Adolf Geiß wischt sich die Tränen aus den Augen. „Das tut mir so weh, da kann ich nicht so viel drüber reden“. 51 Kameraden hat er bei einem Grubenunglück in Stolzenbach verloren. Fast dreißig Jahre ist es jetzt her. Seine Hände sind faltig geworden.
Eine Kohlenstaubexplosion löste am 1. Juni 1988 in dem hessischen Braunkohle-Revier eine Bergwerkskatastrophe aus. Etwas, das keiner für möglich gehalten hatte. 51 von 57 eingefahrenen Bergleuten kamen dabei ums Leben. Adolf Geiß, den alle Adi rufen, hat all das mitangesehen und selbst dabei geholfen, die Trümmer wegzuräumen. Bei einer Privatführung durch das Hessische Braunkohle-Bergbaumuseum mit dem Museumsleiter Ingo Sielaff spricht er darüber.
„Verzweiflung machte sich bei den Angehörigen breit, die nach der Explosion am Schachteingang zur Grube warteten. Weinend hielten sich Menschen inmitten von Trümmern der Schachtgebäude in den Armen, als die Hoffnung auf Überlebende immer geringer wurde.“ Adis Stimme zittert. „Sie hatten ihre Männer, Väter und Brüder wie gewöhnlich zur Frühschicht gehen sehen, ohne zu ahnen, was passieren würde. Hundert Kumpel arbeiteten in Gruppen mit schwerem Atemschutzgerät, bis an die Grenze ihrer Kräfte, um die Verunglückten zu erreichen.“
Während Adi von seinem traumatischen Erlebnis erzählt, steht er mit traurigem Gesicht im Besucherstollen des Bergbaumuseums in Borken. Ein nachgebauter Stollen, der, wie Adi sagt, genau aussieht wie jener, der vor dreißig Jahren zerstört wurde. Ein langer, enger Gang mit mattem Licht beleuchtet. Rechts und links Transportgeräte für Kohle. Es riecht nach Maschinenöl. Die unangenehme Kälte bahnt sich einen Weg durch die Kleidung.
Adi erinnert sich. Erzählt von der harten Arbeit, die die Bergleute zusammenschweißte. Jeder kannte jeden. „Das war eine eingeschworene Einheit da unten“, sagt Museumsleiter Ingo Sielaff. Adi nickt. „Ich kenne jeden einzelnen Namen auf der Gedenktafel. Jeden Einzelnen. Und es waren über hundert in all den Jahren.“ Er senkt den Blick. „Das tut mir so weh, da kann ich nicht so viel drüber reden“, wiederholt er sich. Seine Stimme bebt. Tränen steigen ihm in die Augen. Eilig verabschiedet er sich.
„Adi spricht nicht gerne darüber“, sagt Ingo Sielaff später auf dem Weg zur Gedenkstätte in Stolzenbach. „Das war eine unglaublich schmerzhafte Erfahrung. Niemand kann denen, die das miterlebt haben, ins Herz gucken. Selbst mir fällt es schwer ihren Schmerz zu fühlen, und ich kenne diese Menschen schon ewig.“
Die Gedenkstätte liegt genau über dem ehemaligen Zechenplatz. Direkt in der Natur. Es ist ruhig. Niemand sonst befindet sich dort. Im Eingangsbereich steht ein bronzenes Bergmannszeichen, das Schlägel und Eisen zeigt. Die wichtigsten Werkzeuge des Bergmanns. Daneben stehen zwei Bronzetafeln, die von der Arbeit im Borkener Revier und der knapp 70-jährigen Bergwerksgeschichte berichten. Der Tiefbau in Stolzenbach begann 1953 und fand mit der Explosion 35 Jahre später ein jähes Ende.
Ein paar Meter weiter steht eine Wand aus Sandstein – gestaltet als Abbruchkante. In den hellen Stein sind kleine Bilder eingehauen, die verschiedene Szenen des Bergbaus zeigen. „Wenn man genau hinsieht, erkennt man dort einen Drachen“. Ingo Sielaff deutet auf eine Stelle ganz unten auf der Wand. „Er soll ein Symbol für die Gefahr und das Unerwartete sein.“
Weiter links ist ein Ring aus zwölf Bronzeplatten, der über dem ehemaligen Seilfahrtschacht errichtet wurde, gesäumt von zwölf Bäumen, durch die kalte Luft hindurchzieht. „Die Zwölf soll die Lebensuhr symbolisieren“, erklärt er. Auf den Bronzeplatten sind die Namen aller Toten eingraviert, die bei der Arbeit im Braunkohlebergbau umgekommen sind. Als Sielaff den Namen Oliver Wett sieht, atmet er hörbar ein. „Das ist eine sehr traurige Geschichte. Oliver war ein 18-jähriger Abiturient, der dort im Stollen ein Praktikum gemacht hat. Es war sein erster Tag dort. Und auch sein letzter.“
All diese Namen sind Adi wohlbekannt. Sie treiben ihm immer wieder aufs Neue Tränen in die Augen. Auch nach dreißig Jahren noch. Die„Zeit heilt keine Wunden“, hatte Adi Geiß gesagt.
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