Nichts im Leben ist so sicher wie der Tod. Deshalb werden auch Bestatter immer benötigt. Doch wie gehen diese mit dem Tod um?  Bestatter Bernd Mai ist sich sicher: Die Arbeit darf er auf keinen Fall mit nach Hause nehmen. Doch das kommt nicht von jetzt auf gleich.

Von Pia Böckendorf

Die Luft ist frisch, der Himmel klar, der Tag steckt noch in den Kinderschuhen. Das weiße Haus in Bad Sassendorf mit der großen Holztür und der breiten Einfahrt steht unauffällig da. Auf den ersten Blick unterscheidet es nichts von den anderen. Einzig der Schriftzug „Wenner Bestattungen“ lässt erkennen, was sich darin verbergen mag. Die Klingel ist laut, kurz darauf schwingt die Tür auf und lädt ein in den Eingangsbereich des Hauses. Die glatten Steinfliesen verschlucken jegliche Schritte. An den Wänden hängen Urkunden und Meisterbriefe, viele davon mehrere Jahrzehnte alt. Geradeaus befindet sich eine große gläserne Schwingtür, rechts geht es ein paar Stufen rauf und links ins Büro.

Dort sitzen von den insgesamt sechs Mitarbeitern Chefin Martina Wenner, Bestatter Bernd Mai und die Auszubildene Pia. Was heute ansteht, kann noch niemand von ihnen sagen. „Den Tod kann man eben nicht planen“, sagt Bernd Mai, ein großer kräftiger Mann mit Glatze, dessen freundliches Gesicht auch hinter eine Bäckertheke oder in eine Gärtnerei gepasst hätte. Manchmal passiert den ganzen Vormittag nichts, keine Abholung, keine Besprechungen. Doch nicht heute. Das Telefon klingelt, Martina geht ran- der Leichnam eines älteren Herrn kann aus dem Krankenhaus abgeholt werden.

Draußen fährt ruckelnd das große Garagentor hoch, Bernd lenkt einen langen grauen Leichenwagen bis auf den Vorplatz. Mit dabei ist auch Auszubildene Pia. Die Fahrt beginnt, das Krankenhaus ist etwa 20 Minuten entfernt.

Bernd Mai ist erst seit 15 Jahren als Bestatter tätig. Für ihn war das nie sein Traumberuf, eher ist er irgendwie „da rein gerutscht“. Ursprünglich kommt er aus Niedersachsen, wo er als Friedhofsgräber arbeitete. Schließlich wurde er von seinem späteren Chef angesprochen, ob er sich nicht auch vorstellen könnte, die Tätigkeiten eines Bestatters zu übernehmen, wie Leichen abholen, sie waschen und anziehen. Für Bernd war das etwas komplett Neues. „Damals hatte ich keine Ahnung, wie ich persönlich damit umgehen und ob es mich auf Dauer erfüllen würde, aber versuchen wollte ich es unbedingt“. Als er nach NRW ging, fing er bei Wenner Bestattungen an. Und heute, sieben Jahre später, fährt er ganz selbstverständlich den sperrigen Wagen durch die Einfahrt des Krankenhauses, am Besucherparkplatz vorbei und dann links runter bis der Wagen mit der Rückseite dicht an einer großen Tür zum Stehen kommt. Bernd steigt aus und öffnet mit beiden Händen die große Heckklappe des Wagens. Zum Vorschein kommt ein riesiger Kofferraum, in dem sich Schienen befinden. Darauf kann der Bestatter eine fahrbare Trage rein und rausschieben. Auf der Trage wiederum ist ein weinroter Sack festgeschnallt. Bernd zieht daran, bis die Trage ein ganzes Stück über dem Boden hängt, sich zwei Beine mit Rollen ausklappen und er und Pia sie durch eine breite Tür schieben können. Ein langer Flur breitet sich aus, weiß, steril. Die schwere Eisentür auf der rechten Seite führt zum Kühlraum. Hier kommen alle Verstorbenen hin, bevor sie dann von Bestattern abgeholt werden. Eine Krankenschwester lehnt sich gegen die Tür bis sie aufgeht. Drinnen ist es kalt und ungemütlich, ein leicht süßlicher Geruch liegt in der Luft. Bernd schiebt die Trage in die Mitte des Raumes und sieht erwartungsvoll zu einer weiteren Stahltür. Die Krankenschwester öffnet auch diese. Das erste was dahinter zu sehen ist, sind drei Paar Füße. Regungslos und weiß liegen sie da. Die Schwester deutet auf ein Paar der Füße. Zur Überprüfung der Identität schaut Bernd auf den Zettel, der an den Fuß des Verstorbenen geklebt ist, der Name stimmt. Vorsichtig zieht er die silberne Trage heraus, bis der Leichnam komplett zu sehen ist. Der Mann hat keine Haare mehr, sein Gesicht ist weiß, die Augen geschlossen aber der Mund klafft weit auf. Er wirkt eingefallen, erstarrt. Bekleidet ist er nur mit einem dünnen Krankenhaushemd. Emotional nimmt Bernd dieser Anblick nicht mehr mit, es ist zur Gewohnheit geworden. Ohne wirklich hinzuschauen, greift er den Kopf des Mannes, Pia seine Knöchel und mit einem Ruck heben sie ihn in den Leichensack auf der Trage. Sobald er gut verstaut ist, zieht Bernd den Reisverschluss nach oben, bis nur noch zu erahnen ist, was sich im Sack befindet. Nachdem die Trage mit dem Leichnam im Wagen und die Tür zu ist, halten Bernd und Pia inne und verbeugen sich, kurz aber tief und ganz selbstverständlich. „Bei diesem Job muss ich souverän sein, zu viel nachdenken geht hier nicht. Trotzdem darf nie vergessen werden, um was es hier geht. Tod hin und her, das da drinnen ist immer noch ein Mensch“, sagt der Bestatter ernst. Danach rollt der Wagen wieder aus der Ausfahrt, lässt das Krankenhaus hinter sich. „Wenn ich Menschen von zuhause abhole, dann warte ich auch meistens noch etwas in der Einfahrt, bevor ich wirklich abfahre. Mir ist bewusst, dass dieser Mensch sein Zuhause nie wieder sehen wird, da gehört es sich einfach nicht, schnell vom Hof zu rasen“, findet er.

