• Der Gnadenhof in Wattenscheid ist die Herberge für psychisch und körperlich kranke Tiere
  • Die Ponys und Pferde werden von Pferdemärkten vor dem Schlachter gerettet
  • Spendengelder und Ponyreitstunden allein finanzieren den Hof

Es ist eine Entscheidung zwischen Leben und Tod. Sie werden von Schlachter zu Schlachter gereicht, gerettet, wieder misshandelt oder einfach verstoßen. Die vielen Ponys, Pferde, Ziegen, Gänse und Katzen hatten keine einfache Vergangenheit, aber bekommen jetzt auf dem Gnadenhof in Wattenscheid eine zweite Chance.

Der kleine Hof liegt hinter einer Reihe von Mehrfamilienhäusern fast versteckt. Es riecht nach frischem Heu, Hoftieren und nasser Erde. Als Karin und ihre Praktikantin Noelle das alte braune Holztor hinter sich schließen, herrscht schon große Aufregung. Alle Tiere wollen das Gleiche: Futter und jede Menge Streicheleinheiten.

Vom Pferdemarkt vorm Schlachter gerettet

Dass es den vielen Vierbeinern und Gänsen heute so gut geht, verdanken sie allein ihrer Besitzerin Karin Jericho. Vor zwölf Jahren hat sie ihr erstes Pferd von einem Pferdemarkt in den Niederlanden gerettet. Heute sind es schon vier Pferde, sieben Ponys und viele weitere Tiere, denen sie auf ihrem Gnadenhof ein besseres Leben schenkt.

Mit bedrückter Stimme und ernstem Blick erzählt sie, solche Märkte seien dafür da, mit kranken Fohlen und Ponys Mitleid zu erregen, um Umsatz zu machen. Oftmals seien die Märkte aber auch ihre letzte Möglichkeit, ein warmherziges Zuhause zu finden – die meisten kämen danach zum Schlachter.

Karin ist es bei der Rettung wichtig, nicht nur alten Tieren ein Zuhause zu bieten, sondern in erster Linie psychisch und körperlich Kranken, die noch eine Chance auf ein neues glücklicheres Leben haben.

Rusty – Das einst ungeliebte Kuschelpony

„Rusty! Bist du jetzt bald fertig?“ ruft Karin dem brauen, hundsgroßen Vierbeiner zu, der sich gerade genüsslich an einer Tüte mit Brötchen und Leckerlis zu schaffen macht. Keks nach Keks fällt auf den Steinboden vor der Hütte auf dem Hof und landet schnell im Bauch.

Bei seiner Ankunft 2013 war der kleine Chaot gerade einmal 46 cm groß. Auch er hätte ohne Karin keine Chance gehabt. Aufgrund seines krummen Rückens ist Rusty niemals reitbar. Ein Todesurteil für ein Shetlandpony. Auf dem Gnadenhof hilft er deshalb nicht beim Ponyreiten, sondern als Therapie- und Kuschelpony

Rusty, ein kleines neugieriges Shetlandpony, von Karin vor dem Schlachter gerettet
Foto: Vanessa Wobb

Die tägliche Portion Heu

Schnell wird durch Rustys Nascherei klar – es muss Futter her. Erst zwei, dann vier, dann sechs Heuballen wirft Karin mit Schwung aus einem grünen Zelt, über den Holzzaun, in Richtung hungrige Bande. Das Heu bekommt sie von einem Bauern aus Marl. Viele Andere seien leider nicht in der Lage, regelmäßige Lieferungen zu garantieren.

Damit jeder der Fellnasen ausreichend Futter erhält, befestigt Karin die gymnastikballgroßen Säcke an Stallwänden und Holzstämmen. Begleitet wird sie dabei von Ziegen und Ponys, die sich keine Gelegenheit auf einen frischen Heu-Halm entgehen lassen. Halm nach Halm wird aus dem Ballen gezupft. Heute Abend gibt es eine zweite Ration: elf Säcke für die Nacht.

Karin Jericho, Besitzerin des Gnadenhofes in Wattenscheid, zusammen mit drei ihrer 22 Tiere
Foto: Vanessa Wobb

Bürsten und Striegeln – Ein Zeichen von Respekt und Vertrauen

Überall wird munter genascht, als Noelle alles für das Putzen zusammensucht: Gummistriegel, Bürste, Leine, Pony. Gerade, weil die Tiere den ganzen Tag im Freien leben, sich in den Schlamm auf dem Reitplatz werfen können und ständig mit der langen Mähne im Heu hängen, ist das tägliche Bürsten Pflichtprogramm. Gerne auch mit einer pinken Prinzessinnen-Bürste.

Mit kreisförmigen Bewegungen bürstet sie das schneeweiße Pony vom Hals, über den Rücken, bis unter den Bauch. Die kleine Dame Sunny kam ebenfalls 2013 nach Wattenscheid. Bisher hat sie noch kein richtiges Vertrauen zu Karin und ihren Helferinnen gefasst – das Hufe-geben fällt heute noch aus. Was ihr damals widerfahren ist, ist unklar, aber sie scheint es noch nicht vergessen zu haben.

„Ohne Ponyreiten fehlt uns das Geld.“

Pünktlich um 15 Uhr tapsen kleine Reiterstiefel durch das Holztor Richtung Hütte. Zwei junge blonde Mädchen kommen mit einem verunsicherten Lächeln auf den Lippen zum Reiten. Schnell streckt die ältere ihren Arm in die Luft: „Hier ich, ich will anfangen!“. Gemeinsam mit Noelle führt sie ihr Pony an einer bunten Leine Richtung Putzstelle.

Erst muss das braune, zottelige Fell gebürstet werden, bevor es mit dem Sattel auf den matschigen Reitplatz gehen kann. Für den Gnadenhof ist das Ponyreiten die Haupteinnahmequelle. Fallen die Reitstunden weg, fehlt das Geld für den Hof und damit auch für die Tiere. Deshalb braucht Karin dringend mehr ehrenamtliche Helfer, die sie dabei unterstützen.

Das Ponyreiten soll Kindern den ersten Kontakt mit den Tieren vermitteln
Foto: Vanessa Wobb

Allmählich wird es feucht-kühl auf dem Gnadenhof. Die große Aufregung von heute Mittag ist verschwunden. Obwohl die Sonne langsam untergeht, war es das für heute noch lange nicht mit der Arbeit. Kinder warten auf ihre Reitstunden und auch die Ställe misten sich nicht von alleine aus.

Und natürlich warten auch die vielen Ponys, Pferde, Ziegen, Gänse und Katzen, die mit Karin eine zweite Chance erhalten haben, wieder auf Futter und jede Menge Streicheleinheiten.