Schuhe in Übergröße, eine rote Nase und immer gute Laune – fertig ist der typische Clown. Dass Clowns aber auch deutlich vielseitiger sein können, zeigt Klinik-Clownin Katharina Losinzky. Als „Klüngel“ geht sie feinfühlig auf die Stimmungen der Kinder ein. „Lustig sein“ steht dabei nicht an erster Stelle.

Von Theresa Kristofic

„Dürfen wir reinkommen?“, fragen Katharina Losinzky und ihre Kollegin Inga Borgschulte, bevor sie Zimmer 10 auf der Station KIB der Kinder- und Jugendklinik am Marienhospital Gelsenkirchen betreten. Obwohl die Wände hier in verschiedenen Gelb- und Blautönen gestrichen sind, fallen die beiden auf. Denn in ihren Rollen als Klinik-Clowninnen Klüngel und Wilma tragen sie bunt gemusterte Kleider und rote Echtleder-Nasen, die von einem dünnen Gummiband an ihrem Platz gehalten werden. Nach der Erlaubnis des kleinen Patienten beginnt ihr Spiel direkt an der offenen Zimmertür. Immer wieder klopft Klüngel von außen an die Tür, während Wilma auf der anderen Seite lauscht, wie laut das Klopfen im Zimmer zu hören ist. Langsam tasten sich die beiden in ihrem Spiel weiter in das Zimmer vor, bis sie schließlich vor dem Bett ihres ersten Zuschauers stehen. Dieser lacht immer wieder laut auf und auch seine Mutter strahlt. „Es war jetzt das erste Mal, dass wir Besuch von den Clowns hatten und ich fand es wirklich sehr amüsant und auch sehr lustig für die Kinder“, sagt sie hinterher. Lachen ist für Clownin Losinzky jedoch nie der primäre Grund für den Besuch: „Es ist schön, wenn das passiert, das muss es aber nicht.“ Stattdessen möchte sie mit den Kindern in Kontakt kommen, einen Überraschungsmoment bringen und die Stimmung verändern. „Die Kinder sind krank und häufig ist die Stimmung gedrückt, wenn man den Raum betritt. Manchmal schaffen wir es dann, das ein bisschen zu verändern, auch wenn es nur ein kleiner Moment ist“, sagt Losinzky über ihre Motivation, regelmäßig in die Rolle der Klüngel zu schlüpfen. Alles, was Losinzky braucht, ist Improvisation: „Wir haben kein Programm und keine eingespielten Routinen. Die Kinder dürfen Regisseure sein von dem, was passiert.“ Trotzdem hat die Klinik-Clownin in ihrem roten Requisitenkoffer allerhand Material dabei. Neben Luftschlangen und einem Fächer verstaut sie darin unter anderem zwei Mini-Tennisschläger, glitzernde Sticker in Herzform und quadratische bunte Papierstücke. Diese kommen direkt zum Einsatz, als ein Junge mit seiner Mutter Origami faltet. Spontan bastelt Klüngel aus einem grünen Stück Papier einen Hut für Wilmas Handpuppe, den krächzenden Raben Kurt.

Klüngels Requisitenkoffer beinhaltet allerhand Material. Von Luftschlangen über einen Fächer bis hin zu glitzernden Stickern ist alles darin zu finden. Foto: Theresa Kristofic

Auch eine Ukulele hat Klüngel meistens dabei, auf der sie sich spontan Lieder ausdenkt. „Klüngel ist sehr vielseitig. Ich schätze das Musikalische sehr an ihr, aber man kann auch ganz abgedrehte Geschichten mit ihr spielen“, beschreibt Inga Borgschulte die Zusammenarbeit mit ihrer Kollegin.

Doch teilweise begegnen die Clowninnen auch weniger schönen Situationen. Mit nach Hause nimmt Losinzky diese Schicksale aber nicht: „Mich persönlich berühren so Schicksale natürlich, aber ich lasse das meistens mit der Clownin vor Ort.“ Und für die seien diese Schicksale ohnehin nicht entscheidend, „weil Clowns völlig naiv sind und die Situation so nehmen wie sie gerade ist.“

Rausschmeißen erlaubt

Die Situation so nehmen wie sie ist – dazu gehört auch, manchmal von den Kindern rausgeschickt zu werden. Das macht den Clowninnen aber überhaupt nichts aus. Losinzky betont: „Uns ist es immer wichtig, dass das Kind die Oberhand über die Situation haben darf. Wir sind keine Ärzte und keine Schwestern. Wir wollen nichts von den Kindern und sie dürfen uns auch sehr gerne rausschmeißen. Das dauert dann auch manchmal.“ Denn dann gibt es an der Tür doch noch eine kleine Darbietung.

