Rund 9000 Menschen warten aktuell in Deutschland auf ein Spenderorgan. Mitte Januar sprach sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach erneut dafür aus, die Organspende in Deutschland neu zu regeln. Denn was in anderen Ländern schon selbstverständlich ist, ist hier noch umstritten: Jeder Mensch ist automatisch Organspender, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich. Ist diese Lösung auch hierzulande vorstellbar?
Von Vivien Scheffler
Heinz K. ist 83 Jahre alt. Der Essener möchte anonym bleiben. Heinz K. hat von seinem Vater eine Erkrankung geerbt, die sogenannte Zystennieren. Die Krankheit führt dazu, dass die Nieren irgendwann ihre Arbeit einstellen. Der ältere Herr war 35 Jahre alt, als die Krankheit bei ihm festgestellt wurde. Darauf folgten einige Jahre an der Dialyse. Da dies keine Dauerlösung war, kam Heinz K. auf die Warteliste für eine Spenderniere. Am 5. August 1998 hat er sie bekommen. An den Tag erinnert er sich noch als wäre es gestern gewesen: ,,Abends um 23 Uhr ging das Telefon, ich sollte sofort ins Krankenhaus kommen, eventuell wurde eine passende Niere gefunden.“
Spenden verlaufen immer anonym
Heinz K. hatte Glück, die Transplantation konnte stattfinden und verlief erfolgreich. Bis heute muss er Medikamente nehmen, die eine Abstoßung des fremden Organs verhindern. Mittlerweile lebt er schon fast 25 Jahre mit der Spenderniere, das lässt vermuten, dass der Spender ein junger Mensch gewesen sein muss, erzählt Heinz K. Denn normalerweise arbeitet eine Spenderniere nur ungefähr 12 bis 15 Jahre. ,,Wir bekamen nach der OP keine Infos über den Spender, aber die Ärzte deuteten an, dass ja Sommer sei und viele Motorradfahrer unterwegs. Von daher gingen wir davon aus, dass es ein junger Mensch war, der bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist“, sagt Heinz K. Er und seine Frau sind sehr dankbar, dass eine passende Niere gefunden wurde und die lebensrettende Operation damals durchgeführt werden konnte.
Deutschland: Das Organspende-Schlusslicht in Europa
Heinz K. und seine Frau wären ganz klar für die sogenannte Widerspruchslösung, die es aktuell zum Beispiel in Spanien und Frankreich gibt. Dort muss ein Mensch zu Lebzeiten klar widersprechen, wenn er nicht möchte, dass nach seinem Tod die Organe gespendet werden.
Das führt auch dazu, dass sich mehr Menschen in diesen Ländern mit dem Thema beschäftigen und es dementsprechend dort auch mehr Organspender gibt:
Link: https://de.statista.com/infografik/6098/anzahl-der-organspender-in-europa/
Der Grund, weshalb viele Menschen ihre Organe nach dem Tod nicht spenden möchten, sind vielfältig. Michaela Kothe vom Infotelefon Organspende der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt an, dass die meisten Fragen, die gestellt werden, den Hirntod betreffen. ,,Am häufigsten werden wir gefragt, wie der Hirntod diagnostiziert wird. Aber auch Sorgen zu Vorerkrankungen, Altersgrenzen oder die Frage, ob nur manche Organe gespendet werden können, kommen oft vor.“ Der geschäftsführende Arzt der Deutschen Stiftung Organtransplantation, Dr. med. Scott Oliver Grebe, bestätigt, dass Unsicherheit und keine Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod, die häufigsten Hindernisse ist. Aber manchmal sind es auch Angehörige eines Verstorbenen, die die Entscheidung treffen müssen: ,,Wenn bei einem möglichen Organspender keine Entscheidung zur Organspende bekannt ist, entscheiden sich Angehörige häufig aus Unsicherheit dagegen. Hier kann nur Aufklärung etwas verändern sowie der Appell zu Lebzeiten eine Entscheidung zu treffen und diese zu dokumentieren“, sagt Dr. Grebe.
Zukunft unklar
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation und Dr. Scott Oliver Grebe positionieren sich klar für die Einführung der Widerspruchslösung in Deutschland. ,,Die Widerspruchslösung gibt ein klares Signal, dass die Gesellschaft hinter der Organspende steht. Dadurch gewinnt das Denken an
Organspende an Normalität. Sie wird deshalb oft als guter Weg hin zu einer Kultur der Organspende bezeichnet, weil das Thema dadurch in die Mitte der Gesellschaft rückt“, sagt Dr. Grebe. 2020 hatte der Bundestag die Widerspruchslösung abgelehnt. Es bleibt abzuwarten, ob die Diskussion um eine Reform nun erneut aufgenommen wird. Heinz K. würde es sich wünschen, denn er findet, dass jeder Mensch sich über das Thema Gedanken machen sollte. Schließlich wüsste man nie, ob man nicht vielleicht selbst einmal in die Situation kommt, auf ein Spenderorgan angewiesen zu sein.
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