Negar war vier Jahre mit Markus (Name geändert) in einer Beziehung: Eine Achterbahnfahrt, wenn es ihm nicht gut ging. Die damals 32-jährige organisiert sein Leben, damit seine Laune nicht kippt und verausgabt sich. Im Gegenzug erhält sie emotionale Kälte und Einsamkeit in der Beziehung. Einige Zeit nach der Trennung liest sie, dass ihr Expartner narzisstische Züge zu haben scheint. Vieles machte auf einmal Sinn. 

Von Athithya Balamuraley

Negar ist 36 Jahre alt, lebt in NRW, ist Iranerin und Künstlerin. Ihren damaligen Partner Markus und Negar lernen sich im Kunststudium kennen. Schnell wird Markus‘ Freundeskreis, Netzwerk und Umfeld zu dem der Iranerin. Markus ist ein sozial extrovertierter, attraktiver Mann, der stets alles dafür tat, um von allen gemocht zu werden, erzählt Negar. Markus war sehr dominant und nahm viel Platz in der Beziehung ein. Zuhause war alles anders –Markus‘ Laune kippte von jetzt auf gleich. „Da war ein großes emotionales Gefälle zwischen uns. Er war unfähig, meine Gefühle zu erfassen oder zu checken.“

Was passiert, wenn der Partner keinen Blick fürs Gegenüber hat? (Bild: Athithya Balamuraley)

„An guten Tagen machten wir Ausflüge, alles war normal“

Markus ist zu dem Zeitpunkt manisch und depressiv. Negar organisiert und regelt sein Leben. „Ich hatte Mitleid mit ihm, denn ich wusste von seiner Kindheit und seinen komplizierten Familienverhältnissen…“, erzählt sie. Nach einem Jahr ist sie körperlich und emotional gestresst und ausgelaugt. Sie verfällt in Depressionen und hat Panikattacken – trotzdem gibt Negar nicht auf. An guten Tagen dachte sie, dass sie es schaffen könnten. Markus müsse nur eine Therapie machen. An eine Trennung konnte und wollte Negar nicht denken. Markus ist für sie zu einer wichtigen und auch künstlerischen Bezugsperson geworden, mit der sie sich gut austauschen konnte.  Markus braucht Negar, um seinen Alltag zu bestreiten. Weil sie sich verpflichtet fühlt über die Maße hinaus für ihn da zu sein, verausgabt sich Negar. Beide sind abhängig voneinander. Aber es ist Negar, die die Beziehung trägt, die eigentlich zwei Menschen stemmen sollten.

Markus zieht für einen Job, den Negar für ihn organisiert, in eine andere Stadt. Negar bleibt in NRW und überlegt hinterherzuziehen – vielleicht braucht es nur einen Tapetenwechsel für das gemeinsame Glück. Inzwischen sind beide miteinander verheiratet.

Markus kommen Zweifel und er fängt eine Affäre an. Die Beziehung endet.

Im Lockdown zieht Negar sich zurück, liest viel zum Thema Trennung und stößt auf einen Begriff, der ihr als Iranerin in ihren vier Jahren in Deutschland zum ersten Mal begegnet: Narzissmus. Schnell zieht und sieht sie Parallelen zu Markus und seinem Verhalten und den Gründen dafür. Negar schämt sich zunächst, in der Therapie über das zu sprechen, was ihr in der Beziehung passiert ist.

Insignifikante Diagnose

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung festzustellen, sei auf therapeutischer Ebene gar nicht so einfach, problematisiert Psychologin Fida M. Sie hat sich in ihrer therapeutischen Ausbildung mit Narzissmus beschäftigt. „Um eine klinische Auffälligkeit oder Störung festzustellen, muss die Person mit narzisstischen Symptomen einen Leidensdruck hieraus empfinden. Das bedeutet, dass die Person selbst merken muss, dass sich die Symptome auf das Leben und die Lebensumstände auswirken oder sie einschränken. Auch wenn das Umfeld alles abbekommt und enorm leidet, ist es oft schwer Menschen mit narzisstischen Symptomen zur Therapie zu bewegen.“ Oft wird Narzissmus erst während der Therapierung von Depressionen entdeckt, weil diese oft zusammenhängen, so die Psychologin.

Das Grundproblem ist, dass eine Selbstregulation, also Impulse und Handlungen selbst zu steuern, nicht richtig erlernt worden ist. Oft gehöre hierzu auch die Emotionsregulierung, die dazu führt, dass Menschen mit narzisstischem Symptombild nett zu allen außer ihren engsten Bezugspersonen sind.

Narzissmus-Inflation

Wirtschaftspsychologe Professor Kai Externbrink aus Gelsenkirchen steht einer vorschnellen Verwendung des Narzissmusbegriffs kritisch gegenüber. Zu schnell könne es passieren, dass Menschen, die eine dysfunktionale Beziehung hinter sich haben, sich als Opfer von Narzissten wahrnehmen. Ein Grund dafür könnten soziale Medien sein, da dort viele schlechte und in erster Linie spektakuläre Informationen kursierten. Menschen könnten dort vorschnell als Narzissten gelabelt werden. Der Begriff sei mittlerweile überstrapaziert. Er verweist darauf, dass populärwissenschaftliche Publikationen oft verfehlen, dass Narzissmus in jedem vorhanden ist. Eine gewisse Selbstzentriertheit ist in Maßen gesund. Vereinfacht erklärt Externbrink bildhaft: „Wenn der Regler eines Mischpults „Narzissmus“ heißt, kann dieser entweder ganz stark nach oben ausschlagen oder stark nach unten ausschlagen. Bei einem starken Ausschlag nach oben können wir von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sprechen, die klinisch auffällig ist. Alles, was dazwischen stattfindet, können wir als narzisstische Tendenzen bezeichnen.

Die mahnende Wunde

Die Beziehung mit einer Person, die narzisstische Tendenzen hat, kann zu einer missbräuchlichen und traumatischen Erfahrung werden, so Externbrink.

„Eine klinisch festgestellte Störung oder Diagnose des Partners als Narzisst sollte für Opfer in der Beziehung zweitrangig sein. Vielmehr geht es um das Verhalten und die Auswirkungen auf einen selbst. Es ist wichtig sich daran zu erinnern, dass man weder verantwortlich für das Verhalten der Person noch in der Position ist ihr zu helfen, indem man sich aufopfert. Dafür gibt es ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten“, erklärt die Psychologin. Menschen mit narzisstischen Zügen tendieren zu der sogenannten Manipulationsstrategie „Gaslighting“. Dabei werden Opfer in ihrer eigenen Wahrnehmung angezweifelt und relativiert. An der eigenen Wahrheit festzuhalten und sich bei seriösen Quellen zu Verhaltensweisen und Mustern zu informieren, auch wenn es die Umstände in der Beziehung nicht möglich machen sei sehr wichtig, mahnt die Psychologin Fida M. Was zurückbleibt ist eine Wunde, die vielleicht nie weggehen wird und das ist auch gut so, findet Negar– „Vielleicht muss diese Wunde bleiben, um mich daran zu erinnern, nie wieder so eine Beziehung mit jemandem einzugehen und mich selbst so zu verlieren.“