Ein Porträt von Alina Engel
Sabine Mirbach prüft die letzten Details ihrer Ausstellung, bevor die ersten Besuchenden die Wandelhalle betreten. Statistisch gesehen erkrankt jede achte Frau in ihrem Leben an Brustkrebs. Um das Bewusstsein für diese Krankheit zu stärken und um zur Vorsorge aufzurufen, gibt es in der Wandelhalle die Foto-Ausstellung „Eine von acht – Gib Krebs dein Gesicht“.
Während Sabine ihre innere Checkliste durchgeht, erkundigt sie sich bei ihrem Team, ob alle startklar sind. Hinter Sabines Energie steckt eine persönliche Geschichte, die sie mit vielen Menschen teilt. Sabine hat 2015 Brustkrebs bekommen. Ihre Eltern waren sehr verschwiegen, was den Krebs betraf. „Oh, darüber redet man ja nicht“, sagten sie. So erzählt Sabine aus Ostwestfalen-Lippe, warum sie heute eine der lautesten Stimmen für die Sichtbarkeit von Brustkrebs ist.
Die Ausstellung, die sie gemeinsam mit einem Team aus Ehrenamtlichen ins Leben gerufen hat, ist eine Hommage an Frauen, die sich sichtbar mit ihrer Brustkrebsdiagnose machen. Jedes Porträt erzählt eine Geschichte. Von Kampf, Hoffnung und unerschütterlicher Stärke. Doch der Weg bis zur Eröffnung war alles andere als einfach. Die 51-jährige Historikerin erzählt den ersten Besuchenden ihrer Ausstellung, welche Achterbahnfahrt der Gefühle sie wenige Stunden vor der Eröffnung durchleben musste. „Man macht Plan A, und dann kommt das Leben.“ Das Leben hieß am Montag ein Anruf. Die Maschine habe die Bilder für die Ausstellung zerstört. „Schreck in der Sekunde – okay, machen wir neu.“ Aufgeben kam für sie und das Team nicht in Frage.
Die Ausstellung „Eine von Acht” wird in der Wandelhalle in Bad Salzuflen gezeigt. Sie ist das Herzstück von Sabines Engagement. „Gebt dem Krebs euer Gesicht“ ist das Motto. Sabine möchte dokumentieren, wie unterschiedlich jede Person in ihrem Lebensabschnitt mit der Krankheit umgeht. Über soziale Medien und Zeitungsaufrufe lud sie Betroffene ein, sich fotografieren zu lassen.
Während sich die Halle füllt und sie die ersten Menschen in ihrer Rede begrüßt, spielt ein Musiker den Song „Fix You“ von Coldplay auf dem Klavier.
„Lights will guide you home. And ignite your bones. And I will try to fix you.“
Die Gesichter der Krankheit – Porträts, die bewegen
Die Porträts zeigen Frauen, deren Geschichten unterschiedlicher nicht sein könnten: Claudia ist Mutter von zwei Kindern. Sie bekam ihre Diagnose mit 32. Ihre Geschichte und Motivation erzählt sie, während sie vor ihrem eigenen Bild steht. „Ich war in Elternzeit, unser Sohn war ein Jahr alt. Es ist super wichtig, darüber zu sprechen. Und vor allen Dingen auch aufzuklären, dass es nicht nur alte Frauen trifft, sondern auch junge.“ Ihren Krebs ertastete sie selbst.
Oder Anke, die ihre Chemotherapie humorvoll „Cocktailparty“ nennt und ihrem Krebs den Spitznamen „kleines Arschloch“ gegeben hat. Von selbst wäre sie nicht zur Mammografie gegangen. Als sie einen Anruf von ihrer Ärztin erhielt, ging sie hin. „Mit dem Ergebnis, dass ich heute hier stehe.”
Geschichten, die berühren und zum Nachdenken bringen
Hinter den beeindruckenden Porträts steht eine Frau, deren Sensibilität und Blick für Details die Bilder zum Leben erwecken: Nadine Marga. Die Fotografin hat mit ihren Aufnahmen nicht nur Momente eingefangen, sondern auch emotionale Geschichten.
„Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte,“ sagt Nadine. „Da immer wieder einzutauchen, um sie authentisch und echt darstellen zu können, ist schon emotional. Es sind auch mal die ein oder anderen Tränchen geflossen. Wir haben aber auch super viel gelacht.“ Das Foto-Projekt hinterließ Spuren. Nadine setzt sich seit der Ausstellung intensiver mit dem Thema Krebs auseinander. Die Krankheit war aber immer schon Teil ihres Lebens.
