- Wie ist es eigentlich sich um fremde Menschen zu kümmern? Was sind die täglichen Herausforderungen? Ich „teste“ den sozialen Beruf Krankenschwester.
- In Deutschland arbeiten rund 730.000 Menschen im nichtärztlichen Dienst im Krankenhaus. (Quelle de.statista.com). Über 75% sind Frauen (Quelle destatis.de).
- Einmal das Krankenhaus aus der umgekehrten Perspektive betrachten. In Zeiten des Pflegefachkräftemangels, begleite ich das Personal.
(Die Namen der Patienten werden in dieser Reportage nicht genannt.)
Es ist dunkel, kalt und früh. Ein Freitag, 5.30 Uhr im Ruhrgebiet. Die Sonne ist natürlich – aufgrund der Jahreszeit – noch längst nicht aufgegangen und ich bin müde. Nein ich komme nicht vom Feiern, ich werde heute in einem Krankenhaus eine Frühschicht lang über die Schultern von Krankenschwestern und Krankenpflegern blicken.
Um das Krankenhaus herum ist zur frühen Stunde überdurchschnittlich viel los. Autos werden zügig am Straßenrand eingeparkt, Menschen auf Fahrrädern trotzen den Temperaturen und steuern die Fahrradständer an, Linienbusse lassen Menschen an der Bushaltestelle direkt vor dem Hauptgebäude raus. Denn um sechs Uhr beginnt die Frühschicht für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Krankenhaus. Ich gehöre heute dazu. Mein Tagespraktikum startet.
Im Krankenhaus, da grüßt man sich
Im Foyer treffe ich Silvia (51). Sie arbeitet schon jahrzehntelang als Krankenschwester. „Guten Morgen“, begrüßt sie mich freundlich und ich merke, dass sie deutlich fitter ist als ich. Sogar Zeit für ein wenig Make-Up hat sie sich heute früh genommen. Leicht nach Parfum duftend erklärt sie mir, dass die Umkleiden im Keller sind und da auch meine Arbeitskleidung auf mich wartet. Auf dem Weg nach unten grüßt Silvia bestimmt zehn andere Personen: Handwerker in Blaumännern, Ärzte in Freizeitkleidung, Reinigungskräfte in blau-gestreifter Arbeitskleidung. „Ich weiß nicht alle Namen, aber wir kennen uns vom Sehen. Im Krankenhaus arbeiten die Stationen viel untereinander zusammen und da ist es gut Kontakte zu haben“, erklärt sie.
Die Umkleideräume sind eng – kantige Spinde aus Metall und knapp 1,50 Meter breite Gänge. Silvia öffnet ein Türchen mit all ihren Sachen. Weiße Hose, weißes Oberteil, weiße Turnschuhe. Auch für mich wurde ein frisches Kleidungspaket bereitgelegt. Durch das Licht der Neonröhren schimmert es gräulich. Schnell ziehen wir uns um. Der feste Stoff fühlt sich erstmal steif auf der Haut an. „Gleich ist schon Übergabe. Wir müssen hoch“, sagt Silvia während sie ihr Taschen mit Stiften, Schere und Kleberolle versieht und sich ihr Namensschild ansteckt. Meine Taschen bleiben leer.
Ein wichtiges Update – Die Übergabe
Die Nachtschwester heißt Julia und ist 23 Jahre alt. Sie hat gerade eine 9,25 Stunden Schicht hinter sich, in der sie allein die Verantwortung für eine ganze Station hatte. Trotzdem hat sie ansteckend gute Laune. Am Tisch in der Stationsküche sitzen auch schon Janine (29), die Stationsleitung und Katharina (25) vor Kaffee und Energiedrink. Ich fühle mich wohl in dem kleinen Raum. Es riecht mehr nach Kaffee als nach Krankenhaus.
Auf dem Tisch liegen Papierbögen, auf denen die Patientennamen eingetragen sind. Die Schwestern der Frühschicht schreiben handschriftlich mit, während die Nachtschwester auf jeden Einzelnen eingeht. „Patientin A in der Eins ist zum Tumor-Staging hier. Sie hat eine Zwangsneurose, aber ihre Nacht war ruhig.“ So geht es eine halbe Stunde mit Unterbrechungen weiter. Patientin B in Zimmer zehn hat nach einer Operation den Kiefer vernäht bekommen und Schwellungen im Gesicht. Eine Zimmerklingel ertönt schrill. Schwester Silvia sieht nach dem Rechten. Ein junger Mann ist auch Post-OP hier und hat metastierenden Krebs. Es klingelt und Janine steht auf. Patientin C wartet auf ihre Operation und erneut piept es laut. Das Geräusch werde ich heute noch öfters hören.
Der Kasten Veltins
Mein Blick schweift durch den Raum. Eine grau-grüne Box fällt auf. In der hellen, sauberen Umgebung wirkt diese irgendwie grotesk. Ich frage mich was ein großer Kasten Bier, mit leeren Flaschen gefüllt in einer Krankenhausküche zu suchen hat. Sponsort das Krankenhaus seinen Mitarbeitern das Feierabendbierchen? Später werde ich genauer nachhaken.
Ein kleiner Marathon
Die Schicht beginnt. Wie bereiten einen kleinen Silberwagen mit Kühlelementen und Schmerztropfen vor. Mit einem „Guten Morgen, das Licht geht einmal an.“ werden die Patienten geweckt. Ich laufe hinterher. Im Stechschritt gehen die Schwestern über den Flur. Ich passe meine Schritte dem Stakkato-Tempo an. Es ist noch nicht 7 Uhr. Es klingelt und piepst. Patienten waschen, Betten machen, Medikamente stellen. Lächeln, mit Patienten Plaudern, und Ärzten Bescheid geben. Dann Blutabnehmen, auf OPs vorbereiten und Proben ins Labor bringen. In den Keller laufen und wieder rauf. Durchs Treppenhaus geht es schneller als mit dem Aufzug.
Ich sehe Blut, Nadeln, nackte Haut, Blutergüsse und Schläuche, die in Menschen stecken. Eine Lampe auf dem Flur blinkt. Eine Patientin muss erbrechen. Ärzte kommen und gehen, es wird fast immer gegrüßt. Es ist nach 9 Uhr, als alle dazu kommen etwas zu Frühstücken.
Betten, die „in den Rücken gehen“
Dann ertönt ein anderes Klingeln. Der OP ruft für Patientin C an. Sie scheint sehr nervös zu sein. Schwester Silvia bringt sie mit einem lockeren Gespräch zum Lachen. Dann zeigt sie mir, wie man das schwere Bett durch die Flure manövriert. Ich stelle mich besonders unbeholfen in den Kurven an. Das Gewicht ist immens. Im Schieben spürt man seinen unteren Rücken. Ich weiß es ist üblich, dass Schwestern die Betten sonst auch allein schieben und bin froh, dass ich es nicht muss. Auf dem Rückweg frage ich nach dem Kasten Bier in der Küche und Silvia muss lachen. „Nein, das ist für stationäre Patienten, die zu uns kommen und eine Alkoholsucht haben.“
Wieder oben auf der Station angekommen, bin ich außer Atem. Aber die Schicht, die ich jetzt schon in den Beinen spüre, neigt sich dem Ende zu. Die Spätschicht ist eingetroffen. Wir machen uns wieder auf den Weg in den Keller. Alle ziehen die weiße Kleidung aus und ihre bunte Kleidung wieder an. Für mich war es ein körperlich anstrengender Tag, aber Janine ist überrascht, dass die Schicht heute so angenehm ruhig war.
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