Durch die vermutlich kommende Ampelkoalition ist die Legalisierung von Cannabis in Deutschland erstmals im Bereich des Möglichen – doch wir sollten uns trotzdem auch noch über andere Themen unterhalten. Die mögliche Legalisierung erhitzt die Gemüter der ordnungsliebenden Deutschen nämlich so sehr, dass andere wichtige Themen aus den Sondierungspapieren unter den Tisch fallen.
Ein Kommentar von Luca Bremer
Bis jetzt war das Thema Cannabis nur eine Randnotiz des politischen Deutschlands. Mal, weil Cem Özdemir bewusst versehentlich seinen grünen Daumen für die Nutzpflanze bei einem Interview nicht verheimlichen konnte, beziehungsweise wollte. Oder durch Daniela Ludwig, die uns bei ihrer fast schon legendären Pressekonferenz die Blumenkohl-Allegorie bescherte, und dafür zu Recht kollektiven Spot aus den sozialen Netzwerken erntete.
Erstmals scheint die moralische Erlösung für deutsche Kiffer nun in greifbarer Nähe und der deutsche Hanfverband scharrt schon mit den Hufen. Cannabis polarisiert so sehr, dass es dabei andere Streitthemen verdrängt, und ich mich beinahe darüber freue, wie wenig Probleme wir in diesem Land zu haben scheinen. Letztendlich überwiegt aber dennoch mein Unmut darüber, wie aufgeblasen die Diskussion mittlerweile ist.
Klimaschutz, Tempolimit, Bürgerversicherung, Mindestlohn und Rente verschwinden im Dunst
Ja, sollte Deutschland tatsächlich Cannabis legalisieren, wäre das ein Schritt mit weitreichenden Auswirkungen, trotzdem gibt es weitaus relevantere Dinge zu diskutieren. Voraussichtlich darf auf deutschen Autobahnen weiterhin gerast werden, die Bürgerversicherung ist vom Tisch, der Mindestlohn wurde tatsächlich angehoben, die gesetzliche Rente soll zum Teil am Kapitalmarkt finanziert werden, das große Thema Klimaschutz bleibt ausbaufähig und die Finanzierung fragwürdig.
Das konservative Deutschland konzentriert sich jedoch lieber auf die Frage, ob erwachsene Menschen die Erlaubnis haben sollten, sich mit Cannabis zu berauschen, und verliert sich dabei in Scheindebatten über die Gefahren von Cannabis für Kinder und Jugendliche. Dass diese bei einer möglichen Legalisierung gar nicht die Möglichkeit haben, sich legal Cannabis zu kaufen und der illegale Erwerb aktuell relativ niedrigschwellig ist, scheint dabei niemanden zu interessieren.
Kein Brokkoli, aber auch nicht der Untergang der Bundesrepublik
Ja, Cannabis ist eine Droge und sollte auch bei einer Legalisierung von Minderjährigen ferngehalten werden. Ich möchte die möglichen Gefahren, insbesondere für minderjährige Konsumenten, gar nicht klein reden. Doch momentan wird dem Thema weitaus mehr Raum geboten, als es nötig wäre. Sollte die Legalisierung kommen, wird die vorausgegangene kostenlose Werbung wahrscheinlich am meisten die Investoren auf dem Cannabismarkt freuen.
Die Fragen nach der Rente oder der Erhaltung unserer Lebensräume sollten doch wichtiger sein als die Frage, ob ich bald in hippen Cannabis-Läden in deutschen Großstädten eine Packung Lemon Kush aus organischem Anbau kaufen darf. Also bitte: Kiffen können wir später, lasst uns jetzt doch besser über die Zukunft dieses Landes reden.
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