Nach einer Verurteilung wandern Schwerverbrecher erst mal in den Knast.
Wenn sie allerdings aufgrund einer psychischen Störung nicht verstehen ,
warum sie dort sind und was sie getan haben, ist der letzte Ausweg die
psychiatrische Forensik. Eine völlig isolierte Welt.

Eine Reportage von Jennifer Skiba

Dunkle Wolken spiegeln sich in den Pfützen vor dem LWL – Universitätsklinikum in
Herne. Der graue Morgen überschattet die freundliche Atmosphäre der
anschaulichen Anlage auf dem ehemaligen Zechengelände Pluto-Wilhelm.
Grünflächen, Blümchen – Beete, umgeben von einem aufwändig renaturierten
Naherholungsgebiet. Dazwischen verbinden Wege die Stationen und
Therapiezentren mit dem Verwaltungsgebäude, der Cafeteria, und dem Kiosk an
der Ecke. Von außen fällt die Abteilung erst einmal nicht auf. Das bruchsichere
Glas ersetzt Gitterstäbe, die sonst an den Fenster von ,,geschlossenen’’
Abteilungen zu finden sind. In der FF1, einem weißen schulähnlichen Gebäude mit
grauem Dach beginnt grade die Visite mit Oberarzt Manfred Schmidt. (Die Namen
aller Personen im Text wurden zum Schutz der jeweiligen Person redaktionell
abgeändert)

Die FF1 ist eine von sieben Stationen für Psychotherapie und Psychosomatik der
LWL-Universitätskliniken. Neben drei geschützten Stationen für Patienten in
akuten Krisen gibt es vier offene FF-Stationen mit eigenem Schwerpunkt:
Persönlichkeitsstörung, Depressionen, Angst, Trauma. Manfred Schmidt geht bei
der Visite auf der FF 1 nicht von Zimmer zu Zimmer. Seine Patienten kommen in
einen Gesprächsraum. Hier liegt niemand im Bett oder trägt einen Schlafanzug.

Die Forensik soll Normalität und Alltag schaffen. Neben dem Oberarzt übernimmt
ein qualifiziertes Personal die medizinische Versorgung auf der FF1. Verschiedene
Methoden der Verhaltenstherapie sollen den Patienten helfen. Auf dem
Wochenplan stehen verpflichtende Therapien wie Problemlösung aber auch
Ergotherapie. Dazu kommen Therapiegespräche und medizinische
Untersuchungen.

„Guten Morgen, wie gehts denn heute?“ fragt Manfred Schmidt als die Tür des
Gesprächsraumes sich schließt. ,,Gut, wobei ich gestehen muss, dass das Wetter
beklemmend ist.’’ sagt Johann S.(Name redaktionell geändert). Vor dem
Therapiegespräch zitiert Manfred Schmidt einige persönliche Informationen aus
der Akte von Johann. Er ist 43 Jahre alt, ist seit sieben Jahren in der forensischen
Psychiatrie und wird auch noch einige Zeit dort verbringen. Er wurde wegen
Stalkings und Vergewaltigung verurteilt. Seine sexuellen Neigungen sind gestört.
Er ist sadistisch und voyeuristisch. Eine Zeit lang hatte er sogar Freigang. Durfte
Teil am normalen Leben haben. Allerdings hat er während dieser Zeit wieder
Kontakt zu Frauen aufgenommen. Dies galt als Regelverstoß, da es einen Rückfall
an sein früheres Verhalten angedeutet hat.

Im Gespräch wirkt er ruhig, aufgeschlossen und fröhlich. Er lächelt viel. Es macht
den Anschein, als stünde seine Entlassung in wenigen Tagen bevor. Doch nach
Einschätzung der Therapeuten ist bei Johann S. auch nach fast sieben Jahren die
Gefahr groß, dass er rückfällig wird. Dennoch gilt auch für ihn – wenn die Ärzte
und Therapeuten einen positiven Prozess feststellen sollten, werden die
Vorschriften gelockert mit der Perspektive Johann wieder zurück ins normale
Leben zu entlassen. In den regelmäßigen Gesprächen mit Schmidt geht es meist
um die selben Dinge. Das tägliche Wohlbefinden und die anstehenden Therapien –
doch verändert hat sich bisher wenig.


