Ungarn, Thailand oder aktuell Russland – drei Länder, die sinnbildlich für die Unterdrückung der freien Presse durch Regierungen stehen. Die Pandemie trieb diese Entwicklung rasant voran: Vor allem wurden Desinformationen in den vergangenen Jahren genutzt, um die Arbeit der freien Medienschaffenden zu erschweren. Barbara Trionfi, die Geschäftsführerin des Internationalen Presseinstituts, referierte auf dem Global Media Forum in Bonn unter dem Motto „The false fight against fake news – Anti-disinformation laws and press freedom“ über dieses Themengebiet. Der TAGGER sprach mit ihr unter anderem über den Unterschied zwischen Propaganda und Desinformationen sowie darüber, wie ihre Vereinigung den bedrohten Journalisten hilft.
Hallo Frau Trionfi, nicht erst seit dem Beginn der Pandemie versuchen Regierungen mithilfe von Falschinformationen bestimmte Gruppen zu unterdrücken. Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen den gegenwärtigen Desinformationskampagnen und der Propaganda, wie wir sie aus der Vergangenheit kennen?
Desinformationen über Social Media sind aufgrund der Macht und des Algorithmus effektiver als Propaganda, die wir beispielsweise aus Nazi-Deutschland oder kommunistischen Ländern kennen. Das ist also der Hauptunterschied. Es gibt aber auch Ähnlichkeiten: Studien haben gezeigt, dass hinter den Desinformationen Organisationen stehen. Wir sprechen von sogenannten Desinformationskampagnen. Es gibt also jemanden, der das Interesse hat, diese Desinformationen zu verbreiten. Zum Beispiel könnte eine Regierung Nachrichten, die Desinformationen enthalten, verbreiten. Normalweise stehen Bürger den Nachrichten von Regierungen auch skeptisch gegenüber, aber durch den Algorithmus und den Einsatz von Bots bekommt das Publikum das Gefühl, dass die Nachricht aus verschiedenen Quellen stammt. Dieses Gefühl, dass die Meinung von vielen als „richtig“ angenommen wird, ist hochwirksam. Es hat auch Auswirkungen auf die Medien – das Vertrauen in unabhängigen Journalismus wird zerstört. Deshalb ist das Phänomen der Desinformationen nicht nur wegen der Effektivität für die Nutzer gefährlich, sondern auch für den Journalismus, weil es das journalistische Fundament trifft. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Journalisten und seinem Publikum verändert sich.
Sie engagieren sich schon 20 Jahre für dieses Thema. Welche Veränderungen erkennen Sie zu ihrer Anfangszeit?
Vor 20 Jahren befanden wir uns noch in der Nachkriegszeit des kalten Krieges. Natürlich war der Krieg vorbei, aber damals war die Stimmung noch anders: Der Krieg wurde von denen gewonnen, die an Menschenrechte und Pressfreiheiten glauben. Das waren Werte, die jeder akzeptierte. Heute sind wir in einer ganz anderen Situation. Die Nachrichtenindustrie ist aufgrund der ökonomischen Krise seit der Einführung von Social Media viel schwächer geworden. Denn der Werbesektor hat sich auf Social Media und andere Plattformen verlagert – die Medien haben keine Macht, um die Entwicklung zu stoppen. Regierungen, die die Medien kontrollieren wollen, haben die Möglichkeit genutzt und die Medien finanziell unterstützt, um Einfluss auf die Berichterstattung zu erhalten. Des Weiteren haben jene Regierungen bestimmte Medien verboten oder Journalisten festgenommen. Im Endeffekt sind aber die ökonomische Mittel die effektivste Möglichkeit, freien Journalismus zu kontrollieren.
Trotz der Zunahme von Regierungen, die keine unabhängigen Medien akzeptieren, gibt es auch etwas Positives. Der Journalismus ist auf der Suche nach Lösungen, um die Berichterstattung effektiver zu machen. Es wird eine Gemeinschaft der Unterstützung geschaffen – der Journalismus ist keine Einbahnstraße: Die Zuhörer konsumieren nicht mehr nur noch, sondern sind in den Prozess eingebunden. Es findet also eine Konversation mit dem Publikum statt. Die erfolgreichsten bedrohten Medien sind diejenigen, die ein solches Publikum aufgebaut haben, die sie verteidigen, wenn sie angegriffen werden.
