Der Online-Handel wird immer wichtiger, das Shoppen im Netz immer mehr zur Normalität. Der Einzelhandel leidet immer mehr. Und die Innenstädte in vielen Regionen verlieren durch Leerstand immer mehr ihren Charme. Eine Geschichte des Verlusts von Heimat.

Von Jennifer Skiba und Yanieke Lale van Doren

Die Kortumstraße ist eigentlich die Shopping-Straße in der Bochumer Innenstadt. Für jeden war etwas auf der knapp ein Kilometer langen Straße dabei. In den letzten zwei Jahren hat sich das Stadtbild dahingehend aber verändert.

Dort, wo man sich zum Bummeln mit Freunden getroffen hat, findet man heute leere Ladenlokale und ein verändertes Stadtbild. Die Gründe sind divers.

Der Online-Handel wird immer wichtiger, die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen und auch die aktuelle Energiekrise trägt dazu bei.Energiepreise zwingen die Händler in die Knie.

Eine Ikone musste Ende letzten Jahres bereits ihr Ladenlokal in der Kortumstraße verlassen.

Die Nordsee. 90 Jahre lang existierte diese Filiale genau an dieser Stelle. Der Mietvertrag wurde am 01.01.1932 geschlossen. Der Filialleiter Robert Minde erzählt:„Die Filiale nach so einer langen Zeit schließen zu müssen, ist einfach wirklich traurig. Die ältesten Bochumer kennen diese Filiale noch aus jungen Jahren. Die Krisen der letzten Jahre haben uns einiges abverlangt.“

Seit 16 Jahren ist Minde der Leiter der Filiale. Die veränderte Frequenz in der Innenstadt nimmt er schon seit vielen Jahren wahr, die sich natürlich auch auf die Nordsee ausgewirkt hat. „Die aktuelle Krise hat uns jetzt schlussendlich den Rest gegeben. Die Küchengeräte brauchen einfach extrem viel Energie. Die Kosten hätten sich zukünftig verdoppelt.“ erklärt Filialleiter Minde.

Niemals geht man so ganz

Wenige Meter weiter befindet sich das Geschäft „Deco“. Seit vielen Jahren werden hier in der Kortumstraße in der Bochumer Fußgängerzone Dekoartikel verkauft. Doch seit neuestem bedeckt ein Plakat das Schaufenster. „Räumungsverkauf! 11 Prozent auf alles“. Ab dem 25. Februar 2023 schließen sich hier die Türen. Für den Inhaber Sebastian Jachert ein trauriges Ereignis. „Leider hat Deco´ sich in den letzten Jahren nicht dahingehend entwickelt, dass wir noch Zukunftspotenzial sehen“. Große günstigere Kettengeschäfte besuchen oder Online die Geschenke fertig bestellen hat den Reiz, Geschenke selber zu gestalten abgelöst.

Befragte Passanten stehen dem Wandel der Fußgängerzone mit gemischten Gefühlen gegenüber. „Es ist ein Stück weit Tradition, die verloren geht“ oder „inzwischen ist es mehr Kitsch als Kult und das bestimmt nicht nur hier in Bochum“ sind Aussagen von sowohl der jüngeren Generation zwischen 18 und 24, die ihre Heimat lieben oder auch der älteren Generation ab 40 Aufwärts, die die charmanten Geschäfte gerne besuchen und vermissen werden.

Trotz Leerstand ein neues Shoppingzentrum

Direkt neben dem ehemaligen Ladenlokal der Nordsee entsteht aktuell das Einkaufszentrum „Viktoria Karree“. Auf dem ehemaligen Gelände des Amtsgerichts ziehen demnächst neben Geschäften und Gastronomie auch Büros, ein Hotel und ein Fitnessstudio ein. Auf zwei Ebenen sollen großflächige Mieter den innerstädtischen Handeln bereichern. Um genau zu sein, auf 11.800 m².

Während ein paar Meter weiter eine hohe Anzahl an leeren Ladenlokalen zu finden ist.

Philipp W., Inhaber eines Geschäfts für Turnschuhe in der Nähe der Kortumstraße sieht das kritisch.

„Dass die Bochumer Innenstadt stellenweise in die Jahre gekommen ist, ist offensichtlich, dass sie einen Neunanstrich braucht, auch. Den Sinn und Zweck des Karrees verstehe ich trotzdem nicht. Viele Geschäfte stehen seit Monaten leer. Ich befürchte, dass die Eröffnung des Karrees dafür sorgen wird, dass die Frequenz in den Straßen weiter zurück gehen wird.“

Bochum beginnt, Essen zieht nach

Nicht nur die Bochumer verlieren Teile ihrer Innenstadt. Auch in Essen stehen auffällig viele Ladenlokale leer. Die Gründe sind dieselben.

Neben den Shopping-Klassikern sind auch Orte des Zusammentreffs wie Vereine aus den Ladenlokalen verschwunden.

Die Stadt Essen möchte dem Leerstand entgegenwirken. Mit der Hilfe des Landes NRW durch das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung kann die Stadt Ladenlokale in guter Innenstadtlage vermieten. Das Förderprogramm ermöglicht die Reduzierung der Altmiete bis zu 20 Prozent.

Die Förderung kommt gerade für Pop-up-Stores sehr gut infrage. Modelabels die vielleicht bisher nur online durchgestartet sind aber auch innovative Gastronomie-Konzepte, erklärt Svenja Krämer, Managerin der Essen Marketing GmbH. 

Auch die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft GmbH hat sich dem Projekt angeschlossen. Sie sind Ansprechpartner bei allen Themen in Puncto der Ansiedlung in Essen. 2019 hat die Gesellschaft ein erfolgreiches Popup-Konzept umgesetzt. Das Ministerium fördert auch die Umnutzung von leerstehenden Lokalen. Wenn der Einzelhandel sich zukünftig aus den Innenstädten verabschiedet, soll die Flächen anderweitig genutzt werden.

Ziel sei es, dass neue Nutzungen wie Gastronomie, Dienstleistung, Wohnen oder auch Gemeinschaftsräume Einzug erhalten und dadurch Lebendigkeit schaffen.

Tradition statt Trauer

Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass bestehende Geschäfte die Krisen der Vergangenheit gut überstehen und das Schicksal von Menschen wie Robert Minde nicht zum Regelfall wird. Denn die Geschichte vieler Einzelhändler und Gastronomen machen das Stadtleben vieler Innenstädte aus.