Bus und Bahn nutzen, um das Klima zu schützen: Was so einfach klingt, ist derzeit nicht überall umsetzbar. Robert Beer ist Berufspendler und wohnt im ländlich gelegenen Polsum, einem kleinen Ort an der Grenze von Marl und Gelsenkirchen. Kann er bald sein Auto stehen lassen?

Von Lea Müller

Robert Beer ist Berufspendler. Er arbeitet in der Logistikbranche am Duisburger Hafen und fährt dafür regelmäßig die 38 km lange Strecke mit dem Auto. In seinem Heimatdorf Marl-Polsum fährt kein entsprechender Bus, auch keine Bahn. Beide Möglichkeiten kommen für Robert Beer nicht in Frage. Es fahre nur eine Buslinie. „Hier kommst du nirgendwo hin“, erklärt Robert Beer. „Es ist dramatisch was im Ruhrgebiet passiert. Da sind wir ganz weit abgehangen.“ Die Infrastruktur in Deutschland und im Ruhrgebiet sei eine Katastrophe. „Und ich krieg es sehr oft mit, weil ich jeden Tag fahre. Da gibt es eine 224, die ist regelmäßig verstopft und du kommst nicht weiter. Es gibt eine A43, die ist auch regelmäßig verstopft, wo du nicht nach Münster kommst. Aber von hier aus gibt es auch keine Alternativen.“ Nach Angaben des Statistischen Bundesamt ist bundesweit jeder zweite Arbeitnehmer bis zu 30 Minuten zum Arbeitsplatz unterwegs. Fast ein Viertel aller Befragten braucht sogar zwischen 30 und 60 Minuten. Mehr als die Hälfte der Befragten nutzen das Auto, um zur Arbeit zu gelangen.

Im Korsett eingeschnürt

Für Außentermine muss Robert Beer quer durchs Land und über die Grenzen hinausfahren. „Bis vor zwei Jahren bin ich im Jahr 35.000 km gefahren. Mein letztes Auto hatte ich drei Jahre, das hat 110.000 oder 120.000 km gehabt.“ Sein jetziges Auto hätte wegen der Pandemie gerade einmal 60.000 runter km. Er könne mittlerweile auch viel im Homeoffice arbeiten und auch seine Fahrtzeit nach Duisburg habe sich verändert. Vor Corona hat er zwischen einer dreiviertel Stunde und 1,5 Stunden zur Arbeit gebraucht. „Jetzt fahr ich zwischen 20 Minuten und 35-40 Minuten. Das ist schon ein Unterschied.“ Zufrieden ist er damit nicht. Er würde gerne auf die Möglichkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgreifen. „Es wäre auf jeden Fall entspannter im Zug“, meint Robert Beer. „Es ist schon nervig, wenn du im Stau stehst, vor allem wenn du dann Termine hast“. Die Überlegung, was Menschen im Ruhrgebiet wirklich benötigen, um zur Arbeit zu kommen würde fehlen. „Du bist ein Individuum, du brauchst schon eine individuelle Möglichkeit und lässt dich in so ein Korsett spannen, was aber für dich gar nicht ausgelegt ist. Und das passt den wenigsten, habe ich das Gefühl.“ In den letzten zwei Jahren ist Robert Beer zweimal mit dem Zug gefahren. In beiden Fällen war er mit den Leistungen der Deutschen Bahn nicht zufrieden. Er habe daraufhin für sich entschieden, dass Bahn fahren für ihn nicht lukrativ sei.

