Laura Waldner hat einen außergewöhnlichen Job. Sie trifft auf Kinder, die traumatische Erlebnisse hatten, wie zum Beispiel einen Trauerfall in der Familie. Kinder, die an einer Behinderung leiden oder eine lebensverkürzende Krankheit haben. Sie hilft ihnen, das Erlebte zu verarbeiten – und das mit der Hilfe von Pferden. Die 28-Jährige schafft das, was für viele Menschen fast unmöglich wäre: Eine Beziehung zu den Kindern aufbauen und ihr Vertrauen gewinnen.
Eine Reportage von Vivien Scheffler
,,Brauchst du Hilfe, Julie, oder schaffst du es alleine, der Sonja das Halfter anzulegen?“, fragt Laura Waldner. ,,Nein, ich kann das“, sagt Julie und geht zu dem kleinen schwarzen Pony. Dass Julie antwortet, ist nicht selbstverständlich und war nicht immer so. Die 7-Jährige leidet unter selektivem Mutismus, eine Sprachstörung, die sie unfähig macht, mit fremden Menschen oder in ungewohnten Situationen zu sprechen. Doch mit Laura Waldner spricht sie. Sie hat es geschafft, mit Hilfe des Ponys einen Zugang zu Julie zu finden.
Der eigentlich schlammige Boden ist festgefroren an diesem kalten Tag, minus ein Grad ist es auf dem Reiterhof in Gladbeck-Ellinghorst an der Grenze zu Bottrop. Typischer Pferdegeruch liegt in der Luft. Laura Waldner und Julie sind dick eingepackt mit Handschuhen, Schal und Mütze. Julie trägt auch einen lila Helm, denn sie wird gleich reiten. Sie ist auf dem Weg, Shetland Pony Sonja von der Koppel zu ihrem Putzplatz zu bringen. Das kleine schwarze Pferd hat noch Heureste in der wuscheligen Mähne. Julie versucht, sie heraus zu bekommen. Sie ist sehr gründlich und bürstet das dichte schwarze Fell. Berührungsängste hat Julie bei Sonja keine. ,,Pferde erleichtern oft den Zugang zu Kindern“, sagt Laura Waldner. Sie sind oft Vermittler, strahlen Ruhe aus. Julie hat Probleme, Menschen zu begrüßen, Pony Sonja begrüßt sie hingegen ohne Probleme.
Ein kleines Wunder
Als Julie vor rund einem Jahr zum ersten Mal zu Laura Waldner kam, hat sie kein Wort gesagt. Nach einigen Sitzungen und nach anderthalb Monaten hat sie plötzlich, ganz nebenbei, als sie auf dem Pony saß, das erste Mal gesprochen. ,,Das sind die Momente bei meiner Arbeit, die richtig cool sind“, sagt die junge Frau mit Brille und den türkis gefärbten Haaren. Ihre Augen leuchten und man merkt, dass sie die Arbeit mit vollstem Herzen macht. Hauptberuflich ist sie Montessori-Pädagogin und engagiert sich ehrenamtlich in der pferdegestützten Begleitung. Zusammen mit ihren Kollegen vom ,,Tierische Seminare e.V.“ hilft sie Kindern und Jugendlichen mit körperlichen Beeinträchtigungen oder in schwierigen Lebenssituationen.
Wie ein anderes Kind
Nach dem Putzen steigt Julie auf Sonjas Rücken, auf dem eine pinke Pferdedecke liegt. Die hat Julie vorher selbst ausgesucht. Laura Waldner führt das Pony Richtung Feld. Julie fängt an zu erzählen, ganz von alleine. Übers Basteln spricht sie, über Weihnachten und über Pferde. Laura Waldner erzählt, dass das vor über einem Jahr noch undenkbar gewesen wäre. Je mehr Zeit vergeht, desto losgelöster und gesprächiger wird das kleine Mädchen. Pony Sonja trabt geduldig den Feldweg entlang und senkt den Kopf, um etwas Gras zu fressen. Die Wiese ist voll mit Blättern. ,,Isst die Sonja lieber Gras oder lieber Blätter?“, fragt Julie. ,,Ich glaub die Sonja isst lieber Gras, die Blätter schiebt sie mit der Nase weg“, sagt Laura Waldner. ,,Dann lass uns mal da vorne hin reiten, da liegen keine Blätter“, sagt Julie. Auch das lernen die Kinder durch die Pferde:
Empathisch sein und sich in andere hineinversetzen, erzählt Laura Waldner und lacht. Ihr Job macht ihr viel Spaß, sie selber ist schon immer ein totales ,,Pferdemädchen“ gewesen, reitet seit ihrer Kindheit und hat seit Kurzem auch ihr eigenes Pferd. Sie weiß, wie viel Halt ein Tier in schwierigen Lebenssituationen geben kann, denn sie selbst hat bereits ihren Vater verloren.
Der Erfolg spricht für sich
Teilweise sind es harte Schicksale, mit denen Laura Waldner konfrontiert wird. Sie fühlt mit, es belastet sie, was die Kinder erlebt haben, aber sie versucht die Gedanken nicht mit nach Hause zu nehmen. ,,Letztendlich versuche ich, das Positive zu sehen. Auch wenn das Kind etwas Schlimmes erlebt hat, freue ich mich, wenn es wenigstens hier einen schönen, unbekümmerten Moment hat“, sagt sie. Die schönen Momente und der große Erfolg ist das, was sie bestärkt. ,,Wir haben viel mit Julie ausprobiert, psychiatrische Behandlung, eine Sprachschule. Aber von der pferdegestützten Begleitung sind wir wirklich begeistert und wir sehen so große Erfolge. Julie macht es so viel Spaß und sie freut sich immer, wenn sie alle zwei Wochen zu Laura und den Pferden kann“, sagt Julies Mutter Ivonne. Julie hat Sonja nun wieder fertig für die Koppel gemacht und umarmt das Pony zum Abschied. Ihr Gesicht ist in der dichten, schwarzen Mähne. ,,Bis zum nächsten Mal“, sagt sie.
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