Ingo Micke ist hart im Nehmen – Er ist Tatortreiniger. Wenn Menschen sterben und Blutlachen in Teppichen hinterlassen, säubert und entrümpelt er die Wohnungen. Auch nach Morden oder Suiziden wird er gerufen. Der 51-Jährige hat seine Firma in Sprockhövel. Micke ist cool bei der Arbeit und blickt der Realität nüchtern ins Auge. Muss er auch.
Von Jennifer Loska
Ein gewöhnlicher Freitagmorgen an einem eisigen Januartag. Die ersten Sonnenstrahlen kämpfen gegen den Nebel an. Die meisten machen sich schon warme Gedanken über das Wochenende – Ingo Micke nicht. Er ist mit seiner grün reflektierenden Dienstjacke in seinem Innenhof unterwegs und trifft letzte Vorbereitungen. Kurz vor der Abfahrt, holt er seinen kleinen blauen Plastikkoffer von seinem großen grauen Ford Pickup-Truck und prüft die letzten Utensilien. „Ich öffne die Tür und schaue in welchem Zustand die Wohnung ist“, sagt Micke. „Nicht immer braucht man den Ganzkörperanzug.“ Damit ist der weiße Schutzanzug gemeint, den die Meisten aus den Kriminalfilmen kennen. „Wichtig sind die Handschuhe und das Desinfektionsmittel. Die Kleidung wäscht man bei 60 Grad und gut ist“, erklärt er – Abfahrt.
„Überraschungstüte“
Micke ist an seinem Tatort angekommen. In einem 70er-Jahre braunen Wohnkomplexe in Duisburg ist die Reinigung. „Ich weiß nicht, was heute auf mich zu kommt, es ist wie eine Überraschungstüte“, grinst Micke, während er in seinem Handy nach Fotos sucht. Eine Weiterbildung als Desinfektor und Schädlingsbekämpfer brachte ihn zur Tatortreinigung. „Bei der Feuerwehr wollte es niemand machen und so rutschte ich irgendwie rein“, schmunzelt er mit seinem gräulichen Dreitagebart.
Er hat noch etwas Zeit, bis er die Hausverwaltung trifft. In der Zwischenzeit lutscht er eine etliche Menge an aromatischen Pfefferminzbonbons. Diese bringen einen erfrischenden Geruch von Minze herbei, was sich später jedoch ändern wird. Micke zeigt blutige Dokumentationen aus bisherigen Fällen. Dazwischen sind immer mal wieder private Fotos von seiner Katze oder vom eigenen Hund. Der Tod gehört zu seinem Alltag. Ihn habe es geprägt, als er in solchen Situationen auf sich alleine gestellt war. „Der Mensch funktioniert einfach nur. Man muss sich vorher überlegen, was man da macht“, betont er.
Einsames Sterben
Mit dabei ist Mickes kleiner blauer Koffer. Während des anstrengenden Aufstiegs in die vierte Etage, erfährt Micke Näheres. In der Wohnung lag ein Mann fünf Tage unentdeckt. Woran er genau gestorben ist, ist ihm nicht bekannt. Bekanntlich war er aber Alkoholiker. Mittlerweile ist der Tote längst hinausgetragen worden, die Ermittler haben ihre Arbeit in der Wohnung beendet. Micke erledigt nun die Drecksarbeit. Nüchtern erzählt er von einem Auftrag in einer Fabrik, indem der Kopf eines Mitarbeiters durch eine Maschine zerstanzt wurde – „Das ist ekelig aufzuräumen, überall waren kleine Gehirnfetzen“, zuckt Micke und lacht. Die letzte metallische Außentür aufdrücken und schon steht Micke vor seiner heutigen Aufgabe.
