Im Februar sucht der NDR in einem Vorentscheid wieder einen Musik-Act, der Deutschland beim Eurovision Song Contest vertreten soll. In den letzten Jahren scheint Deutschland sich beim größten Musikwettbewerb der Welt auf den hinteren Plätzen einquartiert zu haben. Mit dem NDR-Journalisten Marcel Stober habe ich darüber geredet, ob das Konzept des deutschen Vorentscheides geändert werden sollte, um den alljährlichen Misserfolgen entgegenzuwirken. Seit mehreren Jahren fachsimpelt Stober als Experte bei eurovision.de und in seinem Podcast „ESC-Update“ über die neuesten Entwicklungen in der Eurovision-Welt. Seit diesem Jahr bezieht der NDR ihn und seine Kollegen der ESC-Online-Redaktion auch in die Auswahl des deutschen Acts mit ein.

Ein Interview von Giulia Senking

Herr Stober, bald findet die deutsche Vorentscheidung statt. Andere Länder haben sogar schon einen Kandidaten gewählt. Sind auch Sie schon im ESC-Fieber?

Ich bin immer im ESC-Fieber. Aber klar, der ESC ist nicht nur der eine Samstag im Mai. Er beginnt für mich schon mindestens ein halbes Jahr vorher, wenn die ganzen Vorentscheide in den anderen Ländern beginnen. Und dieses Jahr bin ich in Deutschland noch ein bisschen mehr involviert als sonst, dadurch dass es jetzt eine ESC-Redaktion gibt und wir auch immer mehr mit den Fernsehkollegen zusammenarbeiten.

In den letzten Jahren lief es für Deutschland beim ESC nicht so gut. 2010 war das anders, da hat Lena für uns gewonnen. Lag es da am Vorentscheid?

Es ist auch eine Menge Glück, wenn so viel zusammen kommt wie 2010. Man hat eine tolle Promo gemacht, Lena war im Ausland bekannt, bevor der ESC überhaupt losging. Das war wahnsinnig professionell. Und der Hype in Deutschland, der war natürlich auch nicht vergleichbar.

Malik Harris ist dieses Jahr für Deutschland beim ESC angetreten und mit „Rockstars“ auf dem letzten Platz gelandet. Was lief da beim Vorentscheid falsch?

Man muss leider sagen, dass die Radio-Kooperation, von der man sich viel erhofft hat, nicht in der Hinsicht etwas gebracht hat, wie ich es mir gewünscht habe. Man kann mal mit dem Positiven anfangen und sagen, ja, Rockstars läuft heute noch im Radio, das ist unfassbar. Aber natürlich ist ein guter Radio-Song nicht ein guter ESC-Song. Und ich hätte mir sehr gewünscht, dass die Radio-Jury sich ein bisschen mehr die Frage gestellt hätte, kann dieser Song auf einer großen Bühne wirklich bestehen.

Sie haben in Ihrem Podcast mal gesagt, dass es ausgefallene Lieder nicht in unseren Vorentscheid schaffen. Wem fehlt da der Mut?

Ich finde sogar, in einen Vorentscheid nur Pop-Songs zu lassen, das kann man machen. Ich habe da immer noch mehr Vertrauen, als wenn man sechs bis acht komplett crazy Acts wählt. Wenn du einmal die komplette Death Metall-Richtung machst und auf der anderen Seite den schlimmsten Party-Schlager, habe die Befürchtung, dass am Ende der kleinste gemeinsame Nenner gewinnt. Dann ist das auch wieder die Pop-Nummer. Und der ESC ist ein Pop-Contest, da haben es die Extreme immer schwer.

Schauen wir doch einmal auf den kommenden Vorentscheid. Dieses Mal können sich die Künstler:innen nicht nur über das normale Bewerbungs-Formular, sondern auch über TikTok bewerben. Wie gefällt Ihnen diese Änderung?

Ich muss sagen, dass ich bei TikTok skeptisch war. Aber als ich dann gesehen habe, was sich da beworben hat, muss ich sagen, vielleicht war es doch keine so schlechte Idee. Denn wenn man sich bei TikTok bewirbt, muss man schon damit rechnen, dass die Bewerbung gesehen wird. Und zwar nicht von vier, fünf Hanseln, die sich durch die Songs klicken, sondern eben von der ganzen TikTok-Community. Da muss man sich schon mal Mühe gegeben haben.

Als Mitglied der Vorentscheids-Jury dürfen Sie über die Kanditdat:innen nicht sprechen, aber gibt es denn eine Musikrichtung, die Sie sich beim Vorentscheid mal wünschen würden?

Also ich glaube, dass bei dem ESC aktuell viel mit Klischees gespielt wird und mit Songs, die einfach wirklich so klingen wie die Länder. „Zitti e Buoni“ schreit dir Italien ins Gesicht, Sam Ryder ist so britisch wie nichts. Und da kann man sich fragen, für was steht Deutschland? Und wenn man mit dem Blick des Auslands auf Deutschland schaut, ist es vielleicht wirklich die Bayrische Blaskapelle.

In Schweden ist der Vorentscheid, also das „Melodifestivalen“, sehr groß und läuft sogar über mehrere Tage. Es scheint zu funktionieren, denn Schweden landet fast stätig weit vorne. Wäre so etwas auch für Deutschland denkbar?

Ich war dieses Jahr zum ersten Mal bei den Melodifestivalen im Publikum und ich hatte fast Tränen in den Augen. Da saßen irgendwelche coolen 17-Jährigen im Publikum, die hatten die Melodifestivalen-App auf dem Handy und haben irgendwelche Herzchen verteilt. So viel Engagement für den Vorentscheid wäre in Deutschland wahrscheinlich nicht möglich. Dafür hat der ESC einfach nicht den Stellenwert, den er in Schweden hat.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten und sich aussuchen dürften, welcher Künstler oder welche Künstlerin mal für Deutschland zum ESC fährt. Wer wäre das?

Ich würde mir „Laing“ sehr für den ESC wünschen. Ich finde das ist ein perfektes Konzept. Deutscher Pop, der aber sehr besonders ist und besonders inszeniert ist. Die können das einfach.