Wilma und Klüngel klopfen an jede Tür und kommen erst rein, wenn das Kind es auch möchte. Foto: Theresa Kristofic

Möglich ist das nur, weil die Clowns der „Clownsvisite e.V.“ die Kliniken immer zu zweit besuchen. Denn so können sie miteinander spielen, wenn das Kind nicht aktiv mitspielen möchte. „Nicht jedes Kind möchte immer im Fokus stehen, sodass wir zu zweit eine Zuschauersituation für das Kind schaffen können“, sagt Losinzky. Außerdem könne man zu zweit das Prinzip des roten und des weißen Clowns nutzen. Dabei sprengt der rote Clown jegliche Grenzen, während der weiße Clown ihn zurecht weist. Klüngel und Wilma teilen die Rollen unterschiedlich auf. „Manchmal darf ich Chefin sein und manchmal ist Klüngel Chefin. Es kommt aber auch vor, dass wir beide mal ganz dumm sind. Und Klüngel kann sowohl sehr dumm – im positiven Sinne – als auch sehr pfiffig sein“, führt Klüngels Kollegin aus.

Die Idee regelmäßiger Clownsbesuche in Kinderkliniken stammt von Michael Christensen, einem Clown aus den USA. Dieser entwickelte 1986 das „Clown doctoring“ und gründete eine Organisation, die Clowns in Kinderkliniken schickte. In den 90er-Jahren schwappte dieses Konzept nach Europa herüber und seit 1994 gibt es solche Clownsbesuche auch in Deutschland.
Katharina Losinzky ist seit fünf Jahren Klinik-Clownin und arbeitet seit drei Jahren für den Verein „Clownsvisite e.V.“ aus Essen. Dieser schickt seit mehr als 20 Jahren Clowns in Kliniken und Einrichtungen im Ruhrgebiet. Fast genauso lange besuchen die Klinikclowns bereits das Marienhospital Gelsenkirchen. Aus gutem Grund, bestätigt Stationsleiterin Schwester Uta: „Die Clowns sind wirklich wichtig für die Genesung und machen nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern sehr sehr viel Spaß. Die Kinder freuen sich immer auf die Clowns und es gibt viele, die wirklich darauf warten.“

Wenn Losinzky gerade nicht als Klüngel unterwegs ist, arbeitet sie in der Verwaltung am Dom in Münster.

Aus einer „bescheuerten Idee“ wurde eine große Leidenschaft

Bei diesem Hauptberuf allein wäre es wahrscheinlich auch geblieben, wenn Losinzkys Schwester sie nicht zu einem Kurs für Klinik-Clowns überredet hätte. „Ich hielt das für eine total bescheuerte Idee, weil ich Clowns eigentlich nicht mochte. Für mich waren das immer irgendwelche Spaßmacher, die ein Programm abnudeln und möglichst witzig sein wollen“, sagt Losinzky. Doch als ihr Clownslehrer verdeutlichte, dass es vor allem darum gehe, authentisch mit Menschen in Kontakt zu kommen, war Losinzkys Interesse geweckt. „Ich habe vorher schon Theater gespielt und mich immer gefragt, wie man es schafft, möglichst nah an die Menschen ranzukommen und sie zu berühren. Es war eigentlich nicht mein Ziel, Klinik-Clownin zu werden“, erklärt sie.

Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr der allererste Besuch als Klüngel in einem Altenheim. Dort begegnete sie einer dementen Frau, die bereits nicht mehr sprechen konnte. Doch nachdem die Clowns dieser Frau dreimal begegnet sind, sagte sie zu Klüngel: „Sie kenne ich.“ „Seitdem mache ich das ganz furchtbar gerne und finde es großartig.“

„Wie wäre es denn mit Klüngel?“

Bis man weiß, wer man als Clown ist und welches Kostüm man trägt, ist es allerdings ein langer Weg. Zwar wechselt Katharina Losinzky ihr Kostüm ab und zu, ihr roter Stoffgürtel mit der großen Schleife und der auffallende Kopfschmuck dürfen jedoch nicht fehlen. Heute besteht dieses „Gestrüpp“, wie sie es selbst nennt, aus mehreren roten und weißen Blüten sowie zwei rosafarbenen Kunst-Wellensittichen. Ihren Namen „Klüngel“ hat Losinzky von ihrem Mann geschenkt bekommen. „Ich bin sehr vergesslich und lasse eigentlich immer etwas liegen, wenn ich aus dem Haus gehe“, sagt sie. So war es auch an einem Morgen während ihrer Ausbildung, an dem Losinzky ihren Schlüssel zu Hause vergessen hat. Als sie dann nochmal zurückfuhr, stand ihr Mann bereits mit dem Schlüssel in der Tür und fragte: „Wie wäre es denn mit Klüngel?“ Zuvor hatten sich die beiden über mögliche Clown-Namen unterhalten.

Wie gut der Name „Klüngel“ tatsächlich zu Katharina Losinzky passt, zeigt sich auch heute wieder. Um sich für ihr Spiel auf eine viel zu kleine Turnmatte zu legen, nimmt sie ihre Ukulele kurz ab – und hat sie beim Rausgehen dann im Zimmer vergessen. Aufgefallen ist es ihr erst zwei Zimmer später.

Nach fünf Stunden im Marienhospital Gelsenkirchen ist der Arbeitstag von Klüngel und Wilma zu Ende. Die beiden Clowninnen nehmen ihre roten Echtleder-Nasen ab und so werden aus Klüngel und Wilma wieder Katharina Losinzky und Inga Borgschulte.