Sich um andere zu kümmern ist ihre Passion. Deswegen arbeitet Alina schon seit 5 Jahren als Pflegekraft in einem Altenheim. Sie möchte ihren vollen Namen aus Datenschutzgründen nicht nennen. Die 24-Jährige könnte sich keinen anderen Job mehr für sich vorstellen, auch wenn er sie oft an ihre Belastungsgrenze bringt.
Von Charlotte Schulte
Die anfängliche Ruhe
Alina läuft pünktlich um 6.00 Uhr morgens über die Flure des Altenheims. Von draußen hört man die Kirchenglocken noch läuten. Sonst ist es noch sehr ruhig. Im Schwesternzimmer angekommen, sitzen ihre Kollegen schon bei einem Kaffee zusammen. Der Geruch des Instantkaffee Pulvers vermischt sich mit einer Note von Desinfektionsmitteln. Ihre Kollegin Lydia ist froh, gleich in ihren wohlverdienten Feierabend zu gehen. Sie hatte Nachtschicht auf dem Wohnbereich. Zu dem Wohnbereich “Am Kirchturm” gehören 20 Bewohner und ein kleiner Speiseraum. Während sich Alina ihre Arbeitskleidung für den Tag überstreift, tauschen sich die Kollegen über die Nacht und den anstehenden Tag aus. Ihre dunkelblonden Haare bindet sie noch in einen Pferdeschwanz und streift über ihre weiße, sterile Kleidung. Der Tag kann beginnen.
Stress ist der Dauerzustand
Alina und ihr Kollege bleiben bis heute Mittag alleine. Das sind viel zu wenig Pflegekräfte für 20 Bewohner. “Wir müssen in zwei Stunden jeder zehn Anwohner pflegen und sie für das Frühstück fertig machen. Da bleibt das Zwischenmenschliche leider auf der Strecke”, berichtet sie traurig, als sie sich schon auf den Weg zum ersten Bewohner macht.
Für jeden bleiben jetzt nur zwölf Minuten. Sehr wenig Zeit, um sich mit jedem genau zu beschäftigen.
Es bleibt keine Zeit übrig
Die zierliche Pflegerin ist nun im ersten der zehn Zimmer des Tages angekommen.” Guten Morgen! Na, haben Sie gut geschlafen?”, gut gelaunt begrüßt Alina den Bewohner. Dieser sitzt schon auf der Bettkante und weiß genau, was nun folgt. Zuerst geht es für die beiden in das kleine Badezimmer, das an den großen geräumigen Raum anschließt. Alles wirkt sehr kalt und steril. Besonders im Badezimmer riecht es nach Desinfektionsmitteln und Seife. Während der täglichen Morgenroutine muss Alina sich beeilen. „Können Sie mir gleich noch bei etwas behilflich sein, ich schaffe es nicht alleine”, fragt der Bewohner mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck.” Ich komme heute Nachmittag wieder, versprochen, aber Sie wissen doch, dass vor dem Frühstück dafür keine Zeit bleibt”, verspricht ihm Alina.
Man kann ihr genau ansehen, dass ihr es leid tut, den Rentner so hinhalten zu müssen, aber ihr bleibt nichts anderes übrig. Zurück im Zimmer findet man nur vereinzelte persönliche Gegenstände. Nur ein paar Bilder und ein Kreuz hängen an den Wänden, sonst ist die hellgelbe Wand leer. Die Farbe soll wahrscheinlich glücklich machen, doch hier wirkt sie deprimierend. Alina hilft dem Bewohner noch, seine Strümpfe anzuziehen, da er sich nicht mehr bücken kann. Den Rest schafft er alleine.” Alles klar, dann sehen wir uns gleich beim Frühstück wieder. Passen Sie aber beim anziehen bitte auf!”, mahnt die 24-Jährige den älteren Herren.
Alina wirkt auch vor den weiteren neun Bewohnern gelassen. Jeder braucht bei unterschiedlichen Dingen Hilfe. Manche mehr, manche weniger. Doch man kann der Pflegekraft auf dem Flur zwischen den Zimmern deutlich ansehen, wie gestresst sie ist. Der Blick wandert immer wieder auf die Uhr, die sie am Handgelenk trägt. Sie darf keine Minute zu lange bei einem Bewohner bleiben, das geht an die Psyche und hinterlässt auf Dauer tiefe Falten in dem noch jungen Gesicht.
