Bildunterschrift: Während viele Familien die Feiertage im Kreis ihrer Liebsten verbringen, bedeutet Weihnachten für Pflegekräfte wie Sarah (v.l.n.r) und Joyce Habben vor allem eins: Einsatz (Foto: Vivien Baxmann)

An Heiligabend arbeitet Sarah Habben in der Pflegeeinrichtung. Für die 37-Jährige ist ihre Arbeit mehr als ein Job – die Bewohner und Bewohnerinnen sind wie eine zweite Familie, für die sie auch an Weihnachten da ist.

Eine Reportage von Vivien Baxmann

Die gläserne Schiebetür öffnet sich und gibt den Blick auf dem Flur des Karl-Pawlowski-Altenzentrums frei. Die Recklinghäuser Einrichtung ist eines von mehr als 70 Häusern in NRW des Evangelischen Johanneswerks. Eine mulmig warme Luft, vermischt mit einem Duft vom frischen Kaffee, schlägt einem entgegen. Bewohner schieben ihre Rollatoren gemächlich über den Boden. Sanfte Stimmen der Pflegekräfte in freundlichen Begrüßungen hallen durch die sonst stille Eingangshalle. Die Atmosphäre ist offen und herzlich.

Eine Berufung

Im Flur steht Sarah Habben mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. Die Tattoos, die sich zart über ihre Unterarme ziehen, unterstreichen ihre offene Ausstrahlung. Seit 20 Jahren arbeitet sie in der Pflege – ein Beruf, der für sie Berufung ist. Schon mit 13 Jahren entschied sie sich für den Beruf, als sie ihren dementen Großvater allein und zurückgezogen im Bett liegen sah. ,,Das will ich später anders machen”, entscheid sie damals. Heute setzt sie alles daran, Senioren zu mobilisieren, sie in den Alltag zu integrieren und ihnen das Gefühl zu geben, ein wichtiger Teil der Gemeinschaft zu sein – genauso, wie sie es für ein Familienmitglied tun würde.

Familiäre Tradition

Durch den schmalen Flur geht es zum Fahrstuhl. Der sanfte Klang von Schritten hallt leise vom Boden wider. Sarah, offen und redegewandt, plaudert dabei entspannt. An ihrer Seite: ihre 16-jährige Tochter Joyce, die vor zwei Monaten ihre Ausbildung zur Pflegefachfrau begonnen hat. „Schon als Joyce klein war, habe ich sie oft mit zur Arbeit genommen“, erzählt Sarah. „Auch an Weihnachten. Sie hat den Senioren Geschichten vorgelesen oder Lieder gesungen. Sie ist damit aufgewachsen.“

Weihnachten im Altenzentrum ist für die beiden längst eine Tradition. Die Tür des Fahrstuhls öffnet sich nahezu geräuschlos und beide treten ein. Den Nachmittag verbringen Sarah und Joyce im Altenzentrum und feiern abends mit ihrer Familie. „Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, an Heiligabend nicht hier zu sein. Es ist wie Weihnachten mit der eigenen Familie”, sagt Sarah.

Ein Moment der Gemeinsamkeit

Mit einem leisen Pling öffnet sich die Fahrstuhltür im dritten Stockwerk. Sofort ertönt ein fröhliches „Schneeglöckchen, klingelingeling!“ aus dem Flur. Ein kurzer Blick um die Ecke zeigt eine Runde von Senioren, die lachend und singend in geselliger Stimmung beisammensitzen.  In der rechten Ecke steht ein festlich geschmückter Weihnachtsbaum, dessen warmes Licht in den Rot und Gold schimmernden Kugeln tanzt.

Der Tannenbaum ist zwar künstlich, doch beim Anblick scheint der Duft frischer Tannenzweige in die Luft zu steigen. Seit Wochen haben Sarah und ihr Team die Räume liebevoll dekoriert. „Wir möchten die Vorweihnachtszeit für die Bewohner genauso schön gestalten, wie wir es auch zu Hause tun würden“, erklärt Sarah.

Weihnachten bedeutet für Pflegefachkräfte wie Sarah Habben Nächstenliebe und Fürsorge (Foto: Vivien Baxmann)

Mit Liedtexten in der Hand stimmen Sarah, Joyce und die Mitarbeiterin Karin Rockstein die Senioren auf die festliche Zeit ein. Sie beugen sich auf Augenhöhe zu den Bewohnern und singen: „In der Weihnachtsbäckerei, gibt’s so manche Leckerei.“ Die Senioren singen, summen oder klatschen mit. Der Raum füllt sich mit Wärme und Gelächter.

„Man sieht sofort, wie sich die Mundwinkel der Bewohner heben, wie sie sich freuen, dass wir diese Momente mit ihnen verbringen“, sagt Sarah, während sie den lebhaften Austausch zwischen den Senioren beobachtet. Ein subtiler Geruch schwebt im Raum, der an die Anwesenheit von Menschen erinnert. Es ist ein Moment, der ganz familiär wirkt.

Ein Fest für alle

Auch an Heiligabend erwartet die Bewohner ein festliches Programm. Ein Gottesdienst, ein festliches Menü vom Caterer mit Braten, Klößen und Rotkohl sowie gemütliche Stunden bei heißem Kakao oder Glühwein, in denen geplaudert und gesungen wird.  

„Kennst du russische Weihnachtslieder? Sollen wir eines singen?“ fragt Sarah eine der Seniorinnen und bemüht sich, jeden einzubeziehen. Noch immer sitzt sie mitten unter den Bewohnern. Ein tiefes, zufriedenes Seufzen entweicht der Seniorin, als Sarah behutsam ihre Hand auf den Arm legt.

 Auch an Weihnachten setzt sie alles daran, alle Bewohner zu mobilisieren, damit jeder das Fest hautnah erleben kann – selbst die bettlägerigen und dementen Bewohner. „Für sie haben wir spezielle Cozy-Chairs, eine Art Liegesessel“, erklärt sie. „Wir wollen einfach, dass wirklich jeder das Fest mit uns erleben kann.“

Mit großer Hingabe schmücken die Pflegefachkräfte die Räume der Einrichtung festlich für die Bewohner und Bewohnerinnen (Foto: Vivien Baxmann)

Ansteckende Freude

Die weihnachtliche Stimmung im Altenzentrum ist nicht nur spürbar, sondern förmlich ansteckend. „Schneeflöckchen, Weißröckchen“, summen Sarah und Joyce, als sie den Raum verlassen. Der Gesang der Senioren klingt noch lange nach, die fröhlichen Melodien hallen sanft im Hintergrund. Nur noch wenige Tage, dann wird Sarah ihr Weihnachtsfest erneut hier feiern.