• Durch den Lockdown in Großbritannien dürfen keine Veranstaltungen in Kirchen stattfinden.
  • Die St. Faith’s Chruch bietet ihrer Gemeinde in Form von Online-Gottesdiensten ein Alternativangebot.
  • Jeder entscheidet selbst, wie und in welchem Maße jemand teilnimmt – völlig zwanglos.

Ich drücke Play und schon geht es mit einem Mausklick in die Kirche. Orgelmusik dringt in meine Ohren. Und ich? Ich sitze entspannt zuhause und schaue mir auf meinem Laptop den Pfingstgottesdienst der St. Faith’s Church in London an.

Präsenzgottesdienste wegen Corona verboten

Seit dem 24. März herrscht in Großbritannien der Ausnahmezustand. Durch die Ausgangssperre durften die Menschen nur noch aus wichtigen Gründen ihre Häuser verlassen. Geschäfte waren geschlossen und Versammlungen von mehr als zwei Personen verboten – damit auch Kirchenbesuche undenkbar. Seit dem 13. Mai gibt es einige Lockerungen. Gottesdienste dürfen jedoch nach wie vor nicht in einer Kirche gefeiert werden. Einen Ausweg bieten da virtuelle Gottesdienste.

„Wir wollen ein wenig Normalität in den Alltag unserer Gemeindemitglieder bringen.“, erklärt Reverend Susan Height, warum sie jede Woche ihre Gottesdienste filmt und für ihre Gemeinde im Netz bereitstellt. Um den Service aufregender zu gestalten, bindet die Pfarrerin Beiträge aus der Gemeinde mit ein. „Es ist schön zu sehen, wie viele Leute anbieten, beispielsweise eine Lesung zu übernehmen.“, freut sich die Pfarrerin.

Reverend Susan Height am Altar. Foto: St. Faith’s Church

Minze statt Weihrauch

Height steht am Altar und heißt ihre Gemeinde willkommen. Über ihre weiße Robe trägt sie eine rote Stola – die Farbe von Pfingsten.

Anstelle von Weihrauch liegt der Duft meines Pfefferminztees in der Luft. Es fühlt sich befremdlich an, daheim und allein einen Gottesdienst zu feiern. Ich sitze auch nicht übertrieben aufrecht auf einer unbequemen Holzbank, sondern liege in eine Wolldecke gekuschelt gemütlich auf meinem Bett und schlürfe genüsslich meinen Tee. Ich habe nicht das – mir sehr bekannte – Gefühl, die perfekte Christin spielen zu müssen. Das bin ich nicht. Ich bin nicht mal besonders gläubig. Genau das ist hier und jetzt egal.

Gottesdienst im Bett. Foto: Jule Petruck

11 Stunden Vorbereitung

Ein kurzes Gebet und schon geht es mit den Lesungen aus dem Alten und Neuen Testament weiter – gelesen von Gemeindemitgliedern. Im Anschluss ein Video, in dem Bischof Christopher Chessun die Predigt hält.

„Einen 45-minütigen Eucharistie-Gottesdienst zu produzieren kann bis zu acht Stunden dauern, das Rendern anschließend weitere drei.“ Reverend Susan Height schneidet die Videos selbst. Da sie vor Corona weder Erfahrungen mit Filmen noch mit Filmschnitt hatte, erfordere die Situation völlig neue Kompetenzen.

Die Kirche lädt zur Bastelstunde ein

Von einem „normalen“ Gottesdienst hätte ich niemals erwartet, dass daraus eine Bastelstunde werden könnte. In einer Video-Sequenz zeigt Paul Grimwood seinen Freunden und Bekannten aus der Kirche, wie aus einer Milchkanne eine Friedenstaube entstehen kann. Das bietet nur die Online-Kirche. Ich war auf diese Bastelstunde leider nicht vorbereitet und konnte somit keine eigene kleine Friedenstaube modellieren. Trotzdem: Wirklich interessant und eine erfrischende Abwechslung.

