Es gibt sie, die sozial schwachen Ecken in Essen. Ecken, durch die man vielleicht lieber nicht läuft, wenn man auch einen anderen Weg gehen kann. Gewalt, Drogen, Kriminalität. In diese Welt passen keine Kulturangebote, kein Theater – oder vielleicht doch?

Von Alexander Fichtner und Vivien Scheffler

Dominik Hertrich und Jens Dornheim haben es gewagt: Sie haben im Mai 2022 das Rabbit Hole Theater im Essener Norden eröffnet. Das kleine Theater erinnert fast an ein Wohnzimmer, nur 40 Menschen haben Platz und die Betreiber zeigen unkonventionelle Stücke, Lesungen und Konzerte in familiärer Atmosphäre. Auf der Bühne stehen Akteure des Theaterkollektivs ,,glassbooth“ und Künstler aus der freien Szene des Ruhrgebiets.

Zwischen Shisha-Bars und Drogenhändlern

Der Zeitpunkt direkt nach Corona, als viele Theater und Kultureinrichtungen gelitten haben, ist nicht ideal, würden viele denken. Der Ort sowieso nicht. Die Statistiken der Stadt zeigen, dass das Nord-Süd-Gefälle in Essen immer drastischer wird. Der ,,reiche“ Süden gegen den ,,armen“ Norden, der von Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität und

gescheiteter Integration geprägt ist. Schon lange ist das Viertel das Sorgenkind der Stadt. Doch das Theater läuft gut. Probleme durch Corona oder die Energiekrise wie andere Theater sie beschreiben, haben Dominik und Jens nicht. ,,Unser Vorteil ist, dass wir uns sehr divers aufstellen im Bezug aufs Programm“, sagt Jens Dornheim. Ihr Angebot würde Menschen aus ganz Essen ins Rabbit Hole Theater ziehen. Ganz klassisch von Kafka bis hin zu eher skurrilen Inszenierungen ist alles dabei – und das in Wohnzimmeratmosphäre bei Knabbereien und einem Glas Wein. Außerdem bekommen die direkten Nachbarn freien Eintritt, Dominik und Jens verteilen auch regelmäßig Flyer auf Deutsch und Englisch, um die Menschen aus der direkten Umgebung einzuladen mal vorbeizuschauen.

Die Meinungen gehen auseinander

Dieses Konzept ist in Essen bisher einzigartig. Außerdem wird das Theater von verschiedenen Seiten gefördert, wie zum Beispiel dem Kulturamt Essen und der Sparkasse Essen. ,,Wir sind gerne hier in der Gegend, gerade weil es kulturell so vielfältig ist. Unsere Nachbarn sind sehr gastfreundlich, oft bringen sie uns zum Beispiel Essen vorbei, fragen wie es uns geht“, erzählt Dominik. Die Menschen aus der direkten Umgebung sind aber auch kritisch, so sagt zum Beispiel Anwohner Ahmad: ,,Ich habe keinen Bezug zu Theater oder so, dass das hier in der Ecke ist, interessiert mich ehrlich gesagt nicht. Ich war noch nie da.“ Trotzdem kann das Rabbit Hole Theater gute Zukunftschancen haben, meint Veranstalter Hans Schuster. Der Experte, der eine eigene Eventfirma betreibt, ordnet die Lage so ein: ,,Ich glaube schon, dass das Theater in der Gegend eine Perspektive haben kann, wenn man es richtig angeht. Man muss versuchen neben den klassischen ,,Theatergängern“ auch die Menschen abzuholen, die bisher vielleicht noch keine Berührungspunkte damit hatten.“

Mehr als ein Theater

Aktuell gibt der Erfolg den Betreibern recht, denn die Vorstellungen sind fast immer ausverkauft. In Zukunft wollen Jens und Dominik weiter versuchen, das direkte Einzugsgebiet mit ihrem Programm zu erreichen. ,,Unser Theater soll eine Art Begegnungsort sein. Wir haben eine kleine Bar, wir wollen die Leute einladen, sich zu unterhalten und sich zu durchmischen. Theater und Unterhaltung für alle, das macht uns aus“, sagt Dominik.

Auf den ersten Blick ist das ,,Rabbit Hole“ als Theater fast nicht zu erkennen.

Mikrofontest vor der Aufführung des Stücks „Der gute Dieb“.

Der Raum ist Bar, Bühne und Publikumsbereich in Einem.

Vor der Tür: Starke Kontraste zum Rathaus in der Nordstadt.

Ein Hinterhof am Viehofer Platz, unmittelbar in der Nähe des Theaters.

Schlafstätten von Wohnungslosen gibt es in dem Viertel öfters.

Jens Dornheim und Dominik Hertrich betreiben das Theater.

Leere Geschäfte finden sich oft im abgelegenen Teil der Innenstadt.

Unordnung, Chaos, Graffiti: Ein typisches Bild im Essener Norden.

Spielotheken, Leerstand und Imbissbuden prägen das Straßenbild.

Selbst Nachmittags gibt es hier kein geschäftiges Treiben.