Abends mal ein Gläschen Wein, zwischendurch ein Feierabendbier – für viele von uns ist Alkohol ein alltäglicher Begleiter. Doch was gibt es für Risiken? Ist der Alkoholkonsum zu Corona-Zeiten gestiegen? Und wie fühlt es sich in einer so trinkfreudigen Gesellschaft an, komplett auf Alkohol zu verzichten?

Von Sophia Döhlings

„Wenn man nicht trinkt, wird man oft gefragt, ob irgendwas nicht in Ordnung ist. Wäre ich eine Frau, würden die Leute wahrscheinlich fragen, ob ich schwanger bin. Die Leute wollen es einfach nicht akzeptieren und versuchen andauernd, einen doch zu überreden“, erzählt Tobias. Der 22-Jährige ist Philosophie-Student und hat noch nie Alkohol getrunken. Es hat ihm noch nie geschmeckt. Angefangen hat das bereits in der Schulzeit. „Ich war nie in Freundeskreisen unterwegs, wo viel getrunken wird. Wenn ich aber doch mal auf Partys außerhalb meines normalen Freundeskreises unterwegs war, war das Ziel des Abends für die meisten, sich zu betrinken. Ich fand das damals schon komisch.“ Bei vielen Partygästen hat Tobias beobachtet, wie der Alkohol im Übermaß konsumiert wurde und manche Leute die Kontrolle verloren haben. Diese Nebenwirkung gefällt ihm nicht. „Ich will die Kontrolle behalten, das ist schwierig, wenn man betrunken ist. Man ist nicht ganz man selbst.“

Tobias glaubt, dass viele Menschen Alkohol zwingend brauchen, um Teil der Gemeinschaft sein zu können. Das sieht er kritisch. „Ich brauche keinen Alkohol, um lustig zu sein. Ich finde auch nicht, dass man Drogen oder Alkohol als Grund nehmen sollte, zusammenzukommen. Viele treffen sich ja wirklich nur zum Trinken. Alkohol ist doch kein Sozialisationsmechanismus.“ Tobias findet Alkohol und dessen Wirkungen auf den Körper zu gefährlich, um so locker damit umzugehen.

Auf diese Ansichten reagieren viele Leute komisch und können Tobias‘ Überzeugung nicht nachvollziehen. „In unserer Gesellschaft wird man so sozialisiert, dass es normal ist, ab einem gewissen Alter zu trinken. Wer das nicht tut, fällt irgendwie auf. Aber da ich noch nie getrunken habe, habe ich mich an solche Reaktionen inzwischen gewöhnt“, meint Tobias.

Auch Experten beurteilen Alkohol kritisch

Aus medizinischer Sicht sind die Nebenwirkungen von Alkohol nicht zu verachten. Dem Neusser Arzt Professor Hinrich Wieder zufolge ist übermäßiger Alkoholkonsum alles andere als ungefährlich. Der Mediziner leitet eine auf Radiologie spezialisierte Praxis, hat in seiner ärztlichen Laufbahn jedoch schon viele Berührungspunkte mit alkoholkranken Patienten gehabt. „Einem OECD- Bericht vom Mai 2021 zufolge hat Deutschland weltweit einen der höchsten Konsumwerte. 34 Prozent der Erwachsenen trinken mindestens einmal im Monat viel, 3,5 Prozent sind alkoholabhängig“, erzählt Wieder. Auf die Einwohnerzahl von Deutschland umgerechnet sind das fast drei Millionen alkoholabhängige Menschen. Hierzulande wird im Vergleich zu anderen Ländern überdurchschnittlich viel Alkohol konsumiert.

Der Ausbruch der Corona-Pandemie hat diese Zahlen nochmals erhöht. „Nach vorläufigen Schätzungen ist im Coronajahr 2020 der Gesamtalkoholabsatz im Vergleich zu 2019 leicht um drei bis fünf Prozent gestiegen“, berichtet der Mediziner. Die Pandemie hat den Alkoholkonsum der deutschen Bevölkerung also offenbar leicht gesteigert. Dr. Wieder erklärt weiter: „ Alkohol ist ein Zellgift und führt bei übermäßigen Konsum zu unterschiedlichsten Schädigungen des menschlichen Körpers. Dazu gehören hauptsächlich Erkrankungen der Leber (Leberzirrhose), der Bauchspeicheldrüse (Entzündung) und des Herzkreislaufsystem.“

