Porträt von Carsten Strauß.

Carsten Strauß. Foto: privat.

Der Sarg ist geöffnet. Verabschiedung. Hat er sich seit seinem Tod verändert? Ein letzter Blick, eine letzte Berührung. Die Hand ist weich und kalt, das Gesicht überraschend unverändert.

Verstirbt ein Familienmitglied, möchten wir den Menschen noch ein letztes Mal sehen. Doch was ist, wenn es einen Unfall gab? Ist ein Abschied am offenen Sarg dann noch möglich? In den meisten Fällen schon. Carsten Strauß (31) ist seit sieben Jahren Einbalsamierer. Er rekonstruiert Gesichter und schminkt sie. Im Interview erzählt er von sich und seiner Arbeit.

Die Einbalsamierungs- flüssigkeit. Foto: Jenny Smolka.

Was passiert beim Einbalsamieren?

Es wird eine konservierende Flüssigkeit in den Körper injiziert – im Dialyseverfahren. Das Blut wird herausdreniert. Bakterien werden ausgespült. Die Flüssigkeit desinfiziert, das Gewebe wird zudem fixiert, es bleibt unverändert. Die unangenehmen Erscheinungen des Todes werden aus dem Körper gespült. Blutansammlungen und Totenflecken verschwinden, der Körper wird wiederhergestellt – so, dass man natürliches Aussehen erreichen kann. Nach dem Einbalsamieren sehen die Verstorbenen nicht mehr tot aus. Sie haben zwar keinerlei Mimik, aber es sieht aus, als würden sie schlafen. Sie werden auch eingecremt und gepudert.

 

Kann jeder Verstorbene hergerichtet werden oder gibt es auch hoffnungslose Fälle, in denen nichts mehr zu machen ist?

Gar nichts mehr gibt’s nicht. Manchmal reicht es, nur die Hand herzurichten, damit Angehörige sie halten können. Bei Verkohlung, beispielsweise bei Metallbränden in Autos, wird es schwierig. Es ist grundsätzlich aber ganz viel möglich. Eine Einbalsamierung dauert rund 12-15 Stunden und ist harte emotionale und körperliche Arbeit.

Instrumente zur Rekonstruktion von Verstorbenen

Unterschiedliche Instrumente zur Rekonstruktion von Verstorbenen. Foto: Jenny Smolka.

Können auch Insekten aus dem Körper krabbeln?

Das kann dann sein, wenn vorher Fliegen an dem Körper waren. Bei einer Totauffindung in der Wohnung gehen die Fliegen in die Feuchtgebiete, also Nase und Mund und legen Larven. Somit können auch irgendwann Maden austreten. 

Was ist der Unterschied zwischen meiner Kosmetik und der, die du verwendest?

Meine Kosmetik hat eine Fett-, Alkohol oder sogar Latexbasis. Sie ist sehr deckend und nicht abhängig von der Körpertemperatur, hält also wenn es warm und kalt ist. Ich benutze Kosmetik aus dem Bestatterbereich beziehungsweise der Theaterbranche.

Einen Teil der Kosmetik, die Carsten bei seiner Arbeit benutzt. Foto: Jenny Smolka.

Auf dem Tisch liegen nur Make-Up und Pinsel. Hast du auch Wimperntusche und Kajal?

Ja, auch Eyeliner. Ich kriege alles hin. Wimperntusche geht in die Wimpern, da kann ich auch normale aus dem Drogeriemarkt nehmen und brauche keine spezielle.

Warum hast du dich für den Beruf des Thanatopraktikers entschieden?

Ich wollte nie im Beratungsgespräch sitzen und sagen: „Behalten sie den Verstorbenen so in Erinnerung, wie sie ihn gekannt haben“. Das finde ich peinlich und kann ich nicht über die Lippen bringen.

Wie sprichst du denn mit den Angehörigen über die Verstorbenen und die Einbalsamierung?

Ich verzichte auf den Begriff „Leiche“. Eine Leiche ist für mich anonym, gehört ins Gesetz. Vor Angehörigen spreche ich z.B. von Mutter oder Vater, je nachdem, wer verstorben ist. In den Gesprächen lerne ich einiges über die Verstorbenen, es entwickelt sich eine Persönlichkeit und ein Bild. Die Einbalsamierung spreche ich nur dann an, wenn sie wirklich nötig ist. Wenn der Zustand des Verstorbenen das anbietet, wenn die Dauer der offenen Aufbahrung über einen längeren Zeitraum ist, der Verstorbene unter Umständen nicht gekühlt werden kann oder bei Wiederherstellungskosmetik.

