Schicksale im Studium

In den letzten Monaten häuften sich Meldungen über die Lage der Studierenden in Deutschland. Die Pandemie, die Energiekrise und steigende Mieten wirken sich stark auf ihre finanzielle Situation aus. Die Schicksale von Marie und Celine zeigen, wie komplex die Situation ist.

Julia Crüsemann, Veerle Seelig und Joyce Noll

Marie* (27), Studentin in Literatur und Medienpraxis mit American Studies, wartet derzeit, wie viele andere Studierende, auf die Einmalzahlung von 200 Euro (*Name geändert). Dabei wird ihre Situation schon seit Monaten immer prekärer: „Ich habe keinen gefüllten Kühlschrank mehr. Ich schaue, dass ich Vorräte, wie Nudeln und Reis da habe.“

Das von der Bundesregierung verabschiedete Gesetz dafür soll Anfang 2023 in Kraft treten. „Die Studierenden brauchen das Geld auf ihren Konten so schnell wie möglich, um die immensen Kostensteigerungen wenigstens teilweise kompensieren zu können“, fordert Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. Diese Zahlung ist nicht der erste Versuch einer finanziellen Unterstützung von Studierenden.

Zwischen dem dritten Entlastungspaket und den Notfallhilfen der Bundesregierung sind die Schicksale von Studierenden sehr unterschiedlich verlaufen.

BAföG oder Nebenjob

In ihrem Erststudium Lehramt erhielt Marie den BAföGs-Höchstsatz von damals 597 Euro im Sommer und 649 Euro im Wintersemester (Stand 2016). Laut Statistischem Bundesamt erhielten zu dieser Zeit 239.366 Personen BAföG. Die Summe hat bei Marie damals nicht für einen Auszug gereicht und ein Nebenjob war wegen des Workload im Studium nicht möglich. Bei einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa kam heraus, dass ein Viertel der Studierenden neben dem Studium keinen Nebenjob hat. Gründe sind anspruchsvolle Studiengänge, Doppelbelastungen und sich überschneidende Vorlesungs- und Arbeitszeiten.

Studienfinanzierung durch ein Stipendium

Bei Celine (22) sieht die Situation etwas anders aus. Sie studiert seit dem Wintersemester 2020/21 Journalismus und PR. „Ich komme sehr gut zurecht“, sagt sie. Durch ein Deutschlandstipendium bekommt sie monatlich 300 Euro. Insgesamt waren in Deutschland im Jahr 2021 knapp 4 % der Studierenden Stipendiaten.

Aufgrund ihres Studiengangs habe sie mehr Zeit als andere Studierende. Dadurch sei es ihr möglich, auf Minijobbasis neben dem Studium beim WDR zu arbeiten. Dabei verdient sie monatlich bis zu 520 Euro.

Das Geld vom Stipendium muss Celine nicht zurückzahlen, anders als beim BAföG. Dadurch, dass ihre Eltern nicht vermögend sind, bekommt Celine neben dem Stipendium 812 Euro BAföG pro Monat. Die Hälfte des BAföGs muss nach dem Studium zurückgezahlt werden. Während des Studiums werden also Schulden gesammelt. Celine macht sich darum vorerst keine Sorgen. „Es ist ja nicht so, dass man die Bachelor-Urkunde in die Hand bekommt, und dann sofort alles zurückzahlen muss.“

Im Jahr 2021 stieg erstmals nach jahrzehntelangem Rückgang die Zahl der Studierenden, die BAföG erhielten (Statistisches Bundesamt). Rund 71 % der Studierenden bekamen 2021 den Höchstsatz von 861 Euro.

Studienwechsel mit Folgen

Studierende, die ihr Studienfach wechseln, erhalten keine BAföG-Finanzierung mehr. Nach Erhebungen des Statistischen Bundesamtes wechseln circa 13,6 % der Studierenden ihr Studienfach bis zum fünften Semester. Trotz finanzieller Einschränkungen war es für Maries dennoch die richtige Entscheidung. „Natürlich war das die richtige Entscheidung, weil es das war, was ich wirklich machen wollte“, sagt Marie, die nach ihrem Wechsel anfing, als Werkstudentin in der Verwaltung zu arbeiten.

Dort arbeitete sie von 2019 bis 2022. Am Anfang verdiente Marie 12 Euro und später 14 Euro. Nach der Analyse der Firma Jobvalley in Zusammenarbeit mit der Maastricht University verdienten Studierende in Deutschland, die einem Bürojob nachgingen, im Jahr 2019 durchschnittlich circa 11,50 Euro pro Stunde. Am meisten Geld bekommen Studierende in der Informatikbranche mit rund 15 Euro. Bei Marie verbesserte der gestiegene Lohn ihre finanzielle Situation so, dass sie trotz des ausbleibenden BAföGs vor dem ersten Lockdown in eine WG ziehen konnte. „Der Job in der Pandemie war gut, da ich zu denen gehörte, die arbeiten gehen musste.“

Quelle: datawrapper.de

Celine begann ihr Studium mitten in der Corona-Krise im Winter 2020. Sie erhielt von Anfang an Bafög und Geld durch ein Deutschlandstipendium. Eine Umfrage des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) zeigt, wie sich Studierende in Zeiten der Corona-Pandemie finanziert haben. Beim Bafög wurde der Höchstbetrag von 861 Euro auf 934 Euro angehoben. Auch der Wohnbedarfs-Zuschlag ist um 35 Euro gestiegen.

