Der Raum “Berlin” füllt sich, das Murmeln der Anwesenden wird leiser und geht in Beifall über, als die Protagonist:innen der kommenden 45 Minuten an die Stehtische treten. Es ist eine von zahlreichen Sessions, die sich auf dem Global Media Forum in Bonn mit Gegenwart und Zukunft des Journalismus beschäftigt. Unter dem Motto „Trigger Warning: Are you good enough to become a journalist?” begrüßt Moderatorin Shabnam Surita (Deutsche Welle) die Speaker der Veranstaltung: Christina Gruber (Kölner Journalistenschule), Danielle Arets (Fontys University), Florian Meißner (Macromedia) und Christina Elmer (TU Dortmund). Letztere ist Professorin für Daten- und Digitaljournalismus. Ergänzend zur Paneldiskussion haben unsere tagger-Autoren ein Vorabinterview mit ihr geführt – um so der Frage auf den Grund zu gehen, wie das journalistische Skill-Set der Zukunft aussehen wird.

Journalistisches Handwerkszeug 2.0

Das Publikum, bestehend aus mehr als 60 überwiegend jungen Zuhörenden, erhoffte sich Impulse für seine berufliche Perspektive. Die großen Innovationen blieben zunächst aber aus: Grundlegende journalistische Skills werden auch in der absehbaren Zukunft Hauptbestandteil journalistischer Tätigkeiten bleiben – da waren sich die vier Speaker einig. Unverändert sei die Relevanz von Recherche, Medienrecht und -ökonomie. Für Christina Elmer ist aber eine Grundvoraussetzung, dass das journalistische Handwerkszeug ab und an ein Update erhält.

So sollte es zukünftig stärker auf die Arbeit mit Datensätzen zugeschnitten sein. “Keine Datenquellen zu benutzen“ oder sich keine Kenntnisse in Bereichen wie OSINT (= Open Source Intelligence) anzueignen, vergleicht sie auf dem Global Media Forum mit einem “medizinischen Fehler”. Es wäre fatal, die vorhandenen Quellen nicht zu nutzen oder nicht zu wissen, wie damit umgegangen werden muss. Auch wenn die Realität stellenweise anders aussieht, plädiert sie dafür, mathematisch-technische Skills bereits in der Grundausbildung zu fördern. Ohnehin sei es nie zu spät, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Jede:r Journalist:in kann sich da die nötigen Skills draufschaffen: Kleinere Datensätze zu analysieren, strukturiert zu recherchieren und mit Programmierer:innen gemeinsam ein Setting für ein datenjournalistisches Projekt zu entwerfen.

Mehrwert für die Gesellschaft

Auf die Frage, drei Kernelemente aufzuzählen, die alle jungen Journalist:innen beherrschen sollten, nennt Elmer an erster Stelle Empathie. Sich ins Publikum hineinversetzen zu können und – Stichwort “Nutzerorientierte Gestaltung” – die Arbeit den Bedürfnissen anpassen zu können, ist in ihren Augen ein essentieller Punkt. Für eine adäquate Berichterstattung müssten in Redaktionen nun mal Menschen sitzen, die nachempfinden können, warum es beispielsweise vielen Menschen mit einem höheren Benzinpreis und der Inflation wirklich nicht gut gehe.

“Bereits in der Ausbildung müssen Journalist:innen sich damit beschäftigen, in welcher Lebenswirklichkeit ihre Rezipienten leben, welche Bedürfnisse sie haben – und wie sie die abholen können. Welchen Mehrwert können wir für unsere Gesellschaft schaffen? Wenn wir diesen Skill gut weiterentwickeln, kann uns dieser über die nächsten Jahrzehnte tragen.”

Detaillierte Kenntnisse über das „digitale Ökosystem“ seien ebenfalls unabdingbar. Schließlich spiele sich die journalistische Arbeitsrealität zunehmend im digitalen Raum ab. Dabei sei vor allem ein Fokus darauf zu richten, wie mit Online-Journalismus Geld verdient werden könne. Als dritten und letzten Punkt nennt sie erneut die journalistischen Kernfähigkeiten, ohne die die Arbeit praktisch nicht auszuführen sei.

Gemeinsam in eine positive Zukunft

Gerade im Hinblick auf technische Kompetenzen wirft ihre Klassifizierung jedoch die Frage auf, ob Medienhäuser und Redaktionen überhaupt in der Lage sind, angehende Journalist:innen entsprechende Skills beizubringen. Christina Elmer ist zwiegespalten: Zwar sei der deutsche Journalismus schon auf einem guten Weg, habe aber insgesamt noch einiges aufzuholen.

Ich glaube, das kann kein Medienhaus allein leisten, diese ganzen Themen zu vertiefen und anzubieten. Das muss uns im Verbund aus verschiedenen Ausbildungsstationen, dem Volontariat und der Praxis gelingen.

Einen Generationskonflikt zwischen alteingesessenen und angehenden Journalist:innen gebe es hierbei jedoch nicht, im Gegenteil: In der Praxis habe sie schon “ganz schöne Tandem-Modelle” erlebt. Junge Datenjournalist:innen würden sich mit alteingesessenen Investigativ-Rechercheur:innen zusammenschließen und voneinander lernen. Vermutlich können solche Zusammenschlüsse einen Wandel des Berufsfeldes hinsichtlich digitaler Entwicklung fördern, beginnen würde er laut Elmer jedoch bereits in der eigenen Nutzererfahrung.

Pragmatisch zusammengefasst wünscht sich die Professorin für die Zukunft also: Mehr Datenjournalismus. Sie findet, die Branche „braucht wirklich solche Teams, um am Ende des Tages zu überleben“. Vor allem der Austausch mit technischen Berufsfeldern sei dabei von enormer Wichtigkeit.

Algorithmen, Künstliche Intelligenz, die technischen Neuentwicklungen kritisch begleiten zu können – das können wir alleine als Journalist:innen gar nicht lösen, dafür brauchen wir die Techies.

Allerdings gibt Elmer dem journalistischen Nachwuchs auch mit auf den Weg, dass ihre Zukunft durchaus positiv sein wird. Viele Redaktionen würden sich auf die jüngeren Rezipient:innen stürzen und versuchen, für diese Angebote zu schaffen. Sie hätten bemerkt, dass viel zu viele Menschen verloren gehen, die nichts mehr mit ihren Medienmarken zu tun haben. Das führt dazu, dass junge Journalist:innen gerade unglaublich viele spannende Projekte machen könnten. Vor allem diejenigen, die neu in Redaktionen kommen, könnten hierdurch Erfahrungen sammeln und Verantwortung übernehmen.

Christina Elmer ist seit September 2021 an der TU Dortmund Professorin für Daten- und Digitaljournalismus. Zuvor hat sie beim SPIEGEL gearbeitet und dort das Datenjournalismus-Team aufgebaut und geleitet.

Jonathan Orth & Leon Schäfers