Und redest du mit den Toten?

Nein. Die geben ja keine Antwort. Da gibt es ja den komischen Film, wo Will Smith Pathologe ist, der spricht mit Toten. Ich nicht. Das ist der Unterschied zwischen Dortmund und Hollywood.

Hat dein Beruf deinen Umgang mit dem Tod verändert?

Ich bin mit dem Tod großgeworden. Und trotzdem fahre ich gerne schnell Motorrad. Ich weiß, wie gefährlich das sein kann. Ich habe auch Lungen gesehen, die von Nikotin zerfressen waren, rauche aber trotzdem. Man ist einfach verrückt. Wäre ich nicht aus einem Familienbetrieb gekommen, wäre ich bestimmt Automobilkaufmann geworden.

Du hast so viele Sterbefälle gesehen — Wie möchtest du nicht sterben?

Ich möchte weder leiden noch ersticken.

Und dein Wunschtod?

Einschlafen, nicht mehr wach werden. Oder einfach tot umfallen.

Wie stellst du dir denn deine eigene Beerdigung vor?

Ich werde einbalsamiert, offen aufgebahrt und möchte eine Erdbestattung.

Warum ist dein Bestattungswunsch so simpel?

Im Grunde gibt es ja nur die Erd- oder Feuerbestattung. Eine Feuerbestattung will ich nicht, also bleibt nur noch die Erdbestattung. Außerdem hat man zu einem Sarg einen größeren Bezug. Wenn der Hinterbliebene an dem Grab steht, das eine gewisse Größe hat, kann man sagen: Da liegt er drin. Wenn ich vor einem Grab stehe, das ein mal ein Meter groß ist, weiß ich: Da passt keiner rein. Ich kann unterbewusst vor einem großen Grab besser Abschied nehmen als von einer Urne. Außerdem werde ich nicht von Maden oder Würmern zerfressen. Auf 1,80m Tiefe gibt es keine Maden, das ist nämlich ein Gerücht. Ich habe noch nichts krabbeln sehen und habe schon in viele Gräber hineingesehen.

Deine Arbeit stelle ich mir traurig und einsam vor. Ist dem wirklich so? Wie findest du einen Ausgleich zu deiner Arbeit?

Meine Arbeit ist nicht traurig oder einsam. Ich trinke ganz viel Alkohol – nein, Spaß. Durch Freunde, Familie. Wir haben ein unheimlich gutes Arbeitsverhältnis mit den Kollegen, mit denen man viel spricht, wo viel Austausch stattfindet. Wir untereinander dürfen auch Lachen und Spaß haben, das haben wir auch auf der Arbeit. Bei einem Verstorbenen geht es pietätvoll und ruhig zu, bei einer Überführung im Auto dürfen wir uns auch was erzählen. Wir sind relativ humorvoll trotz alledem. Gott sei Dank ist es so, dass es uns nicht mitnimmt. Wenn wir jedes Mal weinen würden, wären wir fehl am Platz. Wenn uns ein Unfall kalt lassen würde, wären wir auch fehl am Platz. Ein gewisses Feingefühl muss da sein, man darf aber auch nicht alles an sich heranlassen.

Du bist jeden Tag in Kontakt mit dem Tod, das ist für dich normal. Warum sollten Angehörige keine Angst vor Verstorbenen haben?

Eigentlich sind es die friedlichsten Menschen, die es gibt. Die Angehörigen haben auch keine Angst vor den Verstorbenen, sondern vor der Veränderung. Es ist wichtig und wertvoll, im wahrsten Sinne des Wortes den Tod zu begreifen, den Verstorbenen ruhig auch noch einmal anzufassen. Ich persönlich finde es unheimlich wichtig, noch einmal zu den Verstorbenen zu gehen, um Abschied zu nehmen. Ich kann es nur jedem empfehlen.

Was ist das Beste an deinem Beruf?

Die Vielseitigkeit fasziniert mich. Es ist sehr abwechslungsreich. Kein Sterbefall ist gleich, jeder Sterbefall ist der Wichtigste. Dem gerecht zu werden, ist eine Herausforderung, die ich mag. Ich überführe die Verstorbenen, richte sie her, begleite die Angehörigen auf den Friedhof, kommuniziere mit dem Gärtner. Im Grunde genommen bin ich Handwerker, Psychologe, Gärtner, Dekorateur und Maskenbildner.