Eine erste kleine Pause
Um kurz vor 8 ist es dann soweit. Die ersten Essenswagen rollen über die Flure. Die Bewohner sitzen schon in dem kleinen Speiseraum an runden Tischen und warten auf die erste Mahlzeit des Tages. Viele freuen sich, Kontakt zu den anderen zu haben, da sie sonst sehr viel Zeit alleine verbringen. Alina steht am Rand des Raumes und beobachtet die Bewohner, ob sie Hilfe brauchen oder nicht. Sie hat sich selbst eine Tasse Kaffee aus dem Pausenraum geholt und genießt die kleine Pause. Alina sagt, ihr täte es im Herzen weh, manche der Bewohner so einsam zu sehen und zu wissen, dass sie selber keine Zeit hat, sich mit ihnen zu beschäftigen. Häufig geht sie nach Hause und denkt noch viel über den Tag nach. Die Arbeit lässt sie nie ganz los.
Keine Änderungen in Sicht
Sie hätte sich gewünscht, dass sich nach der Corona-Pandemie etwas ändere. Das hat es aber leider nicht. “Ich verstehe einfach nicht, warum sich nichts ändert! Jeder hat doch mitbekommen, wie wichtig Pflegekräfte sind, egal ob im Krankenhaus oder in der Altenpflege und es tut sich trotzdem nichts. Es werden weder neue Arbeitskräfte eingestellt, noch wird der Job besser bezahlt. Das macht mich so häufig wütend. Ich kann verstehen, warum keiner in dieser Branche arbeiten möchte. Meine Kollegen haben Probleme, ihre Familie zu ernähren, während andere im Geld schwimmen. Da kann ich nur froh sein, noch keine Kinder zu haben. Aber ich frage mich schon, wie es in Zukunft sein wird”, beschwert sich die 24-Jährige.
Die kleinen Dinge im Leben
Die kleine Pause war nur von kurzer Zeit, denn die ersten Bewohner möchten zurück in ihre Zimmer. Den kurzen Weg zwischen Speiseraum und Zimmer nutzt Alina, um mit den Menschen zu sprechen. Wenigstens ein kurzer Smalltalk, mehr möchten die meisten Bewohner gar nicht. Die 24-Jährige fährt eine Bewohnerin mit ihrem Rollstuhl über den Flur und fragt, wie die Sitzgymnastik am Vortag war. Für die 85-Jährige ist es ein toller Ausgleich. Die Bewohnerin hat keine Angehörigen mehr, mit denen sie reden könnte. Sie wirkt gebrechlich und sehr zart. Doch sobald Alina mit ihr spricht, zeichnet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ab.
Dieser Teil ihres Berufes gefällt Alina auch am besten und sie wünschte sich, dass dafür viel mehr Zeit wäre. Die Wärme, die die Bewohner bei einem Gespräch versprühen, ist unersetzbar. Viele haben keine Angehörigen mehr, oder sie kommen nur selten zu Besuch. Da kann es schon mal einsam werden. Das kurze Gespräch bringt aber vielen Freude und Alina kann so gut es geht helfen.
Ein Lächeln sagt mehr als 1000 Worte
Von der anfänglichen Ruhe ist auf den Fluren schon lange nichts mehr zu spüren. Von überall hört man auf dem langen Flur das schrille Klingeln der Notknöpfe der Bewohner oder einen verzweifelten Hilferuf. Alina bleibt ruhig und geht die einzelnen Arbeitsschritte routiniert durch. Wer hier in Panik verfällt, hat verloren. “Leider kann ich nicht überall gleichzeitig sein, auch wenn ich das gerne wäre”, so Alina. Ihre Kollegen und sie geben immer ihr Bestes, auch wenn das manchmal nicht genug zu sein scheint. Bis zu Ihrem Feierabend rennt die gelernte Pflegerin von einem Zimmer zum anderen, ohne große Pausen. “Ich liebe meinen Job. Das Lächeln der Bewohner gibt mir so viel zurück. Mehr brauche ich gar nicht”, schwärmt die 24-jährige und verschwindet in ein neues Zimmer.
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