Bernd und Pia schieben die Trage mit dem Leichnam zurück zum Wagen. Foto: Pia Böckendorf

Zurück am Bestattungshaus parkt Bernd den Leichenwagen auf dem Hof, der Leichnam des Mannes wird erst später reingeschoben. Drinnen geht er durch die zwei Schwingtüren am Kopf des Eingangsbereichs und tritt ein in das Herz des Hauses, eine große Halle mit mehreren Reihen an Stühlen. Sie alle sind zu einem Rednerpult gerichtet, hinter dem ein großer Kranz steht. „Das hier ist die Trauerhalle“, erklärt Bernd und schreitet mit langen Schritten durch den weitläufigen Raum. Hier kann die Trauerfeier stattfinden, wenn die Angehörigen der Verstorbenen diese nicht in einer Kirche oder einer der Hallen auf dem Friedhof halten wollen. Zu seinen Aufgaben als Bestatter gehört auch bei der Trauerfeier die Urne zu tragen. „Manche Trauerfeiern sind so emotional, dass auch mir die Tränen kommen“. Beim Anziehen und Abholen der Toten ist Bernd voll und ganz Bestatter, konzentriert, ernst. Bei einer Trauerfeier ist er Mensch, manche Dinge gehen ihm nahe. Trauerreden oder die Besprechungen mit den Angehörigen, bei denen diese Urnen oder Särge, sowie das Design der Todesanzeige aussuchen können, macht er nicht. Dafür ist er „einfach nicht der Typ“, lieber holt er die Verstorbenen ab, zieht sie an. Das hat Bernd auch jetzt vor.

Er schreitet durch eine Tür am Ende der Halle, die sich nur schwer öffnen lässt. Kälte dringt aus dem schmalen Raum und durch die hohen Fenster fällt viel Licht herein. Draußen zwitschern Vögel. Mitten im Raum steht ein schmaler, glatter Metalltisch, ähnlich wie in Operationssälen. Auf ihm liegt der Leichnam eines Mannes, sein weißes langes Haar ist ordentlich gekämmt, er trägt einen schwarzen Anzug und braune schicke Schuhe. Er sieht friedlich aus, als würde er schlafen. Nur der offene Mund und die fahle Haut deuten darauf hin, dass das Leben bereits aus ihm herausgewichen ist. An der Wand hinter dem Metalltisch hängen verschiedene Geräte, Zangen, Scheren. Darunter ist ein Waschbecken. „Der hier ist schon fertig“, sagt Bernd Mai und deutet unbeeindruckt auf den Leichnam des Mannes, „Er muss nur noch in einen Sarg gelegt, den die Angehörigen ausgesucht haben“. Doch nicht alle Toten sehen so friedlich aus, wie der Leichnam hier auf dem Tisch oder der aus dem Krankenhaus. Es gibt auch weitaus unschönere Fälle, findet Bernd. „Am schlimmsten sind Kinder oder Menschen, deren Tod unerwartet ist. Zum Glück sind aber Menschen, die an Altersschwäche sterben deutlich häufiger“, erzählt er. Als Bestatter muss er rund um die Uhr erreichbar sein. Da ist es auch schon passiert, dass er mitten in der Nacht von seiner Chefin wachgeklingelt wurde, weil es einen Unfall mit Todesfolge gegeben hat. „Damals bin auch ich voll mit Adrenalin den Wagen gefahren und wusste erst gar nicht, mit was ich da rechnen muss“, sagt er. Das war beim ersten Mal. Wenn so etwas nochmal passiert, ist der Bestatter ruhiger, er weiß jetzt ungefähr was ihn erwartet. Bei Unfällen, bei denen es nicht möglich ist, den Toten nochmal aufzubahren, versucht er, die Hände der Verstorbenen in Szene zu setzen und ein Bild zu machen. So können die Hinterbliebenen sich wenigstens auf diese Weise verabschieden.

