benötigen kurzfristig eine wärmende Schlafgrundlage. Das Ganze ist dann noch ohne vorhandenes Budget und ohne stehende Logistik zu stemmen. Eigentlich! Denn schon ein Schlafsack kann ein Menschenleben retten. Motivation genug! Die beiden legen los. Sie legen sprichwörtlich los wie die Feuerwehr. Die Telefone glühen, Emails werden geschrieben, bis sich die schwarzen Tasten der Tastatur biegen. Freunde, Bekannte, ehemalige Mitstreiter-sie alle werden aktiviert.  Die private Initiative „Bag For Good Lesvos“ wird in das Leben gerufen. Eine Facebook-Kampagne wird parallel zur Unterstützung gestartet. Anfang Dezember möchten Judith und Jens die Spenden persönlich auf die griechische Insel befördern. Jetzt ist es an der Zeit, Sammelstellen zu errichten.

Auch die „Banditen wie Wir“ werden zur Sammelstelle

In der Banditenbar in Essen ist wieder reger Betrieb. Die leicht abgerockten braunen Holztische sind komplett belegt. Vorzugsweise wird Gin Tonic mit Gurke getrunken. An der langen weißen Theke hat sich eine blonde Dame mit ihrer Freundin niedergelassen. Sie bestellt einen Aperol Spritz. „Bitte nicht so stark“ sind ihre Worte. Es ist Inga Sponheuer. Sie arbeitet für die Musikschule der Stadt Bochum und engagiert sich dort parallel für die medizinische Flüchtlingshilfe. Heute ist es nicht ihre Mission einen schönen Abend zu verbringen, sondern die Banditenbar als Sammelstelle zu gewinnen. Gesagt, getan. Für solche Aktionen hat man hier immer ein offenes Ohr. Umgehend wird das gelbe Aktionsposter im Schaufenster angebracht. Im Getränkelager wird extra eine Ecke für Schlafsackspenden reserviert. Erste Erfolge werden schnell vermeldet. Inga Sponheuer freut sich, denn in der Bochumer Musikschule selbst, findet die Aktion bisher kaum Anklang. Nicht jeder hat noch ausrangierte Schlafsäcke übrig, speziell auch noch wintertaugliche.

Gabriel Gedenk, Besitzer der Banditenbar mit ersten Spenden
Foto: Dennis Huch

Diese Tatsache ist auch Judith und Jens bekannt. Deshalb darf über die Plattform „betterplace“ auch gerne Geld gespendet werden. Diesbezüglich ist den beiden ein richtiger Coup geglückt. Die Spreen Online GmbH aus Bocholt stellt winterfeste Schlafsäcke für zehn Euro das Stück bereit.

Tempo, Tempo, Tempo: Es wird gewirbelt und gestapelt

Hektik in Bochum. Judith ist auf einem Fototermin in Leipzig gewesen. Ihre Rückreise verspätet sich. Am tristen Bahngleis fehlt vom erwarteten ICE jede Spur. Zugausfall! Wie so oft. Das Bahngleis bleibt leer. Es wird umdisponiert und viel telefoniert. Bis der Handyakku komplett aufgibt. Denn heute geht es nach Bocholt. Die erste Ladung der bestellten Schlafsäcke muss abgeholt werden. An der KoFabrik in Bochum, dem Zentrallager stehen Helfer zum Entladen bereit. Dann eben später.

Aufgegeben wird nicht. Eigentlich hatten die beiden vor, den dunkelblauen Sprinter am frühen Nachmittag zu entladen. Nun ist es bereits kurz nach sechs am Abend. Genug Helfer sind trotzdem vor Ort. Schultern, Arme, die Hände, fast jedes Körperteil wird benutzt, um die erworbenen Schlafsäcke im Eiltempo in den grauen Keller zu bekommen. Die schmale Kellertreppe ist dabei kein Hindernis. Die Stimmung ist richtig gut, es wird gelacht. Trotz der heutigen Strapazen ist es ein gelungener Ausklang des Tages gewesen. Im zentralen Lager stapeln sich nun über 400 Schlafsäcke und über 200 Decken.

Kleine Dinge bewirken Großes

Noch ist die Aktion nicht beendet. Die Ziele bleiben ehrgeizig. Fest steht schon jetzt, an einem normalen Tag im Dezember, werden auf Lesvos viele Menschen einigermaßen warm durch die Nacht kommen. Dank des neuen Schlafsacks überleben. Oftmals sind es die anfänglich kleinen Dinge, die das Große bewirken.