Wenn die Blutspur ins Schlafzimmer führt
Micke zieht seine schwarzen Latex Handschuhe an und seine Maske auf. Die Tür wird geöffnet. Er tritt in den Flur. Es fühlt sich an, als wenn die Luft in der Wohnung steht und endlich raus dringen kann. Ein Jahr ist der Tod nun her, doch erst jetzt wurde die Wohnung durch das Nachlassgericht freigegeben. Zu erwartende Leichengestank. Stattdessen ist es ein holzig-modriger Geruch gemixt aus klamm liegender Wäsche und Staub. Micke tastet sich langsam voran. Wohin er auch blickt, sind leere staubige Flaschen auf Regalen, Kommoden und auf dem Boden verteilt. In der Küche sammeln sich weitere leere Flaschen, ungewaschenes Geschirr und offene Lebensmitteldosen. Glücklicherweise leer. Hinzu kommt eine Menge an Staub, Dreck und gestapelter persönlicher Dinge. Ein staubiger Teddybär blickt einen an, vergraben unter offenen verstreuten Briefen. Einige sind sogar ungeöffnet. Hat die Zeit nicht mehr gereicht? Micke hat es jedoch eilig und geht zielstrebig Richtung Wohnzimmer. Die Wohnung ist in einem chaotisch-verwahrlosten Zustand.
Alte massive Holzmöbel schmücken die Wohnung, die mit Kram überdeckt sind. Die Schublade einer Holzkommode steht offen und etliche Kabel schauen heraus. Der Wohnzimmertisch liegt umgekehrt mit den Beinen in der Luft auf dem Boden. Weitere Teddybären und Puppen sind aufgereiht auf dem hellen Stoffsofa. Wie waren nur die letzten Stunden des Mannes? Die Überlegung um das Schicksal des Toden ist für Micke kein Thema. In der Regel wisse er gar nicht, was in der Wohnung passiert ist, es beschäftige ihn auch nicht – „Das ist aber auch besser so“, fügt Micke hinzu.
Letzte Überreste – „Komposthaufen“
In der Türschwelle vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer ist eine Blutspur, gemischt mit Papier, Decken, Bademantel und weiteren Textilien. Auf dem kalten Boden neben seinem Bett ist er verstorben. Micke macht ein Foto für die Dokumentation. Blut, Haare und seine letzten persönlichen Gegenstände hat der Verstorbene hinterlassen. Getrocknete Leichenflüssigkeit verteilt sich entlang der Blutspur. Daneben liegt ein schwarzen Textilstück das grünlich angefault ist. Der modrige Geruch setzt sich hier fort. „Was mich mitnimmt ist, dass wir ein Leben auslöschen“, seufzt Micke.
Für die Reinigung setzt Micke Spezialbakterien ein. „Die Bakterien ernähren sich von organischen Substanzen“, erklärt Micke und fügt hinzu: „Danach sterben sie einfach ab, weil sie nichts zu essen haben“. Zunächst wird die Fläche von umliegenden Kleingegenständen von Micke freigeräumt. Die Sachen, die einst einen persönlichen Wert hatten, landen nun in einen schwarzen Sack. Micke verteilt den Schaum mit den Spezialbakterien auf die Liegefläche und lässt es kurz einwirken. „Alle organischen Substanzen sind damit zerstört“, doch dabei handelt es sich nur um eine Grobreinigung. Mit einem Saugapparat wird der Schaum wieder abgesaugt. „Das ist wie ein Komposthaufen. Der Mensch zersetzt sich genauso“, vergleicht Micke.
Alte Wohnung – Neues Leben
An der Wand hängen persönliche Bilder und Erinnerungsstücke des Verstorbenen. „Wenn wir fertig sind, ist von dem Leben nichts mehr da, es ist einfach ausgelöscht“, äußert Micke trocken. Doch wie sehr er auch gelassen scheint, kommen Emotionen ihn ihm hoch. Micke erzählt: „Ein Fall einer Demenz erkrankten alten Dame, die in ihrer eigenen Wohnung verhungert ist, hat mich auch mal zu Tränen gerührt“. Nach seiner Grobreinigung hilft Mickes Team bei der Wohnungsentrümplung. Dafür ist ein neuer Termin vereinbart. Der gesamte Laminat-Boden in der Wohnung wird rausgerissen. Alles ehemalige Hab und Gut der letzten Jahre verschwindet und wird teils verbrannt. Micke verlässt die Wohnung und blickt nicht zurück. Er zieht seine schwarzen Latex Handschuhe aus: „Jemand neues kommt und das Leben geht weiter.“
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