Bildunterschrift: Noah Chadrysentschied sich auf den Rat seiner Eltern hin für eine Beschäftigtenstelle in einer Behindertenwerkstatt. (Foto: Eveline Plebanek)

Der 3. Dezember ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderungen. Einer davon ist Noah Chadrys. Er ist Beschäftigter in der Behindertenwerkstatt Constantin-Bewatt in Bochum. Sein Stundenlohn: knapp 1,15€. Die Arbeit gefällt ihm gut, das Geld nicht. 

Ein Bericht von Eveline Plebanek

Seit etwas mehr als einem halben Jahr arbeitet Noah in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM). Damit gehört er zu rund 272.000 „Werkstattsbeschäftigten“ in Deutschland. Der 20-Jährige hat eine seltene Form des so genanntenKinefelter-Syndroms. Unter anderem bedeutet das, dass er kein Testosteron produzieren kann und einen verminderten IQ-Wert hat. 

Ein starres System

Die Werkstätten gelten als Einrichtungen zur Rehabilitation. Aus diesem Grund müssen Beschäftigte nicht regulär bezahlt werden und haben auch sonst kaum Arbeitnehmerrechte. Die aktuelle Arbeit in der Stadtreinigung gefällt Noah,er verspüre hier keinen Druck und die Betreuer haben Verständnis, wenn er mal einen schlechten Tag hat oder Fehler macht. Das war auch der Grund, warum seine Eltern ihm zur Arbeit in der Werkstatt geraten haben: Weniger Druck undmehr Zeit für ihn, erwachsen zu werden.

Mehr Lohn wünscht er sich trotzdem. „Nicht so viel wie auf dem ersten Arbeitsmarkt, das wäre ja komisch. Mindestlohn vielleicht nicht, aber mehr als jetzt“, fügt er hinzu. Denn es sei frustrierend zu sehen, wie die Geschwister trotz geringerer Arbeitszeit deutlich mehr verdienen. „Ich weiß aber auch, dass ich nicht die Leistung eines normalen Arbeitnehmers erbringen kann“, sagt Noah.

Werkstätten erfüllen nicht ihren beabsichtigten Zweck

Das Ziel von Behindertenwerkstätten ist es, die Beschäftigten auf den realen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Doch die Zahlen zeigen eine andere Wahrheit. Weniger als ein Prozent landen später tatsächlich auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das heißt in einem Arbeitsverhältnis ohne Zuschüsse auf Basis der freien Wirtschaft. Das liegt unter anderem auch daran, dass fast 90 Prozent mit ihrer Arbeit dort zufrieden sind, was das Bundesministerium für Arbeit und Soziales(BMAS) in einer Befragungsstudie mit etwa 4.250 Teilnehmern 2023 herausfand.

Nichtsdestotrotz bewerten zwei Drittel ihr Entgelt als zu niedrig, welches durchschnittlich bei 225€ im Monat liegt. Denn es sorgt auch dafür, dass ihnen gesellschaftliche Teilhabe verwehrt wird, sei es ein Restaurantbesuch mit Freunden oder das Besuchen einer kostenpflichtigen Veranstaltung.

Die Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung, Claudia Middendorf (CDU) sieht eine Reform als längst überfällig an. „Der Arbeitsmarkt muss inklusiv sein und gleichzeitig muss das Wunsch- und Wahlrecht sichergestellt werden“, so ihr Sprecher Pascal Wirth. Sie sieht in Inklusionsbetrieben eine wichtige Alternative. Aktuell befindet sie sich in regelmäßigem Austausch rund um das Entgeltsystem mit der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstattsräte sowie mit den Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern. Letztendlich liegt die Macht jedoch bei der Bundesregierung, die konkrete Veränderungen durchsetzen muss.

Erste Lösungsansätze liegen vor

Im September 2023 veröffentlichte das BMAS eine Studie des ISG Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik und des infas Institut für angewandte Soizialwissenschaft. Diese hatte das Ziel ein transparentes, nachhaltiges und zukunftsfähiges Entgeltsystem für die Werkstätten zu entwickeln. Für eine Reform brauche es klare Unterscheidungen zwischen Arbeits- und Rehabilitationsverhältnissen. Es müsse ein deutlich höheres Grund- oder Basiseinkommen eingeführt werden sowie die Übergänge auf den ersten Arbeitsmarkt gefördert werden.

Gerechte Löhne sind nur ein Teil der Inklusion und Anerkennung behinderter Menschen – aber er sichert Existenzen. Wann sich unsere Regierung einer umfassenden Reform widmet, bleibt abzuwarten. Noah würde gerne in einer Werkstatt bleiben, doch solange sich nichts am Entgeltsystem ändert, ist er auf die Unterstützung seiner Familie angewiesen.