Die Debatte um ein Sexkaufverbot wird derzeit groß diskutiert. Doch die Stimmen von betroffenen Prostituierten werden nur selten gehört. Sie fürchten die Folgen eines solchen Verbots.
Von Philippa Baltronat
Carina Hollert ist 31 Jahre alt, kommt aus der Nähe von Kiel und beschreibt sich selbst als selbstbestimmte Sexarbeiterin. Die gelernte Grafikdesignerin ist seit zehn Jahren hauptberuflich in der Sexarbeit tätig. Angefangen hat Sie neben der Ausbildung als GoGo-Tänzerin, später Stripperin. Nach Abschluss der Ausbildung entschied sie sich als Escort im Begleitservice anzufangen und arbeitet heute in einem Bordell.
Die EU will einheitliche Regeln für Prostitution, während sich Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt für ein komplettes Verbot aussprach. Bei einer Kanzlerbefragung im Bundestag antwortete er auf eine Frage von CSU-Politikerin Dorothe Bär: „Es ist nicht akzeptabel, wenn Männer Frauen kaufen.“ Doch was bedeutet Sexkaufverbot? In einer schriftlichen Stellungnahme des Instituts für Menschenrecht mit Sitz in Berlin wir das Sexkaufverbot wie folgt beschrieben: Danach können Personen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe verurteilt werden. Die Prostituierten selbst bleiben straffrei.“ Das Konzept ist auch unter dem Namen Nordisches Modell bekannt, weil es bereits in vielen nordischen Ländern, wie Schweden und Norwegen Gesetzeslage ist.
Ich mache das aus freien Stücken
Carina Hollert hält als Sexarbeiterin nichts vom Nordischen Modell. „Dadurch, dass unsere Kunden kriminalisiert werden, fallen unsere Arbeitsstätten weg. Unser Beruf wird damit unsicher und verlagert sich in die Illegalität. Man arbeitet praktisch wie ein Drogendealer, der sich mit seinen Kunden heimlich im Wald treffen muss.“ Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte bemängelt in einer schriftlichen Stellungnahme das Modell: „Verschiedene neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass solche Verbote im Kontext von Prostitution das Risiko sexuell übertragbarer Erkrankungen erhöhen. Gewalt steigt, Arbeitsbedingungen verschlechtern sich. Menschenhandel verringert sich nicht.“
Redet mit, nicht nur über uns
Stattdessen wünscht sich Carina Hollert eine Gleichberechtigung mit anderen selbstständigen Berufen. Als Sexarbeiterin muss man neben der normalen Gewerbeanmeldung jährlichen Gesundheitsberatungstermine besuchen, die für viele ein Zwangsouting bedeuten. Von den Medien wünscht sie sich eine umfangreichere neutralere Berichterstattung. „Es wird immer viel über uns, aber wenig mit uns gesprochen.“ Zudem wünscht Sie sich mehr Kontrollen in Prostitutionseinrichtungen, um die gegebene Sicherheit und gerechtfertigte Mietpreise zu kontrollieren. Dabei sollten die arbeitenden Frauen befragt werden, damit tatsächlich Zwangsprostituierte entdeckt werden können.
Prostitution ist Gewalt
Simone Kleinert vom Bündnis NRW Pro Nordisches Modell setzt sich aktiv für ein Umdenken in der Prostitutionspolitik ein. „Wir möchten, dass der Staat Prostitution als geschlechtsspezifische Gewalt anerkennt.“ Für sie gehören Aufklärung und Prävention zum Nordischen Modell dazu: „Wir wollen unseren Kindern beibringen, dass es verboten ist, sich Zugang zu einem Menschen zu kaufen, um mit dem sexuell zu machen, was der Bezahlende will. Solange Freier die Möglichkeit haben, sich legal Sex zu kaufen, haben Sie kein Respekt vor Frauen.“ Das Nordische Modell und die komplette Abschaffung von Prostitution kann für sie nur generationsübergreifend funktionieren.
Der Sozialarbeiterin ist es wichtig, festzuhalten, dass ihr das Wohl der Frauen am Herz liegt. Im Bündnis NRW Pro Nordisches Modell engagieren sich auch viele ehemalige Prostituierte. Sie vertreten die Meinung: „Prostitution ist serieller sexueller Missbrauch. Es gibt keine selbstbestimmte Prostitution. Sobald ich Geld für Sex nehme, mache ich, was der Freier will.“
Der Unterschied zwischen selbstbestimmter und Zwangsprostitution
Das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme: „Wissenschaftliche Studien belegen sowohl das Vorkommen von erzwungener wie auch von selbstbestimmter Prostitution. Repräsentative Daten liegen allerdings nichts vor.“ Das Fehlen dieser Daten führe dazu, dass unterschiedliche Akteure ihre Position und Meinung als die einzige richtige darstellen.
Für die Sexarbeit entschieden
Carina Hollert kann die Position des Bündnis NRW Pro Nordisches Modell nicht nachvollziehen. Sie hat das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden: „Als selbstbestimmte Sexarbeiterin werden dir direkt immer psychische Vorschäden angedichtet, du weißt nicht, wie sehr du durch den Beruf geschädigt bist, oder Sexarbeit wird als letzte Möglichkeit vermittelt. Viele meiner Kolleginnen haben unterschiedlichste Berufe gelernt und sich trotzdem lieber dazu entschieden, in der Sexarbeit tätig zu sein.“
Prostitution aus Geldnot ist keine Zwangsprostitution
Ihre Lösung: Mehr Kontrollen und Umdenken. Zwangsprostitution ist etwas anderes als Prostitution aus Geldnot. „Bei einer Reinigungskraft würde man nie von einer Zwangsputzkraft reden, selbst wenn sie dem Beruf nur des Geldes wegen nachgeht. Die Vorstellung, dass man sich oder seinen Körper verkauft, ist rein religiöses und moralisches Denken. Genauso, dass man sich nicht vorstellen kann, dass eine Person lieber sein Geld mit Sexarbeit verdient als mit anderen Berufen. Wir verkaufen unseren Körper nicht mehr als andere Menschen, die auch körperlich tätig sind. Wie zum Beispiel Handwerker oder Medikamenten Tester.“
Für eine Zukunft ohne Stigmata
In der Wunschwelt von Carina Hollert kann man den Beruf Sexarbeiterin ganz normal in Lebenslauf eintragen, ohne deswegen benachteiligt zu werden. Es wäre leicht, Wohnungen zu finden und die Gesellschaft würde viel toleranter und unvoreingenommen mit dem Thema umgehen. Damit keine Sexarbeiterin mehr Angst haben muss vor einem Outing. Solange das nicht erreicht ist, wird die 31-Jährige weiter aufklären und sich gegen ein Sexkaufverbot stark machen.
Fakt ist, das Nordische Modell ist ein viel diskutiertes Thema. Ob es bald auch in Deutschland Gesetz wird, bleibt zunächst unklar. Sicher ist jedoch, dass die Für- und Gegensprecher in ihren Positionen so verhärtet sind, dass sich die Debatte um ein Sexkaufverbot nicht schnell auflösen wird.
Comments are closed