Im Vergleich zur Arbeit in einer allgemeinen Psychiatrie hat der Job im
Maßregelvollzug aus Schmidts Sicht aber Vorteile. „Als Therapeuten und
gleichzeitig Bezugspersonen haben wir wesentlich mehr Zeit, mit den Patienten zu
arbeiten. Wir stehen nicht unter dem Druck der Krankenkassen die Patienten
möglichst schnell wieder nach Hause zu schicken, sondern können sie über Jahre
begleiten. Es ist äußerst befriedigend, wenn ich mitverfolgen kann, wie ein Patient
Fortschritte macht, vielleicht einen Schulabschluss nachholt oder eine Ausbildung
anfängt und sich am Ende wieder in die Gesellschaft eingliedern kann.“


„Ein enger Kontakt zwischen Patient und Personal ist wichtig“

Aber empfindet man auch so, wenn ein Insasse wegen Mordes oder sexuellem
Missbrauchs inhaftiert ist? Die öffentliche Vorstellung von psychisch kranken
Tätern ist vielfach von Hollywood-Typen wie Hannibal Lecter aus „Das Schweigen
der Lämmer“ geprägt. Für Jan Baum (Name redaktionell geändert) hat das wenig mit seiner Arbeitswirklichkeit zu tun. Der 33-Jährige hat nach fünf Jahren
Weiterbildung zum forensischen Gutachter gerade seine Ausbildung erfolgreich
absolviert und steht am Anfang seiner Laufbahn. Seine Aufgabe? Zu prüfen, ob ein
Straftäter schuldfähig ist.

An diesem Tag bekommt er einen neuen Patienten zugeteilt. Direkt am Eingang
der Station sitzt ein Mann mittleren Alters. Er trägt einen Wollumhang, obwohl es
sehr warm ist. Außerdem erzählt er jedem von seiner schwäbischen Mutter und
dass er selbst gebürtiger Frankfurter sei. Findet er keine Beachtung, macht er
durch Hilferufe auf sich aufmerksam. Bei dem Mann handelt es sich um den 58-
jährigen Harald F. (Name redaktionell geändert)

Bei ihm wurde eine schizotypische Persönlichkeitsstörung festgestellt. Menschen
mit dieser Art von Persönlichkeitsstörung haben ein tiefgreifendes Defizit bei den
zwischenmenschlichen Beziehungen und ihren sozialen Fähigkeiten. Außerdem
zeigen sie Eigentümlichkeiten in ihrem Verhalten, im Denken und bei der
Wahrnehmung. Verurteilt wurde Harald wegen schwerer Brandstiftung. Jan Baum
stellt sich freundlich bei ihm vor. Er geht gemeinsam mit Harald den bisherigen
Behandlungsplan durch und erklärt zeitgleich, welche Punkte sich nun ändern
werden. Direkt danach schlägt er Harald einen gemeinsamen Spaziergang zu
seinem Zimmer vor. Er möchte wissen, wie es ihm bisher auf der Station ergeht
und was er hier gerne tut. Ein enger Kontakt zwischen Patient und Personal ist
wichtig um Vertrauen zu schaffen, erzählt Bolz später.

„Hier passiert nichts. Ich rauche zwei Päckchen am Tag aus Langeweile.“

Das Zimmer erinnert an das einer normalen Klinik. Das typische Krankenhausbett
mit dem passenden Nachttisch auf Rädern. An das Bett war er die erste Nacht
gefesselt, sagt Harald.

Bis zu 24 Stunden dürfen Personen dem Gesetz nach auch gegen ihren Willen in
einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung untergebracht werden, wenn sie
sich selbst oder andere gefährden. Spätestens dann muss ein Richter über den
weiteren Verbleib entscheiden.

Der Rest des Raumes wirkt sehr kalt und steril, auch das Badezimmer ist nur
notdürftig ausgestattet. Baum erzählt später, dass die Duschbrausen extra so
angebracht sind damit sich niemand daran erhängen kann. Harald zeigt ihm die
Station. Es gibt ein Zimmer mit Tischtennisplatten, Kicker und Fernseher. Und ein
Zimmer zum Rauchen. Die meisten Patienten sitzen im Raucherzimmer, denn dort
gibt es ein Radio – Musik. An der Wand hängt ein Bild mit Palmen und Meer.
Harald dreht sich eine Zigarette. „Hier passiert nichts. Ich rauche zwei Päckchen
am Tag aus Langeweile.“ Baum möchte wissen, ob Harald sich gerne mit anderen
Insassen und dem Pflegepersonal unterhält und beschäftigt. „Nein, nur Warten
und Medikamente schlucken.“, antwortet Harald und bläst den Qualm in Richtung
Palmen.