Bildunterschrift: Die Hintertüren eines Rettungswagen. Foto: Pixabay

Für die einen Saufen in Kostümen, für die anderen harte Arbeit in Uniform. Als Sanitäter im Kölner Karneval braucht man so einige Fähigkeiten: die Stimme eines Bären, Nerven aus Stahl und das Geheimnis, wie man hier nicht verrückt wird.

Reportage von Nils Reifenrath

Wenn es anfängt, dann richtig!
Die Uhr zeigt 11:11, das Thermometer 11 Grad – und der Promillewert liegt bei 1,1. Am Rudolfplatz sticht eine Gruppe junger Männer heraus. Auf den Schultern trägt ein Arzt mit Skibrille eine große Musikbox. Schlagerplaylist, Lautstärke: Maximum. „Deutsch-Unterricht, dat wor nix för mich!“, grölt die Truppe heiter. Mal aus voller Kehle, mal schon leicht heiser. Die Stimmung hält bis zum Zülpicher Platz. Dort folgt der Dämpfer: Die Eingänge sind gesperrt.
Halb so wild. Gefeiert wird überall. Menschentrauben ziehen sich durch die Brüsseler Straße. Links jagt eine Gruppe bunter Gestalten einem Ball hinterher, rechts hat sich der Verkaufsschlager des Vormittags gefunden: der Dönerladen auf der Ecke. Tapfer feiern die Jecken, in kurzen Röcken und sportlichen Unterhemden, gegen die Novemberkälte an.

Aus dem Weg, sonst ist für euch heute Endstation!“
Während einige die Flaschen heben, als gäbe es kein Morgen, sind nicht alle in Partystimmung. Eifrig kämpfen sich vier Sanitäter durch die Menge. Schleppend rollt die Trage über den schmutzigen, nassen Bordstein, bis das Rettungs-Team zum Stehen kommt. Die Wand aus kostümierten Jecken wirkt unüberwindbar. Der vorderste Sanitäter seufzt, dann erhebt er selbstbewusst die Stimme: „Platz machen, Rettungsdienst!“, brüllt er. Sofort bildet sich eine Gasse. Zufrieden rückt der groß gebaute Mann in der knallroten Uniform seine eckige Brille zurecht. „Für den Job muss man abgebrüht sein“, sagt Britta, die das Schlusslicht des Rettungstrupps bildet, trocken. Erreicht hat sie dies durch viel Berufserfahrung. „Wenn du Karneval vier, fünf Mal gemacht hast, dann weiß man genau, worauf es ankommt“, fügt sie später hinzu.

Ein paar Mal muss noch gedrängelt werden, dann ist das Ziel erreicht. Eine junge Frau sitzt erschöpft auf der Bordsteinkante, gestützt von einer Freundin, die erleichtert die Sanitäter anblickt. Die Diagnose ist schnell gestellt – nicht zufällig steht die angebrochene Flasche Pfefferminzlikör nur wenige Zentimeter entfernt. Teamwork und Empathie sind gefragt. Ruhig spricht Britta mit der Frau, während ein Kollege rasch den Puls misst.

Strapazierte Nerven

Beim Einzelfall bleibt es nicht. Minuten später folgt der nächste Einsatz. Weißes Tanktop, blaue Lippen, völlige Erschöpfung – ein junger Mann sitzt, umgeben von stark alkoholisierten Freunden, an einer Wand beim Dixi-Klo. Das Geruchsbild ist geprägt durch frische Herbstluft und Erbrochenes. „Da kommt mal keiner von euch Nasen auf die Idee, eine Jacke zu geben?“, ruft ein älterer Herr mit rot-weißem Hut und schüttelt fassungslos den Kopf. Breit grinsend schauen sich zwei Freunde des jungen Mannes an und grinsen breit. „Ent… Entspann dich, Alter!“, lallt ihm einer hinterher. Das reicht Britta und ihren Kollegen. Bestimmt schicken sie die alkoholisierte Gruppe vorerst aus dem Weg. Die Sanitäter handeln professionell und bringen den jungen Mann zum Rettungswagen. Hier sitzt jeder Handgriff.

Mittlerweile hat sich neben unzähligen Menschen auch eine ganze Menge Müll angesammelt. Der halb verspeiste Döner und scharfe Glassplitter schmücken den Asphalt. „Mein Gott, Jungs, stellt die Flaschen doch an den Rand!“, sagt Britta einer Gruppe Jugendlicher und schüttelt den Kopf. Berufserfahrung zahlt sich aus! Nicht lange dauert es, bis sie einen kleinen Schnitt in der Hand eines Zauberers behandeln darf. Drei Minuten braucht sie – für Profis keine große Herausforderung. „Reine Routine“, sagt sie anschließend und atmet durch. Doch der Tag ist noch nicht bewältigt. Es ist gerade einmal 16 Uhr. Keine Spur vom Stimmungsverlust. Die Sanitäter hingegen haben sich eine Pause verdient. Hinter den Absperrungen können sie sich in den Personal-Sicherheitszonen neu koordinieren und kurzen Abstand vom bunten Chaos nehmen.

Zusammenhalt auf dem Müllberg
Bier, Zigarettenqualm und viel gute Laune liegen in der Luft. Euphorisch trällert ein junger Mann im braunen Bärenkostüm bei der lauten Musik mit. Doch ihm bleibt für einen Moment die Stimme im Halse stecken. Der ältere Mann vor ihm trägt das identische Bärenkostüm. Die Augen beider Männer leuchten auf. Lachen, anstoßen, leidenschaftliche Umarmung. Für einen Moment verstummt das Chaos beinahe, und der Charakter des Zusammenhalts und der Freundschaft steht im Mittelpunkt.