„In der Zeit der Pandemie hatten wir gleichzeitig eine „Infodemie“. Viele ungeprüfte Informationen sind veröffentlicht worden.“
Wir befinden uns in einer Pandemie. Hat diese Krise Einfluss auf die Entwicklung genommen?
Die Pandemie hat die Pressefreiheit negativ beeinflusst, weil die Regierung neue Gesetze verabschiedet hat, die die Freiheit des Journalismus begrenzen. In der Zeit der Pandemie hatten wir gleichzeitig eine „Infodemie“. Viele ungeprüfte Informationen sind veröffentlicht worden. Die Regierungen, die nicht an demokratische Strukturen und Medien glauben, schritten ein und nutzten die Desinformationen, um Gesetze gegen Fake News zu verabschieden. Das Problem ist, dass die Institutionen, die darüber entscheiden, welche Informationen als Desinformation deklariert werden, sehr regierungsnah sind. Das Ergebnis ist, dass Berichte, die Kritik an der Regierung äußerten, als Desinformationen angesehen wurden. Zum Beispiel konnten wir diese Entwicklung in Thailand, Ungarn und Russland erkennen.
Glauben Sie, dass ein mögliches Ende der Pandemie die Situation verbessern wird?
Es ist schwer, die Entwicklung wieder rückgängig zu machen. Die Bürger sind sich mit ihren Regierungen einig, dass Desinformationen unterbunden werden müssen und verteidigen daher die Einführung des Gesetzes. Allerdings schaut keiner von ihnen, welche Funktionen die Gesetze haben und niemand realisiert, dass es die Desinformationen nicht stoppen wird.
Wie wirken Sie als Internationales Presseinstitut dieser Entwicklung entgegen?
Ich denke, wir müssen zwei Dinge tun. Einerseits den Journalismus stärken und sicherstellen, dass diejenigen, die sich für den Beruf entschieden haben, – in manchen Ländern ist es eine Lebensentscheidung – weiterhin als unabhängige Journalisten arbeiten können. Der finanzielle Aufwand ist meistens das größte Problem. Zweitens brauchen die bedrohten Journalisten eine Art von Schutz, sowohl online als auch offline. Sie müssen die internationale Unterstützung spüren. Das IPI hat zum Beispiel ein globales Netzwerk. Die freien Journalisten, die jeden Tag angegriffen werden, müssen spüren, dass es „draußen“ eine Gemeinschaft gibt, die ihre Tätigkeiten schätzen. Das IPI versucht auch sicherzustellen, dass die unabhängigen Medien weiterhin die Möglichkeiten haben, Recherchen anzustellen. Außerdem versuchen wir aufzudecken, wer die Desinformations- und Hetzkampagnen koordiniert. Des Weiteren zeigt das IPI den Journalisten, wie sich Nachrichten am besten in den sozialen Medien verbreiten. In einem Land wie Ungarn ist es aber schwierig, viele Menschen zu erreichen. Was wir dort versuchen ist, denjenigen zu helfen, die unabhängigen Journalismus betreiben. Wir hoffen, dass die Art von Journalismus die Krise überlebt und anschließend wieder aufblüht.
Wir Studierenden beobachten die Situation des Journalismus aus der Ferne. Wie könnten wir den Journalisten denn aus Deutschland helfen?
In erster Linie gibt es die gerade angesprochene internationale Solidarität. Ein Beispiel unseres IPI-Netzwerks: Nachdem ein türkisches Mitglied festgenommen worden war, mobilisierte sich die internationale Gemeinschaft. Sie machte die Ungerechtigkeit sichtbar und half dadurch, ihren Kollegen eher aus dem Gefängnis zu befreien. Journalisten in Deutschland können in diesen Fällen eben Sichtbarkeit herstellen. Ich denke, Journalisten können direkt ein „Skandal“ aufdecken oder einfach nur Aufmerksamkeit schaffen. Letzteres ist sicherlich der einfachere Weg. Gerade Deutschland ist ein Land mit einer großen Macht in diplomatischen Angelegenheiten. Die Bürger müssen die Politiker ermutigen, Druck auf die Länder auszuüben, die die Pressefreiheit einschränken. Das Internationale Presseinstitut beschreibt sich auf seiner Website als „globales Netzwerk von Redakteuren, Medienmanagern und führenden Journalisten, die ein gemeinsames Engagement für hochwertigen, unabhängigen Journalismus teilen.“ Die Organisation setzt sich zum Ziel, die Pressefreiheit, wo immer sie bedroht ist, zu wahren.
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