Im Training von Boxtrainer Norman Zey ist jeder willkommen.
Der Boxclub Muay Thai in Köln Kalk: Disziplin, Vielfalt und Gemeinschaft. Trainer Norman geht es nicht nur ums Boxen.
von Anna Luca Kirchhoff
„Knie hoch, hoch, höher – ich habe höher gesagt“, brüllt Norman Zey. Wer ihn nicht kennt, könnte in so einem Moment seine sportliche Strenge mit Bosheit verwechseln. Nur kurze Zeit später gibt der 1,93 Meter große Mann mit einem warmen Grinsen seinen Kollegen einen Handschlag und umarmt sie innig mit seinem breiten Kreuz. Um sie herum rennen Jugendliche in Sportkleidung hintereinander durch die kleine Turnhalle. Ihre nackten Füße trampeln in kleinen Schritten über den blauen Mattenboden. Ab und zu hört man ein dumpfes Aufprallen. Die Aufgabe der Jugendlichen ist es, über eine neon-gelbe Plastikstange zu springen, die Norman immer wieder hochhält. So oder so ähnlich beginnt jede Boxstunde von Muay Thai in Köln-Kalk. Wer zu spät kommt oder einen der Trainer nicht ordentlich begrüßt, startet direkt mit Liegestützen und darf erst anschließend beim Aufwärmen mitmachen.
In einer der Ecken steht ein typischer eckiger und eingezäunter Boxring. Darüber hängt ein Bildschirm, der in großen Zahlen immer genau anzeigt, wie lange die Übung noch geht. Ist der Timer abgelaufen, erklingt ein Gong und Norman kündigt laut die nächste Übung an. Durch den zu erwartenden Lärm bleiben die beiden Fensterfronten geschlossen und spätestens nach dem Aufwärmen wird die kalte und nach Sportmatten riechende Luft durch einen Schweißgeruch verdrängt. Alle Scheiben beschlagen.
Breitbeinig und ebenfalls barfuß steht Norman gemeinsam mit seinem Kollegen Hassan Loukili vor etwa zwanzig Jugendlichen. Für Norman ist der Verein wie ein Gewächshaus oder ein Garten. Wenn er darüber spricht, redet er ruhig und mit langsamen Handgesten. Norman sieht die Mitglieder als einzelne Pflanzen und Blumen, um die man sich ständig kümmern muss, damit sie richtig wachsen und aus sich herauskommen. Nötig dafür sei die richtige Pflege und Aufmerksamkeit: „Während des Trainings stelle ich dann gerne fest, wo ihre Qualitäten liegen und diese Qualitäten fördere ich dann.“
Hassan betont, dass es dabei aber nicht darum geht, möglichst viele Medaillen nach Hause zu bringen. Vielmehr sollen die Kinder und Jugendlichen das machen, was sie möchten, und das ist Spaß am Sport haben. Wenn es dann aber zu einem Sieg und einem Pokal kommt, wird dieser natürlich trotzdem stolz im Eingangsbereich in einer Vitrine oder auf Regalen ausgestellt. Es wurden bereits Landes-, Bundes- und Weltmeistertitel gesammelt. Norman versucht mit seinen Händen zu beschreiben, wie einzelne Pflanzen langsam wachsen oder er sie gießt. Dabei grinst er immer wieder freudig. Beide Trainer erzählen von Kindern, insbesondere aus Kölner Wohngruppen, die schnell Teil der Gruppe wurden und großes Potenzial haben.
Bevor Norman den Jugendlichen erklärt, wie der Rest der Stunde ablaufen wird, spricht Hassan die bevorstehende Weihnachtsfeier und auch den Kinobesuch an. Beides haben sie für den gesamten Boxclub geplant. Im Halbkreis hören alle etwas unruhig, aber aufmerksam zu. Als nächstes sollen sich die Jugendlichen fertig machen und anschließend als Pärchen üben. Manche wickeln ihre Hände mit Bandagen ab, bevor sie ihre Boxhandschuhe und auch ihre wuchtigen Fußschoner anziehen. Ihre Gesichter und Wangen werden durch ihre Mundschutze praller und ein paar ziehen sich sogar einen Kopfschutz auf.
Die Gruppe ist heute ungerade, weshalb Mariam heute mit Norman trainiert. Immer wieder korrigiert der 51-Jährige nett, aber bestimmt ihre Tritte und Schläge. Diese wehrt er mit einem oberkörpergroßen Schlagpolster aus Kunststoff ab. Auch als sich immer mehr Schweiß auf ihrer Stirn bildet und sie sichtlich aus der Puste ist, pusht Norman sie immer weiter. „Ich fördere die Kinder so, dass sie dann innerhalb kürzester Zeit aufrecht gehen, weil den Kindern ist es ja meistens gar nicht bewusst, was für Qualitäten sie haben, weil niemand sich wirklich damit beschäftigt“, erklärt er. Als das Jugendtraining erst zur Hälfte vorbei ist, füllt sich die Halle schon mit anderen Trainern und auch Erwachsenen, die gleich nach ihnen trainieren werden. Alle begrüßen sich, als würden sie sich schon ewig kennen, was bei sehr vielen auch zutrifft. Einige haben vor einigen Jahren selbst mal in der Kindergruppe trainiert. Die Geräusche der Schläge und Tritte, wenn immer wieder schwitzige Haut oder Plastik auf Plastik trifft, mischen sich mit lautem Gelächter und High Fives. Die kleine Trainingshalle wird immer voller und voller. Hier erklärt sich die Nachricht auf der Website des Vereins. Dort steht: „Aufnahme – STOP. Aktuell können wir leider keine neuen Mitglieder aufnehmen.”
Etwa 170 Mitglieder trainieren mittlerweile in dem ehrenamtlichen Boxclub, den Norman 2002 mitgegründet hat. Anfangs wurde in einer sehr kleinen Halle mit nur wenigen Mitgliedern trainiert. Schnell sind sie immer weitergewachsen und haben jetzt ihre Halle, die von der Stadt Köln gefördert wird, im Stadtteil Kalk. Hassan erzählt, dass sie alles vollständig renoviert und eingerichtet haben. Immer wieder haben sie nach Feierabend neue Dinge besorgt und hergebracht. Auch wenn der Boxclub jetzt fertiggestellt ist, wird durch Normans Beschreibungen klar, dass es für ihn nie ein abgeschlossenes Projekt sein wird. „Ich möchte ja schließlich jedes Jahr neue Rosen haben, also muss ich sie jedes Jahr pflegen“, betont er. „Es ist ein einziger Kreislauf, aber du machst es immer wieder gerne. Ich möchte, dass mein Vorleben von Respekt die Kinder ansteckt!“
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