Die Castroper Straße in Bochum-Mitte. Hier schlägt das Herz des Blues. Moment – Blues? Ja, es gibt hier auch noch was anderes als den VfL Bochum. Nur unweit des Ruhrstadions liegt das kleine Gasthaus Frein. Hier findet jeden ersten Freitag im Monat die Bochumer Blues Session statt.
Das Gasthaus ist recht unscheinbar in eine Wohnhäuserreihe eingegliedert. Ein großes Schild mit dem Schriftzug „Haus Frein“ und einige farbige Leuchten kennzeichnen die Gaststätte. Ein leichter Geruch von Schnitzel und Pommes liegt hier in der Luft. Die Wände des Veranstaltungssaals im Inneren des Gasthauses tragen verblasste Tapeten in einem gelblichen Ton. An ihnen hängt in der linken Seite des Raums ein großes, beleuchtetes Bild eines Saxophons. Daneben ein mittelalterlich anmutendes Gemälde. Mehrere Wandleuchten erhellen den Raum, jedoch fehlt an einer von ihnen bereits der dazugehörige Schirm.
Instrumente überall
Eine richtige Bühne für die Musiker gibt es nicht. Am Ende des länglichen Saals hängt ein schwarzer Vorhang, um den „Backstagebereich“ vom Rest des Saals zu trennen. Davor stehen einige Gitarren und Verstärker. In der Mitte ein schwarz-grünes Schlagzeug. Ein Bass. Mikrofone. Vor der Wand ein massiver Eichenholzschrank, auf dem eine weitere Gitarre liegt. Die provisorisch aufgebauten Sitzreihen sind noch nicht ganz gefüllt, als Moderator Klaus Schröder leicht verspätet um 20.15 Uhr die Session eröffnet. Der heute 66-Jährige ist bereits seit 1996 regelmäßig als Hörer und Jam-Gast dabei, hat später dann sogar die Moderation der Abende übernommen.
Die Idee hinter der Bochumer Blues Session: Dem Blues sollte ein Forum geschaffen werden, damit es für Interessierte und Fans eine feste Anlaufstelle gibt. Anfänger und Profis kommen hier zusammen. So können die Gäste voneinander profitieren und sich gegenseitig wertvolle Tipps geben. Zudem handelt es sich in gewisser Weise auch um eine „Musikerbörse“. Wer gerne in einer Band spielen möchte und noch Leute sucht, hat hier beste Chancen, um Gleichgesinnte zu treffen.
Die Eröffnung des Abends
Schröder begrüßt kurz die Zuschauer und Jam-Gäste und weist auf die Teilnehmerliste hin. Jeder, der mitjammen möchte, trägt sich zu Beginn in diese Liste ein. Moderator Schröder stellt dann mehrere Besetzungen zusammen, die so aufgeteilt sind, dass sich in jeder Gruppe einige ihm bekannte und unbekannte Gesichter wiederfinden. So könne er einen möglichst reibungslosen Ablauf des Abends gewährleisten.
Ohne viel zu reden, bittet er die Opener-Band auf die Bühne. Bei jeder Session eröffnet eine andere Band den Abend, bevor die Jam-Gäste auf die Bühne dürfen. An diesem Abend steht Peter Driessen mit seiner Band auf der Bühne. Die Gruppe trägt keinen festen Namen. Das mag daran liegen, dass Driessen immer mit anderer Besetzung unterwegs ist. Auch er war schon oft als „normaler“ Jam-Gast dabei.
Das A und O: Jammen, jammen, jammen
Der 68-Jährige spielt die Gitarre und übernimmt den Gesang. Er trägt einen weiten roten Pullover und Jeans. Auf dem Kopf trägt er eine schwarze Kappe mit weißem „bruno banani“ Schriftzug. Durch die großen Gläser seiner Brille schaut der einstige Gymnasiallehrer hinter sich. Seine Bandmitglieder sind allesamt vom älteren Schlag, tragen bis auf den zweiten Gitarristen ebenfalls graues Haar. Auch der Altersdurchschnitt im Publikum liegt geschätzt über 40. Doch das alles hat keinen Einfluss auf die Stimmung.
Gefühlvoll startet die Band in ihr abendliches Set. Recht ruhig stehen sie da. Es herrscht allerdings ein reger Blickaustausch zwischen den Musikern, denn auch wenn sie eigene Songs spielen, so wird hier während der Songs teilweise improvisiert. Dabei entstünden unwiederholbare Momente, wie Driessen findet. Auch wenn er bereits viele Songs geschrieben und Alben produziert hat, so erlebt er die besten Momente auf der Bühne beim Improvisieren. Oft weiß er im Nachhinein nicht einmal mehr, was er in diesem Moment überhaupt gespielt hat.
„Ich bin clean wie ein Kinderpopo!“
„Blues verlangt Gefühl. Wenn man dann beim Blues sehr gefühlvoll ist, kann es auch schon mal passieren, dass man anfangen muss zu weinen.“ Beim Spielen schließt er oft die Augen, lehnt sich leicht zurück. Seine Finger gleiten sanft über das Griffbrett seiner rot-weißen Gitarre. Vor dem Abschluss eines Songs dreht er sich zur Band und geht auf die Zehenspitzen, um einen gemeinsamen Akkord anzustimmen. Während der Akkord ausklingt, kommt er mit den Füßen wieder zurück auf den Boden.
Nach einigen Songs tanzt ein Paar aus dem Publikum in der Mitte des Saals. Driessen hat seine schwarze Kappe bereits abgeworfen. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn und am Hals. Seine raue Stimme untermalt seinen gefühlvollen Gesichtsausdruck. Er ist kein Raucher, trinkt nicht regelmäßig Alkohol. Woher diese Stimme komme, wisse er selbst nicht. In Blueskreisen ist er für seine Stimme und sein Gitarrenspiel deutschlandweit bekannt. Aber auf den Wunsch, berühmt zu werden, habe er immer gepfiffen. Er fühlt sich in kleinen Kneipen wie dem Gasthaus Frein wohler. Hier ist das wahre Bluesfeeling einfach eher zu Hause.
Der Klang der Erfüllung
Nach etwa 45 Minuten verabschieden sich Driessen und seine Band. Umgehend fangen sie an, ihr Equipment abzubauen, damit die Jam-Gäste starten können. Nun kommen die unterschiedlichsten Menschen zusammen: Mike trifft auf Werner. Langhaariger Sonnenbrillenträger mit Hut trifft auf alten Mann mit krummem Rücken. Gitarrist trifft auf Trompeterin und Mundharmonikaspieler.
Und alle harmonieren wunderbar miteinander. Auch dafür steht die Bochumer Blues Session: für ein buntes und interkulturelles Miteinander, frei von Hass und schlechter Stimmung. Gäste jeden Alters sind willkommen. Hier geht es einfach nur um den Blues und ums dazugehörige Gefühl. Einige Anwesende zeigen, dass man auch mit altersbedingten Gebrechen noch seine Leidenschaft ausleben kann. Welch ein erfüllender Anblick – und natürlich Klang.
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