Die fünfjährige Hanna Büch liebt Pferde. Das unterscheidet sie nicht von den meisten anderen Mädchen in ihrem Alter. Was sie aber besonders macht, ist ihre schwere Behinderung. Mit ihrer lebensfrohen Art zeigt sie, dass eine Erkrankung kein Hindernis für sie ist, ihren Traum vom Reiten zu leben.

Von Sophia Falkowski

Es ist ein früher Donnerstagmittag, als ein hellblaues Auto in die kleine mit Matsch und Pfützen übersäte Seitenstraße in Herten einbiegt. Der Himmel ist grau und regnerisch. Bis auf ein leises Schnauben eines Pferdes ist es still auf dem Gelände des „Integrativen Reitvereins in der Ried“. Die Stille wird durch ein helles Kinderlachen durchbrochen. Von einem auf das andere Bein springend läuft Hanna vom Parkplatz zum Stall. Die hell erleuchtet Stallgasse hebt sich durch ihr warmes Gelb deutlich von dem tristen grauen Licht des kalten Wintertags ab. Ein wolliger Schwall von Wärme tritt ihr und ihrer Mutter Ina Büch beim Betreten des Stalles entgegen. Die Pferde heben interessiert den Kopf in Richtung ihres Besuches und einige brummeln leise, in der Hoffnung ein Leckerli zu bekommen.

Ein Dreamteam

Doch das sehr zierliche Mädchen hat nur Augen für ein ganz besonderes Pony. Lizian, ein hellbrauner Haflinger, wartet schon in seiner Box auf sie. Gemeinsam mit der Reitlehrerin Alexandra Wolf führen sie das Tier zum Putzplatz. „Wie sieht der denn aus?“, fragt Wolf entrüstet. Lizian ist von oben bis unten nass und mit Matsche überzogen, sogar in seiner Mähne klebt Dreck. Die Reaktion der Reitlehrerin bringt das blonde Mädchen zum Kichern. Sie ist es gewohnt, dass ihr Pferd dreckig ist. Lizian und sie sind nämlich schon länger ein Team. „Als sie letztes Jahr im Mai zum Integrativen Reitverein kam, ritt sie zuerst ein anderes Pony, aber das war zu unruhig. Deswegen hat sie jetzt den lieben Opi bekommen“, sagt ihre Mutter und streichelt Lizian am nassen Hals. Büch war damals über einen Facebook-Beitrag darauf aufmerksam geworden, dass der Verein heilpädagogisches Reiten anbietet. „Genau das Richtige für meine Tochter. Wir haben es früher schon an anderen Ställen versucht, aber da hat leider immer der integrative Ansatz gefehlt“, berichtet Büch.

Tumore am ganzen Körper

Hanna hat das so genannte Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom (BRRS). Bei dieser Erbkrankheit wachsen am ganzen Körper gutartige und bösartige Tumore. „Als Hanna nur ein paar Tage alt war, bemerkte ich, dass sie Probleme beim Atmen hat, außerdem war ihr Kopf ziemlich groß. Irgendwas konnte da nicht stimmen“, erklärte Büch ernst. „Die Ärzte suchten zwei Jahre lang nach einer Ursache, bis sie BRRS feststellten.“ Während ihre Mutter über die Behinderung ihrer Tochter redet, putzt Hanna Lizian ruhig weiter ohne aufzublicken. Sie weiß, dass sie BRRS erkrankt ist. Sie hat sich damit abgefunden. „Für uns war das damals ein Schock, wir wussten nicht, dass wir diesen Gendefekt in der Familie haben. Jedoch konnte so dank Hanna bei ihrem Vater der Krebs früh genug erkannt werden. Heute ist er wieder gesund ist. Hanna muss regelmäßig zum Arzt um ihre Tumore kontrollieren zu lassen. Sie hat ein großes Risiko an Krebs zu erkranken, was lebensbedrohlich wäre“, berichtet die Mutter. „Aber bis jetzt hatte ich immer Glück“, wirft Hanna lächelnd ein. Während des Putzens bleibt das Tier ruhig und gelassen stehen, manchmal fallen ihm sogar die Augen ganz kurz zu. Er genießt die Streicheleinheiten und Streichbewegungen der Bürste, die wie eine Massage wirken, sehr. Hannah kennt die Bürsten ganz genau und weiß, wie sie welche benutzen muss. „Normalerweise fällt es ihr eher schwer, sich Sachen zu merken, aber bei den Pferden fällt es ihr leichter“, sagt Büch. Aber nicht nur ihm sind heute schon die Augen zu gefallen. „Im Auto habe ich vorhin geschlafen, der Weg war so langweilig“, berichtet Hanna. Sie ist wegen ihrer Behinderung oft müde und schnell erschöpft. Außerdem spricht sie ein wenig undeutlich, besonders bei den ch-Lauten sodass sie sich öfters wiederholen muss. Doch darauf reagiert die Fünfjährige nie verärgert. Sondern wiederholt lächelnd das Gesagte.

