• Bei der tanzmoto dance company in Essen-Kettwig tanzen Rollstuhlfahrer und Menschen ohne Einschränkungen gemeinsam.
  • Studioinhaber Mohan C. Thomas möchte damit Vorurteilen entgegenwirken
  • Die Rollstuhlfahrer bekommen die Chance sich im Tanz auszudrücken

Uno, Dos, Tres, Quattro – Mohan C. Thomas zählt laut den Takt vor, während der Elektroswing-Hit „We No Speak Americano“ von Yolanda Be Cool, mit einem kräftigen Bass, aus dem schwarzen Ghettoblaster in der Ecke dröhnt. Der Choreograph steht mitten in seinem Tanzstudio, dem tanzmoto studio space, und wippt mit seinem Körper im Takt. Auch die vier hinter ihm, leicht versetzt in einer Reihe, stehenden Teilnehmerinnen mobilisiert der Beat. Eine gelöste und freudige Atmosphäre liegt im kleinen Tanzstudio.

Die Moves, die sie gemeinsam machen beschränken sich hauptsächlich auf die Arme und den Oberkörper, weil drei der vier Teilnehmerinnen an einen Rollstuhl gebunden sind. Die weite schwarze Trainingshose des Tanzlehrers schlabbert bei jeder Bewegung an seinem Körper. Den grauen Hoodie, unter dem Mohan C. Thomas ein schwarzes Langarmshirt an hat, legt er nach kurzer Zeit ab. Der Schweiß auf seiner dunklen Haut schimmert im Licht. Seine Augen strahlen und sein Mund formt ein Lachen in das runde Gesicht.

Perfektionistin im Rollstuhl

Johanna Keller folgt mit konzentriertem Blick und aufeinandergepressten Lippen den Anweisungen und Erklärungen von Mohan C. Thomas. Die 27-jährige trägt ein schwarz-grau gestreiftes Langarmshirt mit aufgekrempelten Ärmeln, unter denen bunte Tattoos an den Unterarmen herausragen. Dazu eine grau-weiße Sporthose und pinke Socken mit schwarzen Punkten.

Johanna Keller tanzt seit 2015 bei tanzmoto (Foto: Niklas Buhr)

Von einer der Ecken des Tanzstudios nimmt sie mit beiden Händen Schwung und kreuzt diese danach, passend zum Takt, in der Luft zu einem Kreuz. Die Hände mit geballten Fäusten lösen sich voneinander und werden energisch an den Körper gezogen. Dabei fliegen auch ihre langen dunkelbraunen Haare durch ihr Gesicht.

„Handicap als Stärke ausarbeiten“

Zusammen erarbeiten sie eine kleine Gruppen-Choreographie, bei sich die vier Teilnehmerinnen auch mit Schüben auf dem kleinen Stützrad Choreograph Mohan in der Mitte nähern. Johanna wackelt mit den Schultern, lässt ihre Arme kreisen und streicht sich mit der linken Hand durch das Gesicht, während sie mit der anderen Hand, an der mehrere bunte Festival-Bändchen sind, wieder Schwung holt. Sie findet den „Rolli-Dance richtig toll, weil Rollstuhlfahrer und Fußgänger sich ergänzen.“

Die Erzieherin aus Recklinghausen tanzt seit 2015 und kann so ihr „Handicap als Stärke ausarbeiten.“ Mit elf Monaten wurde bei ihr Krebs, der auch Metastasen ins Rückenmark gestreut hatte, diagnostiziert. Seitdem leidet sie an einer inkompletten Querschnittlähmung, die sie an den Rollstuhl bindet.

Greta will lernen im Rollstuhl zu tanzen

Plötzlich Stille. Der Körper von Greta Wessling ist angespannt, die Arme sind in der Luft gestreckt und nur ihr leichter Atem lässt die herausgefallene Strähne, der langen zu einem Zopf zusammengebundene braunen Haare, nach vorne wehen. Die zierliche Schülerin mit schmalem Gesicht trägt eine lila Sweat-Jacke mit Kapuze, ein weißes Shirt, eine graue Sporthose und schwarze Sneaker.

Choreograph Mohan C. Thomas zeigt verschiedene Moves im Rollstuhl (Foto: Niklas Buhr)

Im Unterschied zu Johanna, kann Greta ihre Beine bewegen und ist nicht an den Rollstuhl gebunden. Dennoch weiß die 15-jährige, dass „man sich ohne Beine nur extrem schwer ausdrücken kann.“ Normalerweise tanzt sie in der Junior Dance Company und in der Dance Company von tanzmoto. Seit zwei Wochen tanzt sie auch im Rollstuhl, weil sie es interessant findet „wie stark sich Menschen ohne ihre Beine ausdrücken können.“

Zusammenspiel von Fußgängern und Rollstuhlfahrern

Ruhige instrumentelle Musik, die an einen Space-Film erinnert, schallt durch das ehemalige Ballettstudio, dessen Ballettstangen ringsum noch an die alte Zeit erinnern. Greta und Johanna bewegen sich mit Oberkörper, Armen und Händen ganz langsam im Rollstuhl durch das studio space. Es fühlt sich so an, als würde man in einem eigenen kreativen Kosmos sein oder am Himmel nach den Sternen greifen.

Jenen Sternen die auf der Radverkleidung von Gretas Rollstuhl abgebildet sind, als Tanzlehrer Mohan C. Thomas sich selbst in die Choreographie einbaut und für ein Zusammenspiel von Fußgängern und Rollstuhlfahrern im Tanz sorgt.

Mohan C. Thomas will „Perspektivwechsel schaffen“

Auf die Idee ist der Artist und Tanzlehrer 2012 bei einem Tanzworkshop mit Kindern in Dortmund gekommen. Er wurde von einem Rollstuhlfahrer angesprochen, ob er sich auch eine Zusammenarbeit mit Rollstuhlfahrern vorstellen könne. Der 43-jährige fand „die Idee super einen Perspektivwechsel zu schaffen“ und ist dankbar für diese „besondere Art der Kunst“

Im Rollstuhl wir ein Teil der Choreographie eingeübt (Foto: Niklas Buhr)

Nur ein Jahr später startete er das erste Projekt „On a roll“, welches in der Essener Lichtburg aufgeführt wurde. Da alle Teilnehmer des Projektes weitermachen wollten, startete er in seiner Tanzschule einen Rolli-Dance Kurs.

Enttabuisieren und Vorurteilen entgegenwirken

Mit den Tanzkursen für Rollis will Studioleiter Mohan C. Thomas „enttabuisieren und Vorurteilen gegenwirken.“ Auch Johanna und Greta sind dankbar für die neuen Erfahrungen und Möglichkeiten, die sie durch den Rolli-Dance haben. Beide finden, dass „es schon was Besonderes ist.“