„Die Seidelmanns“ bringen die Kohle. Bereits in der vierten Generation sind die Essener Kohlenhändler. Die ganze Familie arbeitet gemeinsam: Bruder, Schwester, Schwägerin und zehn weitere Mitarbeiter. Doch Ende 2018 schließt die letzte deutsche Zeche – wie geht es dann mit den Seidelmanns weiter? Unterwegs im Ruhrgebiet, zwischen Industrie und Bergbau-Siedlung. 

Der Sturm peitscht tiefhängende Wolken über den dunklen Himmel. Es regnet in Strömen. Sturmtief „Friederike“ ist an diesem Morgen in aller Munde. Eine blaue Plastiktüte weht durch das Gewerbegebiet am Rande der Gelsenkirchener Altstadt und verfängt sich an einem umgestürzten Bauzaun. „Wer nicht raus muss, sollte besser zu Hause bleiben“, tönt es aus dem Radio. Doch Wilhelm „Willi“ Seidelmann kann nicht zu Hause bleiben. „Einer muss doch die Kohle liefern“, lacht der drahtige Mann. Eingehüllt in eine dicke Fleecejacke sitzt er hinter seinem Schreibtisch. Dieser steht in einem außen wie innen grau-weißen Bürocontainer. Lediglich die Metalljalousie erstrahlt in königsblau. Genau wie die Lastwagen der Kohlenhändler. Königsblaue Farbspritzer zwischen aufgehäuften Bergen schwarzer Kohle.

Um kurz nach sieben Uhr rollt Willis Bruder Thomas Seidelmann auf den Hof.  Willi springt auf, klappt den Fellkragen seiner Jacke hoch und tritt hinaus in den Regen. Er muss den Lastwagen beladen. Rund fünfzehn Tonnen Kohle verlädt er in den nächsten zwanzig Minuten. Schwarzer Staub wirbelt auf und vermischt sich mit dem Regen. Das Rumpeln des Förderbandes verschmilzt mit dem Motorgeräusch des Baggers. Das Förderband ist ebenfalls königsblau. „Schalke ist immer dabei“, schmunzelt ein Mitarbeiter.

Der kleine, gedrungene Mann, der seine Kapuze tief ins Gesicht geschoben hat, überwacht das Verladen der Kohle. Er zieht an einer Zigarette. Seinen Namen? Den möchte er nicht nennen. Viele Menschen mit Kameras und Mikrofonen kommen in diesen Tagen vorbei, schließlich geht der Bergbau in Deutschland 2018 zu Ende. Er wolle nur Kohle ausliefern und nicht in die Zeitung. Die Kohle kommt aus England und Deutschland.

Um acht Uhr startet Thomas Seidelmann den Motor. Die erste Tour geht nach Essen, zu einem Großkunden. Thomas hat den Betrieb von seinem Vater übernommen. Ans Aufhören denkt er nicht, zu viele Erinnerungen hängen an der Firma.

Seidelmann quält sich durch den zähen Verkehr. Der Sturm wird stärker, rüttelt an Bäumen, Äste fallen auf die Straße. Der Lastwagen biegt auf ein Firmengelände ein. Es riecht nach Gummi. In einer großen Halle werden Reifenteile produziert. Geheizt wird natürlich mit Kohle. Im Ruhrgebiet beliefert das eine Traditionsunternehmen das andere.

Insgesamt haben die Seidelmanns noch rund 3.000 Kunden, im Ruhrgebiet sowie im Rest der Republik. Großkunden und Privatleute. Die leben meist in den alten Zechensiedlungen, aber selbst dort stehe nicht mehr in jedem Haus ein Kohleofen, berichtet Seidelmann. Ehemalige Bergleute erhalten die Kohle von ihren alten Arbeitgebern vergünstigt. Mit der Schließung der letzten deutschen Zeche ist aber auch das vorbei – Glück Auf ist nicht mehr. Thomas Seidelmann weiß nicht, wie viele dann noch von ihm Kohle beziehen werden.

Eine Tonne Steinkohle zum Heizen kostet zwischen 260 und 400 Euro, je nach Qualität. Gut für die Umwelt ist das nicht, dass wissen auch die Seidelmanns, aber billig.

Um neun Uhr geht es zurück nach Gelsenkirchen, der Lastwagen muss erneut beladen werden. Die Seidelmanns wollen ihre Firma für die Zukunft rüsten. „Wir sind nicht mehr nur noch Kohlenhändler, sondern eine Spedition, wir stellen uns breit auf“, so Thomas Seidelmann.

Die Wolken reißen auf und geben den Blick auf die kalte Januarsonne frei. Es hat aufgehört zu regnen und die Sonne taucht die Kohlehaufen in einen matten Glanz. Willi Seidelmann sitzt bereits wieder am Steuer des Baggers und belädt den königsblauen Lastwagen.

An diesem Tag wird „Friederike“ noch über Nordrhein-Westfalen hinwegziehen. Doch Willi und Thomas Seidelmann bleiben nicht zu Hause.