Reitstunde und Gymnastik

In der Reithalle setzt Hanna ihren schwarzen Helm auf und erzählt stolz, dass der schon für Erwachsene sei. Die Kinderhelme passen ihr nicht mehr. Sie wird in Schrittrunden durch die große Halle geführt. Der trockene Sand knirscht unter den vier Hufen und Schuhsohlen. Während des Reitens macht Hanna Übungen wie die Arme in den Himmel oder zur Seite zu strecken oder die Fußspitzen kreisen zu lassen. „Das fördert die Grob- und Feinmotorik und verbessert die Körperwahrnehmung“, sagt Wolf während sie Hannah das nächste Kommando gibt. Hanna versucht eifrig, ihre Zehenspitzen zu berühren, was ihr auch gelingt. Sie zeigt ein freudiges Milchzahnlächeln. Lizian trottet brav neben Wolf her. „Und jetzt mit geschlossenen Augen“, fordert Wolf das kleine Mädchen auf. Hanna überlegt eine Sekunde, bis sie breit lächelt und ihre Augen schließt. Wolf läuft mit Lizian über eine blau weiß gestreifte Springstange die auf dem Boden liegt. Wenn Lizian die Stange überquert, muss Hanna „Stopp“ sagen.

Sie schafft es nicht rechtzeitig Stopp zu sagen. Trotzdem hören ihre hellen Augen nicht auf zu funkeln. Als nächstes trabt Lizian ein paar Schritte. Hanna hält sich am Sattel fest und wackelt mit. „Hanna hat einen sehr schlaffen Muskeltonus, weswegen Traben für sie besonders anstrengend ist“, erklärt Wolf während sie eine Schrittpause machen. Am Ende darf die Fünfjährige ihre Lieblingsübung machen: rückwärts reiten. Dazu setzt sie sich mit Hilfe ihrer Reitlehrerin verkehrt herum in den Sattel.

Ein kurzer Abschied

Normalerweise bräuchte Hanna für lange Strecken einen Rollstuhl, erklärt die Mutter. Doch das ist dem aufgeweckten Mädchen während der Reitstunde überhaupt nicht anzumerken. Voller Elan und Begeisterung macht sie bei jeder Übung mit. Bis es heißt: absteigen und sich von Lizian verabschieden. Mittlerweile schwebt über der Stallgasse ein verbrannt-süßlicher Geruch. Der Hufschmied war da. Hanna umarmt ihr nicht mehr ganz so nasses Pony zum Abschied. Zum Glück  gibt es schon nächste Woche ein Wiedersehen der beiden. Die Pfützen vor dem Stall haben sich durch den Dauerregen immer weiter mit Wasser gefühlt. Der Weg hat sich so zu einer noch größeren braunen Matschlandschaft verwandelt als am Mittag. Ganz zur Freude von Hanna, die in ihren schwarz glänzenden Reitstiefeln munter von einer in die nächste Pfütze Richtung Parkplatz springt. Wenn ein Sprung einmal ein besonders lautes Platschen verursacht, schaut sie ganz stolz zu ihrer Mutter rüber.  Um sicherzugehen, dass sie das Platschen auch gehört hat. Büch lächelt ihre Tochter kopfschüttelnd an. Bis kein Platschen mehr zuhören ist und Hanna mit ihrer Mutter winkend um die Ecke biegt.