Darüber hinaus gab es im Bereich Energiekosten für Studierende einen Heizkostenzuschuss in Höhe von 230 Euro – ein weiterer Zuschuss in Höhe von 345 Euro ist für Anfang dieses Jahres geplant. Zusätzlich dazu erhalten arbeitende Studierende eine Energiepauschale und eine Einmalzahlung soll Anfang 2023 für alle Studierenden kommen. Weitere mögliche Zuschüsse waren ein zinsfreier KfW-Studienkredit und eine Form von Überbrückungshilfe. Allerdings wurde die nur Studierenden gezahlt, die weniger als 500 Euro auf ihrem privaten Bankkonto hatten.

Monatliche Ausgaben

Marie finanzierte sich in der Pandemie durch ihren Job. Ihre Gesamtausgaben beliefen sich auf rund 800 Euro. Zu ihren monatlichen Ausgaben gehören die Krankenversicherung, Internet, Rundfunkgebühren, Nebenkosten und Essen von ungefähr 100 Euro. Zweimal in der Woche geht sie bei ihrer Mutter essen.

Celine wohnt mit ihrem Freund zusammen und zahlt 300 Euro Miete. Da sich das Paar die Lebensmittel- und Nebenkosten teilt, zahlt sie lediglich 250 Euro monatlich. Da sie das Auto nutzt, um zur Hochschule zu pendeln, gibt sie für Sprit im Schnitt 100 Euro aus.

Damit schneidet Celine vergleichsweise gut ab. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2022 liegen die monatlichen Ausgaben von Studierenden bei 954 Euro. Dabei bilden die Mietausgaben den Großteil der Gesamtausgaben.

Quelle: datawrapper.de

Folgen der Inflation

Trotz des gut bezahlten Jobs wechselte Marie* 2022 zu einem Beruf in der Medienbranche, da sie dort ihre Zukunft sieht. „Ich hatte die Chance, meinen Job zu wechseln. Das sah dann finanziell aber nicht mehr so rosig aus.“ Ihr Stundenlohn sank vorerst auf 12 Euro. Zwar erhielt sie eine Energiepauschale von 300 Euro, jedoch belastete die beginnende Inflation ihre finanzielle Situation.

„Wir gucken, dass wir nicht so heiß duschen, die Waschmaschine nur für 30 Minuten läuft und die Spülmaschine nur angemacht wird, wenn sie wirklich voll ist.“ Großeinkäufe macht die Studentin nicht mehr seit Inflationsbeginn. Sie isst meistens günstig in der Uni.

2021 waren laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes 37,9 Prozent der Studierenden armutsgefährdet. „Anstatt das Problem strukturell anzugehen, versucht man sich mit mickrigen 200 Euro aus der Affäre zu ziehen“, sagt Rahel Schüssler vom FZS-Vorstand (freier Zusammenschluss von Student*innenschaften e. V.). Vertreter des Studentenwerkes fordern höhere Bafög-Sätze und einen automatischen Inflationsausgleich, da die bisherigen Hilfen zu kurz greifen würden.

Mit dem Start des Masters im Wintersemester 2022/23 könnte Marie* wieder Bafög beantragen, jedoch fürchtet die Studentin hohe Abzüge. „Für BAföG verdiene ich zu viel, aber ohne BAföG reicht das Geld eigentlich nicht. Ich werde aktuell von meiner Mutter mit 200 Euro unterstützt, aber das ist auch kein Dauerzustand.“ Da das Bafög an die 520-Euro-Jobs gekoppelt ist, werden die Einnahmen, die über diesen Satz gehen, abgezogen. „Ich will auch nicht um jeden Euro feilschen“, so Marie*.

Seit dem 1. Oktober 2023 müssen 12 Euro Stundenlohn gezahlt werden. Erst mit Erhöhung des Mindestlohns sieht Marie wieder Hoffnung. Wegen der Erhöhung kann sie bald wieder auf den Zuschuss der Mutter verzichten.

Ähnlich wie Marie geht es vielen anderen Studierenden. Die verschiedenen Schicksale sind sehr individuell. Einige erhalten Unterstützung und andere arbeiten und sparen, wo sie nur können. Durch die Erhöhung des Stundenlohns spüren Studierende zumindest eine Entlastung. Dennoch sind fast 40 Prozent der Studierenden armutsgefährdet. „Ich glaube, die Lösung ist einfach, dass man auch mit Bafög mehr arbeiten darf. Klar arbeite ich hauptsächlich, um mir mein Studium zu finanzieren. Ich möchte aber auch einfach meine Erfahrung machen, damit ich danach bessere Stellen angeboten bekomme.“