Um vier Uhr morgens liegt die Finsternis wie ein dunkles Tuch über Gelsenkirchen Buer. DieStille auf dem großen Parkplatz an der De-La-Chevallerie-Straße wird hin und wieder von einem unregelmäßigen Klirren und Poltern unterbrochen. Einige Lichter durchdringen die Dunkelheit und enthüllen den Anblick einiger Transporter, metallener Konstruktionen und umhereilender Menschen.
Eine Reportage von Jonas Vienken
Start: 2 Uhr 29
Einer von ihnen ist Matthias Schneiders. Mit schnellen und präzisen Bewegungen, die der frühen Uhrzeit trotzen, baut der 43-jährige Gärtnermeister seinen Stand auf. Während er spricht, schraubt er mit seinen in orangenen Handschuhen steckenden Händen an einem metallenen Gerüst. „Mir macht es nichts aus, früh aufzustehen. Ich wache immer um 2:29Uhr auf, eine Minute bevor mein Wecker klingelt“. Seit acht Jahren verkauft Schneiders dreimal die Woche sein Obst und Gemüse auf dem Markt in Gelsenkirchen Buer. Obwohl sein Hof, auf dem er viele seiner Produkte anbaut, in Meerbusch (Düsseldorf) liegt. „Früher hat mein Vater einen Stand auf diesem Markt hier mit seinen Waren beliefert. Als ich das Geschäft übernommen habe, hatte ich zwei Möglichkeiten: Entweder ich werde größer und beliefere Ketten. Das ist aber nichts für mich. Oder ich werde kleiner und verkaufe selbst“. Dies sei die richtige Entscheidung gewesen, da er den Kontakt zu seinen Kunden schätze.
Fröhliches Vogelgezwitscher mischt sich unter die Sinfonie aus klirrendem Metall, brummenden Kühlungen und klappernden Sackkarren. Der Wind weht sacht über den Platz und füllt die Plane des Obst- und Gemüsestandes mit Luft. Sie sieht aus wie ein Segel eines Schiffes, das langsam Fahrt aufnimmt. Mit einer Sackkarre entlädt Matthias Schneiders die Waren aus seinem großen weißen Transporter.
Verstärkung naht
Und plötzlich sind da vier Hände, die die Waren aus dem Laster schaffen. Theo Schneiders, Matthias Vater, ist angekommen und packt direkt mit an. Zwischen den beiden braucht es keine Absprache mehr. Schließlich stehen alle Kisten mit den Waren in mit Folie umwickelten Stapeln vor dem Stand, wie glitzernde Felsen eine Insel umgeben.
Mit einem „Guten Morgen!“ kommt die Mitarbeiterin Birgit an. Sie räumt das Obst und Gemüse aus den Kisten und verteilt es mit routinierten Handgriffen dekorativ auf den leeren Flächen des Standes. Chiara, eine junge Studentin trudelt einige Minuten später ein und hilft ihr dabei. „Du siehst aber müde aus“, stichelt Theo Schneiders sie. Nach und nach entsteht ein buntes Meer aus roten Erdbeeren, gelben Ananas, orangenen Karotten, grünen Kohlrabies und vielen weiteren Lebensmitteln. Gut gelaunt erzählt Chiara von ihrem Thailand-Urlaub. Mit einem lauten Scheppern stoppen die leisen Gespräche. Alle schauen erschrocken in die Richtung des Lärms. Ein anderer Händler ist mit seinem Auto rückwärts gegen einen Pfosten vor Schneiders Stand gekracht. Angespannte Stille. Kopfschütteln. Hitziges Gemurmel. Jemand schiebt den Pfosten weg und der Wagen fährt weiter.
Offenes Auge, offenes Ohr
Ein Mann mit blauer Mütze und gelber Warnweste schlendert auf den Stand zu. Er lässt seinen Blick über den Marktplatz schweifen. Dr. Siebert Panteleit ist Marktobermeister. Jeden Markttag läuft er über die verschiedenen Märkte Gelsenkirchens und prüft, ob alles seine Richtigkeit hat: „Ich kontrolliere, ob die Stromkabel sicher verlegt sind und keiner darüber stolpert, niemand Plastiktüten herausgibt, die Stände ihre vorgegebene Größe nicht überschreiten und die Hygienemaßnahmen eingehalten werden“.
Mit grimmiger Miene stapft ein älterer Herr in Hausschuhen auf den Marktobermeister zu. „Ich muss mich über den Hähnchen-Mann beschweren. Der stellt sich immer genau unter mein Fenster. Den Gestank habe ich noch eineinhalb Tage später in meiner Bude“. Herr Panteleit beschwichtigt den verärgerten Herrn und versichert ihm, nach einer Lösung zu suchen. Sich um die Anliegen der Menschen zu kümmern, sei für Panteleit eine zentrale Aufgabe seines Berufes. Nachdem er Schneiders Stand kurz überprüft hat, setzt er seine Runde fort.
Matthias Schneiders sagt: „Achtung, gleich kommt der erste Stammkunde. Jedes Mal pünktlich um sechs“. Und tatsächlich. Ein älterer Herr grüßt Schneiders und übergibt ihm drei grüne Stoffbeutel. Der Gemüsehändler klatscht freudig in die Hände und reibt sie aneinander. Lächelnd sagt er: „Dann mal los!“
Comments are closed