Foto: Pia Böckendorf

In seinen 15 Jahren als Bestatter hat Bernd schon viel erlebt. Manche Angehörige wollten, dass er den Sarg und ein Fenster noch drei Tage offen stehen lässt, damit die Seele der Verstorbenen in den Himmel fahren kann. Besonders bei Menschen aus anderen Kulturkreisen kamen teilweise eigene Priester, um die Verstorbenen selbst zu waschen. „Das alles nehme ich einfach so hin und habe Verständnis für diese Ausnahmesituation, die ein Tod mit sich bringt“, sagt er, „wie bei jedem anderen Geschäft gilt auch bei uns: Der Kunde ist König“.

Im hinteren Teil des Raumes liegt ein weiterer Mann starr da. Bernd deutet auf ihn. „Mit dem da drüben war ich vor einer Woche noch ein Bier trinken. Und jetzt liegt er hier. Da musste ich erstmal schlucken, aber ich kann das trennen, das hier ist mein Beruf“, sagt er ernst. Von draußen schieben Bernd und Pia die Trage mit dem roten Leichensack rein, in dem der Verstorbene aus dem Krankenhaus liegt. Vorne im Haus bespricht Martina gerade mit den Angehörigen alles Nötige. Sie haben Kleidung mitgebracht, die der Mann tragen soll, wenn er unter die Erde kommt. Bernd wirft Pia ein Paar Handschuhe zu und streift sich selbst welche über. Mit einem Ruck zieht er den langen Reisverschluss nach unten und beginnt den Mann aus dem Sack zu heben. Vorsichtig legt er ihn auf den Metalltisch. Jetzt streifen sich Bernd und Pia grüne Operationskittel über. Routiniert schaltet er das alte Radio in der Ecke an, und beginnt die Kleidung des Mannes aus einer Tüte zu ziehen. Ein weißes Hemd, dunkelblauer Anzug, braune Schuhe. Das alles soll gegen das weiße Krankenhaushemd getauscht werden. Gewaschen wird dieser Leichnam nicht. „Er kommt aus dem Krankenhaus und ist ja sauber“, findet Bernd. Vorsichtig hebt der Bestatter den Torso des Leichnams hoch, um ihm die Krankenhauskluft auszuziehen bis der Mann nur mit Unterwäsche bekleidet vor ihm liegt. „Ich arbeite grundsätzlich von unten nach oben“, erklärt er, während er graue Socken über nackte weiße Füße streift. Als nächstes ist die Hose dran. Vorsichtig hebt Bernd die Beine des Mannes nach oben, sodass Pia die Hose darüber ziehen kann. Süßlicher Geruch ist zu vernehmen. Der Körper ist schon starr geworden, seine Gliedmaßen lassen sich nicht mehr so gut bewegen. Bernd nimmt den Arm des Mannes daher in beide Hände und dehnt ihn dann weit nach hinten. Auf diese Weise macht er ihn wieder locker. „Ansonsten könnten wir ihm kein Hemd anziehen“, erklärt er. Aus dem Radio dudelt ein Pop Song, Bernd und Pia gehen routiniert ihrer Arbeit nach und unterhalten sich, während sie den Toten in seine letzten Kleider hüllen. Es herrscht eine entspannte Atmosphäre, das Verhalten wirkt fremd aber nicht unangemessen. Vielmehr erkennt man an Bernd Mais Art, wie gut er in seinem Beruf ist und wie gut darin, es von seinem Privatleben zu trennen. „Am Anfang habe ich die Arbeit gedanklich viel mehr mit nach Hause genommen, doch irgendwann legt sich im Kopf einfach ein Schalter um, sobald ich aufhöre, meiner Arbeit nachzugehen“, sagt er. „Wenn ich gleich aus dieser Tür gehe“, er deutet auf die schwere Eingangstür, „dann habe ich schon wieder verdrängt wer hier liegt, wie er aussieht, wie er heißt. Das lösche ich direkt aus meinem Kopf“. Der Mann ist jetzt fertig angezogen. Friedlich liegt er da in seinem schicken Anzug, den Mund weiterhin geöffnet. Den schließt der Bestatter nur, wenn die Angehörigen den Verstorbenen nochmal sehen wollen, ansonsten verändert er so wenig am Aussehen wie es geht. Die Handschuhe zieht Bernd wieder aus und reibt sich die Hände. „So und jetzt ist erstmal Mittagspause“, verkündet der Bestatter fröhlich und legt den Schalter um.