• Gehörlose werden durch Corona-Maßnahmen vom Leben ausgeschlossen.
  • Offizielle Informationen kommen selten bei Ihnen an.
  • Gelsenkirchener Gehörloser bietet Beratungsservice per Videochat und persönlich an, um Gehör-losen und Schwerhörigen den Zugang und Umgang mit Corona-Regelungen zu erleichtern.
Klaus Dieter Seiffert in seiner Beratungsstelle im Anno 1904 Vereinshaus in Schalke. Foto: Angelina Seel

Kein Jubeln, kein Geräusch von Gläsern, Menschenmengen oder Freude. Heute ist es im Vereinshaus des Anno 1904 vor allem eins: Still. Und inmitten dieser Stille sitzt ein Mann, der wild mit seinem Computer gestikuliert. Was von weitem aussieht, wie ein wütender PC-Besitzer, wird bei näherer Betrachtung zu einem Sinnbild für Solidarität.

Wortlose Beratung

Der Mann heißt Klaus Dieter Seiffert, ist gehörlos und versucht gerade einer ebenfalls gehörlosen Person über den Videochat zu erklären, was in einem Brief des örtlichen Gesundheitsamtes steht. Jeden Tag von 14 bis 18 Uhr bietet Seiffert Beratungsstunden im, durch Corona derzeit geschlossenen, Vereinshaus des Anno 1904 an.

Der Grund dafür: Gehörlose und Schwerhörige Menschen werden bei Corona-Maßnahmen oft nicht bedacht. Maskenpflicht und die Umstellung von Service und Dienstleistungen über das Telefon. Das alles nimmt die Möglichkeit aktiv am Leben teilzunehmen, aber auch schnell Hilfe zu erhalten, wenn sie benötigt wird.

Erschwerte Bedingungen

Deutschlandweit leben rund 80.000 Gehörlose und 16 Millionen Schwerhörige. Viele von ihnen sind auf Lippenlesen als Kommunikationsstütze angewiesen. Dazu kommt, dass Menschen mit Vorerkrankungen und einer Schwerhörigkeit im Fall einer Infektion oder bei ersten Symptomen den aufwändigen Prozess bis zum Corona-Test nicht bewältigen können.

Sie können nicht zu ihrem Hausarzt, denn durch Maske und Kontaktbeschränkung, die ihnen keine Dolmetscher erlauben, können sie kaum kommunizieren. Taxi rufen über das Telefon, im Krankenhaus Anweisungen folgen, Arztbriefe lesen. All das sind kleinste Abläufe, die Gehörlosen eine direkte Hilfe erschweren.

Fenster zur Welt

Seit Beginn der Corona-Maßnahmen haben sich für gehörlose Menschen einige kreative Wege geebnet, um trotz Maskenpflicht kommunizieren zu können. Masken, in welche kleine Fenster eingenäht sind oder sogenannte ,,FaceShields“, die wie Visiere an den Köpfen getragen werden. Die direkte Kommunikation kann dadurch wieder stattfinden, dennoch sei das Beratungsangebot immer noch nicht ausreichend ausgebaut, meint Klaus Dieter Seiffert.

Masken mit Klarsichtstreifen sollen im Gespräch mit gehörlosen Menschen das Lippenlesen er-leichtern. Grafik: Angelina Seel

Hilfe vor Ort

Seine Idee eine eigene Beratungsstelle zu errichten war eine Antwort auf die Missstände in der Stadt. ,,Das Problem ist, dass schwerhörige und gehörlose Personen die schwer formulierten Texte der Regierung oft nicht verstehen, Informationen von Gesundheitsämtern und öffentlichen Stellen werden zurzeit nur selten in einfache Sprache übersetzt, da sie so schnell verbreitet und aktualisiert werden.“ Die Lösung via Videochat offizielle Briefe des Gesundheitsamtes zu besprechen und über Maßnahmen und Regelungen zu informieren bietet vielen Gehörlosen eine Chance auf Sicherheit und Hilfe.

Neben einer Online-Beratung gibt es auch die Möglichkeit Klaus-Dieter direkt auf der Schalker Meile im Vereinshaus anzutreffen. Unter strengen Vorgaben kann hier von Mensch zu Mensch beraten werden. Gesichtsmasken dürfen Einzelpersonen bei gegebenem Sicherheitsabstand im Gespräch mit Gehörlosen absetzten. Diese Regelung der Regierung soll dabei helfen auch Gehörlose in den Alltag mit Corona einzubinden.

Solidarität statt Isolation

Das Angebot werde gut angenommen, meint Seiffert und klingt dabei fast ein wenig stolz. Seit vielen Jahren schon, setze er sich für Inklusion in Gelsenkirchen ein, aber so viel Zuspruch und Bewegung wie zu diesen Zeiten habe er noch nie erlebt. Die Stadt bietet Seiffert Räume und Hygieneartikel an, die Schalker Faninitiative hat ihm ein Smartphone mit Sim-Karte geschenkt, damit für ihn keine Telefonkosten anfallen. All das sind für Seiffert Zeichen der Solidarität und lassen auf ein besseres Miteinander auch nach Corona hoffen.

In wenigen Wochen wird das Vereinshaus an der Kurt-Schumacher- Straße seinen Betrieb wieder aufnehmen, doch das soll nicht das Ende der Beratungsstelle sein. Bis es jedoch so weit ist, bleibt es still in den sonst so pulsierenden Räumen. Doch an diesem Beispiel erweist sich eben erneut: Taten sagen mehr als tausend Worte.