Doch übermäßiger Konsum kann sogar noch schlimmere Nebenwirkungen verursachen. Die Lebenserwartung von alkoholkranken Menschen ist deutlich geringer. „Alkohol erhöht das Risiko für verschiedene Krebserkrankungen. Übermäßiger Alkoholgenuss ist in Deutschland die dritthäufigste Todesursache.“ 

Aktuellen Statistiken der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge gibt es in Deutschland jährlich etwa 20000 Todesfälle durch Alkoholkonsum. Zudem wird fast jede dritte Gewalttat unter Alkoholeinfluss begangen. Sogar viele Verkehrsunfälle geschehen unter Alkoholeinfluss.

Alkoholismus auch förderlich für andere Krankheiten

Auch Hausarzt Dr. Jens Sander hat in seiner Praxis in Wuppertal oft Kontakt zu alkoholkranken Menschen. „Alkoholiker werden generell schneller krank. Deshalb habe ich damit auch häufig Berührungspunkte. Es gibt eigentlich keine Krankheit, die durch Alkohol nicht gefördert wird.“ Menschen, die also vielleicht sonst gar nicht krank werden würden, sind durch den übermäßigen Alkoholkonsum also geschwächter und anfälliger für andere Krankheiten. Aufgrund dieser begeben sie sich dann in Behandlung und der Alkoholismus werde dann manchmal erst festgestellt, wenn es um die Einordnung der Symptome der anderen Krankheiten geht.

Die meisten Betroffenen schämen sich für ihren Alkoholkonsum und wollen diesen verheimlichen, erzählt Jens Sander.

„Der Teil, der offensiv „Ich bin Alkoholiker“ sagt, ist klein. Das sind dann oft Menschen, die bereits mehrere Reha-Aufenthalte hinter sich haben. Der größte Teil besteht aber aus Patienten, die ihre Erkrankung nicht zugeben oder es sich vielleicht selber noch gar nicht eingestehen wollen.“ Da gibt es natürlich noch verschiedene Abstufungen.

Meistens erkennt der Mediziner jedoch schnell, wenn bei den Betroffenen Alkohol ein Faktor ist.

„Das sind dann oft Menschen, die immer wieder bei der Arbeit ausfallen. Häufig sind diese auffällig oft freitags und montags krank und kommen dann für eine Krankmeldung in die Praxis. Viele kommen dann montags mit einem angeschwollenen Gesicht und beschweren sich beispielsweise über Asthma oder Durchfall“, erzählt Sander. Kopfschmerzen würden von den Patienten meist nicht als Symptom aufgeführt, da dies zu offensichtlich wäre.

Wenn Jens Sander vermutet, dass Alkohol mit im Spiel ist, fragt er nach. Für ihn ist ein lockerer, offener Ton der beste Umgang. Darauf reagieren die meisten Patienten gut.

Betroffene in allen sozialen Schichten

„Alkoholismus ist längst kein sozialspezifisches Problem mehr,“ erzählt Sander. „Suchtkrankheiten ziehen sich durch alle sozialen Schichten.“ Die Vorurteile vieler Menschen, dass Alkohol nur von sozial Benachteiligten im Übermaß konsumiert wird, stimmen also nicht. Auch in den höheren Schichten gibt es viele Menschen mit Alkoholproblem.

„Ich hatte sogar schon mal die Situation, dass sich bei einem ärztlichen Kollegen herausgestellt hat, dass er alkoholkrank ist. Es kann also wirklich jeden treffen.“

Was kann man dagegen tun?

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat eine eigene Website eingerichtet, auf der man Informationen über Alkoholsucht findet. Diese kann Betroffenen oder Angehörigen helfen. Es gibt zudem verschiedene Anlaufstellen für Menschen mit Alkoholproblemen, zum Beispiel anonyme Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Online-Programme oder Beratungstelefone. Wenn man vermutet, dass ein Angehöriger oder Freund betroffen ist, ist es wichtig, für ihn oder sie da zu sein und der Person zu raten, sich professionelle Hilfe suchen. Sander fasst zusammen: „Alkoholsucht ist eine ernstzunehmende Krankheit, die aber durchaus heilbar ist. Mit der richtigen Unterstützung schafft man es, da rauszukommen.“