Dann erneut die Orgelmusik. In der Kirche würde ich jetzt sicherlich stumm meine Lippen bewegen und so tun, als sänge ich leise mit. Doch jetzt? Fehlanzeige. Ich erwische mich sogar dabei, wie ich vorsichtig das Getöse ein paar Sekunden vorspule.

Friedenstaube aus Milchkanne. Foto: Mike Sterling

Virtuelles Abendmahl

Height bereitet das Abendmahl vor. „Our father, who art in heaven…“, beginnt sie das Vater Unser und ich freue mich, dass ich es nicht verlernt habe – also spreche ich mit. Danach fühle ich mich komisch. Was bitte war das gerade? Ich muss doch niemandem hier etwas beweisen, ich bin schließlich allein. Hat mich die Spiritualität nun doch erreicht?

Im Gegensatz zu mir, gibt es Leute in der Gemeinde, die von zuhause aus mit eigenem Brot und Wein teilnehmen. Elizabeth Upong ist eine von ihnen: „Wir freuen uns sonntags auf die Gottesdienste. Meinem Sohn, Godspower, begeistert es vor allem, dass er das Brot brechen darf.“

„Wir singen mit!“

Zum Abschluss erklingt das Lied „Shine, Jesus, shine“, das ich nur zu gut aus meiner Zeit in London kenne. Der Jugendchor „Faithful Voices“ nahm das Lied zuvor auf. Ich genieße es, Gesang anstelle von dröhnender Orgelmusik zu hören, und nicke zum Takt. Doch vom Singen bin ich weit entfernt. Anders ergeht es da Familie Upong: „Wir singen gerne zu den Songtexten auf dem Bildschirm mit. Der Gedanke, dass jetzt gerade unsere Freunde genau dasselbe tun, ist schön. So fühlen wir uns mit ihnen verbunden, obwohl wir uns zurzeit nicht sehen können.“

Faithful Voices singen Shine, Jesus, shine. Quelle: St. Faith´s Church

Präsenzgottesdienste in Deutschland unter Auflagen wieder möglich

Währenddessen dürfen in Deutschland Kirchen unter bestimmten Auflagen seit ein paar Wochen wieder besucht werden. So müssen beispielsweise Besucher eines Gottesdienstes zwei Meter Abstand halten, ihre Kontaktdaten angeben und dürfen sich nur auf markierte Plätze setzen. Gesungen wird nicht. Darüber hinaus herrscht eine Maskenpflicht. Die Zeit ist begrenzt. Aufgrund der beschränkten Teilnehmerzahlen gibt es Listen, in die sich Gemeindemitglieder eintragen und sich so einen Platz im Gottesdienst sichern können.

Die Bedingungen in den einzelnen Bundesländern variieren jedoch in manchen Aspekten. In Bayern sind Gottesdienste beispielsweise auf 60 Minuten begrenzt, in Sachsen-Anhalt sind es 30. Andere Länder nehmen wiederum keine Einschränkung der Dauer vor. Letztendlich ist jede Kirche selbst in Rücksprache mit der zuständigen Landeskirche für ein Sicherheitskonzept verantwortlich.

Die etwas andere Kirchen-Erfahrung

Dieses Erlebnis wird meine grundlegende Einstellung zum Glauben nicht verändern. Trotzdem hat mir dieser virtuelle Gottesdienst die Möglichkeit gegeben, mich kritisch damit auseinanderzusetzten – kritischer als es vor Ort in einer Kirche möglich wäre. Ich fühlte nicht diesen Zwang, alles, ohne darüber nachzudenken, mitzusprechen – wie ein Roboter, bei dem jemand einen Schalter umlegt.

Positiv überrascht und zufrieden mit dieser Erfahrung klicke ich auf „Stopp“ und schließe das Fenster. Jetzt bin ich zurück in meinen eigenen vier Wänden und plane, nächsten Sonntag erneut die digitale Reise in die St. Faith’s anzutreten.