Keine Besserung in Sicht

Anschlüsse sind in Polsum entweder viel zu knapp oder zu lang geplant. Die nächstgelegene Bahnlinie fährt nur einmal stündlich vom Bahnhof Gelsenkirchen-Hassel. Dies wird sich auch laut VRR-Pressesprecherin Sabine Tkatzik erst einmal nicht ändern. „Für die Bahnlinie S9 gibt es keine weiteren Anpassungen in den Fahrtzeiten. Da wird in absehbarer Zeit alles so bleiben wie es jetzt ist.“ Die Buslinie fährt in Polsum nur jede halbe Stunde. Die nächstgelegenen größeren Orte Marl-Mitte und Gelsenkirchen-Buer erreicht man damit nicht unter 20 Minuten. Bereits im vergangenen Jahr wurde bekanntgegeben, dass sich die Fahrzeiten verdichten und die Busse dann immerhin im Viertelstundentakt fahren würden. Bis heute gab es keine Änderung des Fahrplans. Wie das Verkehrsunternehmen Vestische auf Anfrage mitteilt, sei geplant, das Angebot in den kommenden Jahren deutlich auszuweiten. „Wir haben viele Vorschläge, aber benötigen das Go der Politik.“ Die Vestische habe die Planung nicht allein zu bestimmen. Der Vorschlag, dass die Buslinie 222 alle 15 Minuten fahren soll, sei daher noch nicht spruchreif. Geplant sei ein „Maßnahmenbündel“, welches sich auf den gesamten Bereich, also den Kreis Recklinghausen, Bottrop und den nördlichen Teil von Gelsenkirchen erstrecke. Insgesamt handle es sich dabei um eine Strecke von 2,7 Millionen km, die das Unternehmen pro Jahr mehr fahren will. Der Kreis Recklinghausen erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme, dass er als ÖPNV-Aufgabenträger das Nahverkehrsangebot koordiniere und verantworte. Er stimme sich mit den Verkehrsunternehmen – so auch mit der Vestischen – ab. „Da der Nahverkehrsplan des Kreises Recklinghausen, welcher Grundlage für das ÖPNV-Angebot ist, in diesem Jahr fortgeschrieben werden soll, sammeln wir sämtliche Hinweise und Anregungen zur Optimierung des Nahverkehrsplans in einer Übersicht. Diese wird Teil des noch zu vergebenen Auftrages zur Fortschreibung des Nahverkehrsplans. Die Linie 222 pendelt aktuell im 30-Minuten-Takt zwischen Marl-Sinsen über Marl-Polsum nach Gelsenkirchen-Buer. Eine Änderung des Taktes wird ebenfalls im Rahmen der Fortschreibung des Nahverkehrsplans inkl. der notwendigen Anschlussplanungen geprüft.“

Für die Zukunft ist viel geplant, es gibt viele Absichtserklärungen. Ob es tatsächlich dazu kommt, das Dorf besser an das Verkehrsnetz im Umkreis anzuschließen, ist derzeit also noch nicht konkretisiert. Es ist nicht verwunderlich, wenn bis dahin viele Personen im Ort weiterhin auf ihr Auto zurückgreifen. CO2-Emissionen reduzieren? Unmöglich. „Ich finde es schade, dass das Ruhrgebiet nicht in der Lage ist einen vernünftige Regionalverband aufzubauen“, meint Robert Beer. „Ich bin kein Städteplaner, aber so wie es jetzt ist, ist es nicht optimal.“ Perspektivisch könne er sich vorstellen, dass es eine Trendwende geben wird. Einen Ausbau der U-Bahn-Linien hält Beer allerdings für unwahrscheinlich. Marl, Gelsenkirchen und Essen seien alles Pleitestädte. Er bezeichnet das Pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf der Langstrecke als großen „Murks“. „Und dann noch beruflich pendeln, also noch bis Düsseldorf Flughafen oder nach Hamburg, da kommt man auch nicht gescheit hin. Nur über Essen. Dann muss man erstmal nach Essen kommen.“

Zug muss ein Büro sein

Die Nutzung einer Bahn wäre für Robert Beer nur unter bestimmten Kriterien eine Option. „Ich habe einen Sitzplatz der sauber ist, der einen Stromanschluss hat, wo ich über ein W-LAN verfügen kann und in diesem Zug arbeiten kann. Da muss eine Bahn ein Büro sein können und dann noch eine vernünftige Verbindung, um von A nach B zu fahren. Vorher ist es für mich nicht interessant.“  Auch das Teilpendeln wäre für Robert Beer nicht sinnvoll. „Ich habe schon mal darüber nachgedacht. 10-15 km vor Duisburg könnte ich mein Auto auf einem Parkplatz abstellen und fahr dann über den grünen Gürtel mit dem Rad zur Arbeitsstätte. Kann man auch machen. Hat man nur nichts von, wenn man vorher auf der 224 steht.“