„Mein Opa ist an Krebs gestorben, meine Großtante ist an Krebs gestorben. Das sind schon Dämpfer gewesen, wo man dann gedacht hat: Okay, man sollte schon ein bisschen genauer gucken. Gerade in der weiblichen Vorsorge war ich aufgrund meiner Mutter schon vorgeprägt. Sie hat sehr, sehr früh darauf bestanden, dass wir zur Vorsorge gehen und war da immer sehr erpicht darauf. Und das mache ich auch bis heute. Also, immer im halbjährlichen Takt gehe ich hin.“
Nadines Arbeit geht über das rein künstlerische hinaus: Sie schafft Verbindungen. Zwischen den Frauen, ihren Geschichten und den Betrachtenden der Bilder. Jede Aufnahme ist ein stiller Dialog, der den Raum erfüllt – eine Einladung hinzusehen und zuzuhören. Sabine ist von Nadines Talent begeistert: „Nadine hat uns alle so wunderbar in Szene gesetzt. Ich finde, wir sehen einfach bombastisch aus!“
Ein Netzwerk der Solidarität
Sabines Engagement wäre ohne die Unterstützung vieler Helferinnen und Helfer nicht möglich. Landfrauen, ehrenamtliche Gruppen und Betroffene stehen hinter ihren Projekten. „Ich frage einfach“, sagt sie. „Man muss manchmal einfach nur die Leute fragen oder eine Idee geben, was sie machen können.“
Mit dem Engagement aller Beteiligten sind unter anderem auch die kleinen „Sorgenwürmer“ entstanden. Sie werden in Brustzentren und onkologischen Ambulanzen verschenkt. Kleine, handgestrickte Würmchen, die Patientinnen und Patienten bei ihrer Therapie mental unterstützen sollen. „Manchmal braucht man etwas, was man in die Hand nehmen kann, und manchmal braucht man auch echt nur das Grinsen einer Holzkugel. Mögen sie alle Sorgen von den Patienten auffressen.“ Wenn Sabine über ihre Aktionen spricht, strahlt der Raum nicht nur in pinkem Licht, sondern auch durch ihr warmes, optimistisches Lächeln.
Alle Helfenden haben dasselbe Ziel: Aufmerksamkeit erregen und Mut machen. Denn jährlich erkranken an die 74.000 Frauen allein in Deutschland. Rechnet man die Vorstufen von Krebs noch hinzu, so kommen wir fast auf 80.000.
Bei den Männern erkranken jährlich fast ein Prozent und bei ihnen ist es oftmals noch viel zu spät erkannt. „Ich habe noch keinen Mann kennengelernt, der zur Gynäkologin zum Brust abtasten ging, zum Ultraschall oder zum Quetschen der Brust beim Screening“, erklärt Sabine.
Die Alleen leuchten in Pink
Die Bäume mit ihren knallpinken Schals an den Straßen sind längst ein Markenzeichen geworden. „Letztes Jahr haben sie mich alle gefragt: ‚Sabine, hat der Baum Halsschmerzen?‘“ Heute erkennen viele die pinken Schals mit ihrer Bedeutung sofort wieder. „Was für eine Gnade, wenn das so wahrgenommen wird. Und es zeigt, dass meine verrückten Ideen Frauen und im letzten Jahr sogar einen Mann dazu animieren, hunderte von Schals zu stricken. Wir haben insgesamt letztes Jahr 160 Bäume umwickelt“, erzählt Sabine den Zuhörenden. Dieses Jahr sind es nicht weniger.
„Es geht weiter“ – Sabines Vision für die Zukunft
Mittlerweile verziert das Team auch in Dortmund und Euskirchen die Bäume mit pinken Schals. Die ein oder andere Idee für weitere Aktionen hat Sabine auch schon im Kopf. Die sind aber noch nicht spruchreif. Sicher ist aber, dass sie genau so viel Herzblut reinstecken wird, wie in diesem Jahr und in den Jahren davor. Interessierte können also gespannt sein.
Die Ausstellung soll außerdem wachsen. Sabine träumt von einer Wanderausstellung, die auch andere Regionen erreicht. „Jede Frau, die betroffen ist, die Mut hat zu sagen: ‚Ja, ich stehe dazu. Ich lass mich fotografieren.‘ Bitte, bitte sagt Bescheid, meldet euch.“ Für nächstes Jahr hat sie schon Anfragen bekommen.
Für sie ist Offenheit der Schlüssel, um das Tabu rund um Krebs zu brechen. Die Arbeit von ihr und ihrem Team ist ein Schritt in diese Richtung. Sie soll nicht nur informieren, sondern auch Mut machen. Sabine und ihre Mitstreiterinnen zeigen, dass ein Leben nach der Diagnose möglich ist. „Wir sind nicht die Eine von Acht. Wir sind die Eins!“
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